Was weltweit angebaut und gehandelt wird, was in die Auslagen und auf unsere Teller kommt – oder eben nicht kommt –, bestimmen ganz wesentlich drei immer mächtiger werdende Kartelle, die unsere Ernährung über die Lebensmittelproduktion mit einem stetig wachsenden Anteil dominieren. Diese Kartelle haben selbstverständlich nicht in erster Linie unser Wohl im Auge, schon gar nicht den Schutz der Umwelt. Es geht um Profit.
Kartell 1: Die vier mächtigsten Konzerne der Agrarchemiebranche, Bayer, Corteva Agriscience, Syngenta und BASF, nach dem Zukauf des US-Saatgutriesen Monsanto zum Preis von rund 54 Milliarden Euro nun mit dem Weltmarktführer Bayer an der Spitze, beherrschen das Geschäft mit Saatgut, Dünger- und Pflanzenschutzmitteln nahezu unangefochten. Sie haben damit massive Abhängigkeiten auf Seiten der Bauern geschaffen und sind dadurch, nicht nur nebenbei, auch für einen verheerenden Rückgang der Artenvielfalt bei den Nutzpflanzen verantwortlich. Und sie haben darüber hinaus eine Macht über uns Verbraucher erlangt, die beispiellos ist. Letztlich entscheiden die Konzernführungen, was wir essen.
Kartell 2: Ebenfalls vier Konzerne, die kaum jemand kennt, weil sie sozusagen im Hintergrund agieren, sie heißen »Archer Daniels Midland«, »Bunge«, »Cargill« und »Louis Dreyfus Company«, kurz »ABCD« genannt, beherrschen mit einem Weltmarktanteil von 70 Prozent den Handel mit Agrarrohstoffen. Ihre präzisen Informationen über Ernten, Wetterdaten und politische Entwicklungen in allen Teilen der Welt nutzen sie selbstverständlich auch für Finanzgeschäfte an den Rohstoffbörsen (siehe dazu Heft 5/2021) und haben dadurch eine ungeheure Preismacht gegenüber den Erzeugern wie auch gegenüber den Konsumenten erlangt. Ohne sie gäbe es buchstäblich nichts zu essen.
Kartell 3: Ein drittes Kartell schließlich, nicht minder einflussreich, bilden die europaweit agierenden Einzelhandels-Giganten Edeka, Rewe, Aldi, Lidl und Metro mit einem jährlichen Gesamtumsatz von rund 200 Milliarden Euro. Nun könnte man als Konsument der pragmatischen Ansicht sein, dass wir von den Preiskämpfen innerhalb dieses Kartells doch profitieren, weil wir unsere Milch- und Fleischprodukte, unser Brot und Gemüse bei den Discountern so sagenhaft günstig einkaufen können. Das ist aber leider ein Irrglaube. Ein Schnitzel aus dem Supermarktregal beispielsweise ist, bevor es im Einkaufswagen landet, vom Verbraucher in Wahrheit schon mehrfach bezahlt worden: über Steuergelder, mit denen die Schweinemast-Betriebe subventioniert werden, sowie auch über indirekte Subventionen für den Verkehr. Ein Lastwagen, mit dem das »Produkt« Schwein millionenfach transportiert werden muss, zum Mastbetrieb, zum Schlachthof, zum Großhandel, zum Einzelhandel, verursacht auf den Straßen so viele Schäden wie Tausende Pkw zusammen. Und auch für diese Schäden kommen weitgehend die Steuerzahler auf.
In der Summe hat dieses verflochtene, »renditestarke« und dennoch hochsubventionierte Kartell-System zu einer an Dekadenz grenzenden Verschwendung geführt. Die Mitglieder der drei Kartelle, die Agrarlieferanten, die Rohstoffhändler und der Lebensmittelhandel, wollen natürlich alle ihren Umsatz steigern, und sie halten die Stellschrauben hierfür weitgehend selbst in der Hand. Das gerade erwähnte Schnitzel beispielsweise wird mit einer Wahrscheinlichkeit von nahezu 50 Prozent im Müll verschwinden. Nach Angaben der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) wird in den Industrieländern etwa die Hälfte der Nahrungsmittel weggeworfen, weltweit landet ein Drittel der für Menschen produzierten Nahrungsmittel auf den Abfallbergen. Das sind Gebirge aus Fleisch, Fisch, Brot, Gemüse und Obst, mit denen die Hungernden der Welt gleich mehrfach ernährt werden könnten – und deren Entsorgung mehr CO2 verursacht als der gesamte Verkehr. Allein die Halbierung des Lebensmittel-Mülls in der EU, etwa 90 Millionen Tonnen jährlich, hätte auf die Verringerung des CO2-Ausstoßes eine ähnliche Wirkung, als würde jedes zweite Auto stillgelegt.
Eine Änderung dieses perversen Systems ist nicht in Sicht, weil der Gesetzgeber bislang mit stupender Konsequenz eher auf »die Wirtschaft« als auf die Vernunft hört. Und die einflussreichen Konzerne der Agrar- und Lebensmittelbranche haben selbstverständlich nicht das geringste Interesse, die Überproduktion zu bremsen. Die Saatgut-, Pestizid-, Futtermittel- und Tierpharmaka-Anbieter, die Rohstoffhändler und Großmäster verdienen prächtig daran, ebenso wie der Lebensmittelhandel, in dessen Kassen schließlich auch ein Großteil der Milliarden landet, die für die später unverbraucht entsorgten Produkte ausgegeben werden – allein in Deutschland schätzen Experten das Volumen auf mehr als 20 Milliarden Euro jährlich.
Daraus ist eindeutig zu schließen: Die Landwirtschaft und die Ernährungsindustrie werden in erster Linie subventioniert, nicht um unsere Ernährung sicherzustellen – und schon gleich gar nicht, um den Welthunger zu bekämpfen –, sondern damit sich die Konzerne die Taschen füllen können. Es kommt aber noch schlimmer. Denn auch diese Subventionen selbst landen ganz überwiegend in den Taschen der Großen; darüber werde ich in einem der nächsten Hefte berichten.
In anderen, zugegeben etwas schlichten Worten: Der Hunger in der Welt könnte – auch ohne »Grüne Revolution« und Gentechnik – längst beseitigt, viele Umweltprobleme gelöst sein, wenn die Politik, wie nun scheinbar erstmals in der Coronakrise, ihre Führungsrolle und -aufgabe anzunehmen sich anschickte und solchen Kartellen regulierend entgegenträte. Lebensmittelmüll, Milchseen, Fleisch- und Butterberge sind keine Luxusprobleme, sondern ein moralischer Skandal und ein ökologisches Desaster. Hunger, Unter- und Fehlernährung sind kein Schicksal, sondern Symptome eines kartellartig organisierten »Wirtschaftens«, dessen marktbeherrschende Akteure allein am (immer weiterwachsenden) Profit interessiert sind. Bedarf und Bedürfnisse, Gesundheit und Umweltschutz sind dabei faktisch irrelevant – und zu reinen Marketing-Kategorien verkommen.