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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Naher Osten: Konflikt ohne Lösung?

Der Isra­el-Palä­sti­na-Kon­flikt, eine der erbit­tert­sten und lang­le­big­sten geo­po­li­ti­schen Aus­ein­an­der­set­zun­gen, dient seit Jahr­zehn­ten als Sym­bol für geschei­ter­te Frie­dens­po­li­tik und die Kri­se des inter­na­tio­na­len Rechts. Eine von acT­Vism Munich orga­ni­sier­te Dis­kus­si­on brach­te drei her­aus­ra­gen­de Den­ker – Noam Chom­sky, Nor­man Fin­kel­stein und Vic­tor Kat­tan – zusam­men, die den Kon­flikt aus unter­schied­li­chen Blick­win­keln beleuch­te­ten. Ihre Bei­trä­ge, ana­ly­tisch scharf und mora­lisch unbe­stech­lich, wer­fen ein grel­les Licht auf die tie­fen Wider­sprü­che einer Welt­ord­nung, die Gerech­tig­keit pre­digt, aber Ungleich­heit duldet.

Vic­tor Kat­tan, Jurist und Histo­ri­ker, leg­te dar, wie die Bal­four-Dekla­ra­ti­on von 1917 den Keim für den heu­ti­gen Kon­flikt leg­te. Die bri­ti­sche Zusa­ge einer »natio­na­len Heim­stät­te« für das jüdi­sche Volk in Palä­sti­na war kein Akt huma­ni­tä­rer Groß­zü­gig­keit, son­dern eine kal­te stra­te­gi­sche Kal­ku­la­ti­on. »Groß­bri­tan­ni­en such­te Kon­trol­le über die Regi­on, nicht zuletzt wegen der Bedeu­tung des Suez­ka­nals«, erklär­te Kat­tan. Die Inter­es­sen der ara­bi­schen Bevöl­ke­rung wur­den syste­ma­tisch igno­riert, ihre Rech­te einem Spiel kolo­nia­ler Machen­schaf­ten geopfert.

Doch Kat­tan belässt es nicht bei histo­ri­schen Ankla­gen. Er zeigt auf, wie die­se Poli­tik der Spal­tung lang­fri­stig eine toxi­sche poli­ti­sche Dyna­mik eta­blier­te, die bis heu­te nach­wirkt. Die Ambi­va­lenz bri­ti­scher Ver­spre­chen – Frei­heit für die Ara­ber einer­seits, Unter­stüt­zung für die Zio­ni­sten ande­rer­seits – war weni­ger ein Dilem­ma als ein bewuss­ter Ver­such, Kon­trol­le durch Cha­os zu sichern. Die­se bewuss­te Inko­hä­renz spie­gelt sich in der poli­ti­schen Archi­tek­tur Palä­sti­nas wider: ein Flicken­tep­pich von Inter­es­sen und Rea­li­tä­ten, der jede kohä­ren­te Ent­wick­lung untergräbt.

Kat­tan ver­weist zudem auf die sozia­len Fol­gen: »Der Kolo­nia­lis­mus war nicht nur eine Fra­ge der Macht, son­dern auch der Spal­tung von Iden­ti­tä­ten. Die­se Spal­tun­gen wir­ken heu­te in Form eth­ni­scher und reli­giö­ser Span­nun­gen nach, die poli­ti­sche Soli­da­ri­tät erschweren.«

Noam Chom­sky setz­te die Debat­te mit sei­ner Ana­ly­se der selek­ti­ven Anwen­dung inter­na­tio­na­len Rechts fort. »Reso­lu­ti­on 242 des UN-Sicher­heits­rats aus dem Jahr 1967, die den Rück­zug Isra­els aus den besetz­ten Gebie­ten for­dert, bleibt bis heu­te totes Papier«, kri­ti­sier­te er. Für Chom­sky ist dies kein Zufall, son­dern Aus­druck eines Macht­ge­fü­ges, das sich nicht dem Recht, son­dern der poli­ti­schen Oppor­tu­ni­tät ver­pflich­tet fühlt.

Chom­sky deck­te scho­nungs­los die Ver­flech­tun­gen von Geo­po­li­tik und wirt­schaft­li­chen Inter­es­sen auf. Die USA, als domi­nan­ter Akteur in der Regi­on, unter­stüt­zen Isra­el nicht aus altru­isti­schen Moti­ven, son­dern weil es ein stra­te­gi­scher Ver­bün­de­ter in einer res­sour­cen­rei­chen Regi­on ist. »Wenn das inter­na­tio­na­le Recht den Inter­es­sen der Mäch­ti­gen dient, wird es gefei­ert. Wenn nicht, wird es igno­riert«, resü­mier­te er mit gewohnt schar­fer Polemik.

Vic­tor Kat­tan knüpf­te dar­an an, indem er das bri­ti­sche Man­dats­recht als »insti­tu­tio­nel­len Inku­ba­tor« für vie­le der heu­ti­gen Kon­flik­te bezeich­ne­te. Die bri­ti­sche Stra­te­gie des »Tei­le und herr­sche« hat, so Kat­tan, die Regi­on nicht nur desta­bi­li­siert, son­dern auch die Grund­la­ge für die heu­ti­ge asym­me­tri­sche Macht­ver­tei­lung geschaf­fen. »Die­se Dyna­mik lebt fort, in jedem Check­point, jeder Sied­lung und jeder UN-Debat­te«, mahn­te er. Er beton­te zudem, dass die inter­na­tio­na­le Gemein­schaft trotz ihres mora­li­schen Anspruchs oft die Macht­ver­hält­nis­se zemen­tiert: »Ein System, das behaup­tet, Frie­den zu suchen, sich aber wei­gert, Gerech­tig­keit her­zu­stel­len, ist nicht nur inkon­si­stent, son­dern aktiv destruktiv.«

Nor­man Fin­kel­stein, bekannt für sei­ne kon­tro­ver­se Rhe­to­rik, rich­te­te sei­nen Fokus auf die Rol­le der Medi­en und der öffent­li­chen Mei­nung. »Die Geschich­te des Nahen Ostens wird nicht nur auf dem Schlacht­feld geschrie­ben, son­dern auch in den Redak­ti­ons­räu­men der west­li­chen Welt«, sag­te er. Die Bericht­erstat­tung, so Fin­kel­stein, sei oft stark ver­zerrt, redu­zie­re palä­sti­nen­si­sches Lei­den auf blo­ße Sta­ti­sti­ken und glo­ri­fi­zie­re gleich­zei­tig die israe­li­sche Position.

Ein pro­mi­nen­tes Bei­spiel für ver­zerr­te Bericht­erstat­tung bot die Dar­stel­lung der Pro­te­ste in Gaza 2018. Wäh­rend palä­sti­nen­si­sche Demon­stran­ten gegen die Blocka­de und Land­ent­eig­nung pro­te­stier­ten, cha­rak­te­ri­sier­ten vie­le west­li­che Medi­en die Ereig­nis­se als von der Hamas gesteu­er­te Gewalt. Bil­der von schwer bewaff­ne­ten israe­li­schen Sol­da­ten gegen unbe­waff­ne­te Demon­stran­ten wur­den oft durch sug­ge­sti­ve Schlag­zei­len ent­wer­tet. »Die­se Nar­ra­ti­ve ver­la­gern die mora­li­sche Schuld auf die Opfer und ent­zie­hen den eigent­li­chen Aggres­so­ren jede Ver­ant­wor­tung«, kri­ti­sier­te Finkelstein.

Ara­bi­sche Medi­en hin­ge­gen gin­gen oft­mals in die gegen­sätz­li­che Fal­le, indem sie den Kon­flikt auf eine reli­giö­se Dicho­to­mie redu­zier­ten. Sen­der wie Al-Jaze­era hät­ten zwar wich­ti­ge Ein­blicke gelie­fert, jedoch gele­gent­lich durch über­trie­be­nes Pathos eine ana­ly­ti­sche Betrach­tung erschwert. »Die Emo­tio­na­li­sie­rung ersetzt oft die Fak­ten, was die poli­ti­sche Mobi­li­sie­rung beein­flusst, aber den Kon­flikt lang­fri­stig wei­ter ver­här­tet«, ergänz­te Finkelstein.

Ein wei­te­res Bei­spiel ist die Bericht­erstat­tung über den »Iron Dome«, Isra­els Rake­ten­ab­wehr­sy­stem. Wäh­rend west­li­che Medi­en den tech­no­lo­gi­schen Fort­schritt lob­ten, fehl­te oft die Dis­kus­si­on über die Aus­wir­kun­gen der Luft­an­grif­fe auf palä­sti­nen­si­sche Zivi­li­sten. »Die selek­ti­ve Dar­stel­lung«, so Fin­kel­stein, »erzeugt ein Bild, in dem israe­li­sche Sicher­heit prio­ri­siert wird, wäh­rend palä­sti­nen­si­sches Leben als sta­ti­sti­scher Kol­la­te­ral­scha­den erscheint.«

Fin­kel­stein hob her­vor, dass die Mani­pu­la­ti­on von Nar­ra­ti­ven kei­ne Neben­wir­kung, son­dern ein inte­gra­ler Bestand­teil des Kon­flikts sei. »Die west­li­chen Medi­en haben einen Dis­kurs geschaf­fen, in dem israe­li­sche Gewalt als Selbst­ver­tei­di­gung und palä­sti­nen­si­scher Wider­stand als Ter­ro­ris­mus gebrand­markt wird. Die­ses Nar­ra­tiv ist so effek­tiv, dass es die poli­ti­sche Wil­lens­bil­dung in Demo­kra­tien unterminiert.«

Die Dis­kus­si­on ver­deut­lich­te, dass der Isra­el-Palä­sti­na-Kon­flikt nicht nur eine regio­na­le, son­dern eine glo­ba­le Kri­se dar­stellt. Er ist ein Spie­gel für die Unzu­läng­lich­kei­ten der inter­na­tio­na­len Ord­nung, die Ver­schrän­kung von Macht und Recht sowie die mora­li­schen Dilem­ma­ta der glo­ba­len Politik.

Die Refe­ren­ten beton­ten uni­so­no, dass ein ech­ter Frie­dens­pro­zess mit der Aner­ken­nung der histo­ri­schen Ver­feh­lun­gen begin­nen müs­se. »Ohne die­se Grund­la­ge bleibt jede diplo­ma­ti­sche Initia­ti­ve ein blo­ßer Papier­ti­ger«, warn­te Kattan.

Chom­sky schloss mit einem ein­dring­li­chen Appell: »Frie­den erfor­dert mehr als den Waf­fen­still­stand. Er erfor­dert Gerech­tig­keit. Und Gerech­tig­keit beginnt mit der Aner­ken­nung der Wahr­heit.« Fin­kel­stein ergänz­te, dass die Welt­ge­mein­schaft den Mut auf­brin­gen müs­se, unpo­pu­lä­re Ent­schei­dun­gen zu tref­fen. »Der Preis für das Schwei­gen ist nicht weni­ger als der Ver­lust unse­rer mora­li­schen Glaubwürdigkeit.«

Anmer­kung: Das Video trägt den Titel »Die uner­zähl­te Geschich­te Isra­els – Prof. Chom­sky, Prof. Fin­kel­stein & Prof. Kat­tan« und wur­de am 23.12.2024 von acT­Vism Munich im Rah­men ihrer REWIND-Rei­he ver­öf­fent­licht. Es han­delt sich um eine Zusam­men­stel­lung von Vor­trä­gen der drei Wis­sen­schaft­ler, die den Isra­el-Palä­sti­na-Kon­flikt in einen histo­ri­schen und völ­ker­recht­li­chen Kon­text set­zen. Wei­te­re Infor­ma­tio­nen sind im Ori­gi­nal­vi­deo, das auf der Platt­form von acT­Vism Munich ver­füg­bar ist, ein­seh­bar. Link: https://www.youtube.com/watch?v=cz8RkQMqdZI.