Der Israel-Palästina-Konflikt, eine der erbittertsten und langlebigsten geopolitischen Auseinandersetzungen, dient seit Jahrzehnten als Symbol für gescheiterte Friedenspolitik und die Krise des internationalen Rechts. Eine von acTVism Munich organisierte Diskussion brachte drei herausragende Denker – Noam Chomsky, Norman Finkelstein und Victor Kattan – zusammen, die den Konflikt aus unterschiedlichen Blickwinkeln beleuchteten. Ihre Beiträge, analytisch scharf und moralisch unbestechlich, werfen ein grelles Licht auf die tiefen Widersprüche einer Weltordnung, die Gerechtigkeit predigt, aber Ungleichheit duldet.
Victor Kattan, Jurist und Historiker, legte dar, wie die Balfour-Deklaration von 1917 den Keim für den heutigen Konflikt legte. Die britische Zusage einer »nationalen Heimstätte« für das jüdische Volk in Palästina war kein Akt humanitärer Großzügigkeit, sondern eine kalte strategische Kalkulation. »Großbritannien suchte Kontrolle über die Region, nicht zuletzt wegen der Bedeutung des Suezkanals«, erklärte Kattan. Die Interessen der arabischen Bevölkerung wurden systematisch ignoriert, ihre Rechte einem Spiel kolonialer Machenschaften geopfert.
Doch Kattan belässt es nicht bei historischen Anklagen. Er zeigt auf, wie diese Politik der Spaltung langfristig eine toxische politische Dynamik etablierte, die bis heute nachwirkt. Die Ambivalenz britischer Versprechen – Freiheit für die Araber einerseits, Unterstützung für die Zionisten andererseits – war weniger ein Dilemma als ein bewusster Versuch, Kontrolle durch Chaos zu sichern. Diese bewusste Inkohärenz spiegelt sich in der politischen Architektur Palästinas wider: ein Flickenteppich von Interessen und Realitäten, der jede kohärente Entwicklung untergräbt.
Kattan verweist zudem auf die sozialen Folgen: »Der Kolonialismus war nicht nur eine Frage der Macht, sondern auch der Spaltung von Identitäten. Diese Spaltungen wirken heute in Form ethnischer und religiöser Spannungen nach, die politische Solidarität erschweren.«
Noam Chomsky setzte die Debatte mit seiner Analyse der selektiven Anwendung internationalen Rechts fort. »Resolution 242 des UN-Sicherheitsrats aus dem Jahr 1967, die den Rückzug Israels aus den besetzten Gebieten fordert, bleibt bis heute totes Papier«, kritisierte er. Für Chomsky ist dies kein Zufall, sondern Ausdruck eines Machtgefüges, das sich nicht dem Recht, sondern der politischen Opportunität verpflichtet fühlt.
Chomsky deckte schonungslos die Verflechtungen von Geopolitik und wirtschaftlichen Interessen auf. Die USA, als dominanter Akteur in der Region, unterstützen Israel nicht aus altruistischen Motiven, sondern weil es ein strategischer Verbündeter in einer ressourcenreichen Region ist. »Wenn das internationale Recht den Interessen der Mächtigen dient, wird es gefeiert. Wenn nicht, wird es ignoriert«, resümierte er mit gewohnt scharfer Polemik.
Victor Kattan knüpfte daran an, indem er das britische Mandatsrecht als »institutionellen Inkubator« für viele der heutigen Konflikte bezeichnete. Die britische Strategie des »Teile und herrsche« hat, so Kattan, die Region nicht nur destabilisiert, sondern auch die Grundlage für die heutige asymmetrische Machtverteilung geschaffen. »Diese Dynamik lebt fort, in jedem Checkpoint, jeder Siedlung und jeder UN-Debatte«, mahnte er. Er betonte zudem, dass die internationale Gemeinschaft trotz ihres moralischen Anspruchs oft die Machtverhältnisse zementiert: »Ein System, das behauptet, Frieden zu suchen, sich aber weigert, Gerechtigkeit herzustellen, ist nicht nur inkonsistent, sondern aktiv destruktiv.«
Norman Finkelstein, bekannt für seine kontroverse Rhetorik, richtete seinen Fokus auf die Rolle der Medien und der öffentlichen Meinung. »Die Geschichte des Nahen Ostens wird nicht nur auf dem Schlachtfeld geschrieben, sondern auch in den Redaktionsräumen der westlichen Welt«, sagte er. Die Berichterstattung, so Finkelstein, sei oft stark verzerrt, reduziere palästinensisches Leiden auf bloße Statistiken und glorifiziere gleichzeitig die israelische Position.
Ein prominentes Beispiel für verzerrte Berichterstattung bot die Darstellung der Proteste in Gaza 2018. Während palästinensische Demonstranten gegen die Blockade und Landenteignung protestierten, charakterisierten viele westliche Medien die Ereignisse als von der Hamas gesteuerte Gewalt. Bilder von schwer bewaffneten israelischen Soldaten gegen unbewaffnete Demonstranten wurden oft durch suggestive Schlagzeilen entwertet. »Diese Narrative verlagern die moralische Schuld auf die Opfer und entziehen den eigentlichen Aggressoren jede Verantwortung«, kritisierte Finkelstein.
Arabische Medien hingegen gingen oftmals in die gegensätzliche Falle, indem sie den Konflikt auf eine religiöse Dichotomie reduzierten. Sender wie Al-Jazeera hätten zwar wichtige Einblicke geliefert, jedoch gelegentlich durch übertriebenes Pathos eine analytische Betrachtung erschwert. »Die Emotionalisierung ersetzt oft die Fakten, was die politische Mobilisierung beeinflusst, aber den Konflikt langfristig weiter verhärtet«, ergänzte Finkelstein.
Ein weiteres Beispiel ist die Berichterstattung über den »Iron Dome«, Israels Raketenabwehrsystem. Während westliche Medien den technologischen Fortschritt lobten, fehlte oft die Diskussion über die Auswirkungen der Luftangriffe auf palästinensische Zivilisten. »Die selektive Darstellung«, so Finkelstein, »erzeugt ein Bild, in dem israelische Sicherheit priorisiert wird, während palästinensisches Leben als statistischer Kollateralschaden erscheint.«
Finkelstein hob hervor, dass die Manipulation von Narrativen keine Nebenwirkung, sondern ein integraler Bestandteil des Konflikts sei. »Die westlichen Medien haben einen Diskurs geschaffen, in dem israelische Gewalt als Selbstverteidigung und palästinensischer Widerstand als Terrorismus gebrandmarkt wird. Dieses Narrativ ist so effektiv, dass es die politische Willensbildung in Demokratien unterminiert.«
Die Diskussion verdeutlichte, dass der Israel-Palästina-Konflikt nicht nur eine regionale, sondern eine globale Krise darstellt. Er ist ein Spiegel für die Unzulänglichkeiten der internationalen Ordnung, die Verschränkung von Macht und Recht sowie die moralischen Dilemmata der globalen Politik.
Die Referenten betonten unisono, dass ein echter Friedensprozess mit der Anerkennung der historischen Verfehlungen beginnen müsse. »Ohne diese Grundlage bleibt jede diplomatische Initiative ein bloßer Papiertiger«, warnte Kattan.
Chomsky schloss mit einem eindringlichen Appell: »Frieden erfordert mehr als den Waffenstillstand. Er erfordert Gerechtigkeit. Und Gerechtigkeit beginnt mit der Anerkennung der Wahrheit.« Finkelstein ergänzte, dass die Weltgemeinschaft den Mut aufbringen müsse, unpopuläre Entscheidungen zu treffen. »Der Preis für das Schweigen ist nicht weniger als der Verlust unserer moralischen Glaubwürdigkeit.«
Anmerkung: Das Video trägt den Titel »Die unerzählte Geschichte Israels – Prof. Chomsky, Prof. Finkelstein & Prof. Kattan« und wurde am 23.12.2024 von acTVism Munich im Rahmen ihrer REWIND-Reihe veröffentlicht. Es handelt sich um eine Zusammenstellung von Vorträgen der drei Wissenschaftler, die den Israel-Palästina-Konflikt in einen historischen und völkerrechtlichen Kontext setzen. Weitere Informationen sind im Originalvideo, das auf der Plattform von acTVism Munich verfügbar ist, einsehbar. Link: https://www.youtube.com/watch?v=cz8RkQMqdZI.