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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Nabots Weinberg und der Büchermüller

Die Weg­nah­me des Grund­stücks, das Phi­le­mon und Bau­cis bewoh­nen, wird in Goe­thes »Faust II« von Mephi­sto­phe­les so kom­men­tiert: »Auch hier geschieht, was längst geschah, /​ Denn Nabots Wein­berg war schon da.« Ange­spielt wird auf die Geschich­te im bibli­schen Buch der Köni­ge, die den Raub von Nabots Wein­berg durch den König Ahab erzählt. Dar­auf kommt Pfar­rer Mar­tin Wes­kott zu spre­chen, als wir zu Ossietzky 21/​2024 tele­fo­nie­ren (sie­he dort »Gemäl­de«). Ihm, der sich mit Bücher­ret­tung bestens aus­kennt, lässt ein schwei­ze­ri­sches Gru­sel­spiel kei­ne Ruhe:

Es ist die Geschich­te des »Bücher­mül­lers« Peter W. Imhof, den er auf man­cher­lei Wei­se, mit Bera­tung, Bei­stand und täti­ger Hil­fe, zu unter­stüt­zen sucht. Wie wird man Bücher­mül­ler? Peter W. Imhof, 75 Jah­re alt, Rent­ner, das heißt, dass er von sei­ner Ren­te leben muss, hat eine Müh­le, 1921 erbaut mit einer wun­der­schö­nen Holz­kon­struk­ti­on in Zoll­brück Neu­müh­le bei Lang­nau im Kan­ton Bern, 2013 in Mie­te über­nom­men. Ein kul­tu­rell-ästhe­ti­sches Gesamt­kunst­werk, ein­ma­lig in Euro­pa. Der Miet­zins beträgt 15 000 Schwei­zer Fran­ken im Jahr, die kann er gera­de mit dem Bücher­ver­kauf auf­brin­gen. Im Müh­len­ge­bäu­de hat er ein Anti­qua­ri­at ein­ge­rich­tet, das zum Kul­tur­zen­trum her­an­wuchs, von wenig­stens natio­na­ler Bedeu­tung. Es beher­bergt ca. eine hal­be Mil­li­on Bücher zu allen mög­li­chen Wis­sens-, Sach- und Kul­tur­ge­bie­ten. 146 Ton­nen bedruck­tes Papier sol­len es sein.

Unter den vie­len Büchern befin­den sich wert­vol­le Hel­ve­ti­ca, wozu man wohl auch die zahl­rei­chen Bücher des Schwei­zer Schrift­stel­lers und Pfar­rers Jere­mi­as Gott­helf rech­nen darf. Dass der Kan­ton Bern das Jere­mi­as-Gott­helf-Land ist, mit dem Gott­helf-Zen­trum Emmen­tal in Lüt­zel­flüh, muss erwähnt wer­den, denn die­se Tat­sa­che macht das Skan­da­lö­se des­sen deut­lich, was Peter W. Imhof wider­fährt. Ihm wur­de von der »Lan­di«, einer ehe­ma­li­gen land­wirt­schaft­li­chen Genos­sen­schaft, der Miet­ver­trag gekün­digt. Wenig spä­ter wur­de die Immo­bi­lie an eine Immo­bi­li­en-AG ver­äu­ßert. So soll­te Imhof bereits Ende Novem­ber 2024 die Immo­bi­lie räu­men, nun hat eine Media­ti­on in Burg­dorf ihm eine Frist von einem hal­ben Jahr gewährt. Von »Schon­frist« spricht man bes­ser nicht, denn Peter W. Imhof machen die Lei­den des Alters zu schaf­fen, das Tra­gen schwe­rer Lasten fällt ihm nicht leicht.

In der bibli­schen Geschich­te will König Ahab einen Kohl­gar­ten aus Nabots Wein­berg machen. Das hat die Agrar­ge­nos­sen­schaft »Lan­di«, inzwi­schen unter dem Dach des Agrar­kon­zerns »Fen­aco«, die dem heu­ti­gen Bücher­mül­ler einst das Gebäu­de zur Mie­te anbot, nicht vor. Ganz zeit­ge­mäß und pro­fit­träch­tig will der Käu­fer, die Immo­bi­li­en-AG, zehn Woh­nun­gen dar­aus machen.

Ein Mensch, der gewiss einen Orden (oder ein Lob des Gemein­we­sens) ver­dient hät­te, ver­liert durch den Ver­kauf sein Lebens­werk, sein Gesamt­kunst­werk. Nicht nur er, son­dern die gesam­te Regi­on Emmen­tal und dar­über hin­aus. Papier­gel­d­ra­scheln klingt viel­leicht ange­neh­mer in den Ohren als Buchseitenknistern.

Frei­lich gibt es auch Unter­stüt­zung und Zuwen­dung für den Bücher­mül­ler: Pres­se­be­rich­te, eine Fern­seh­sen­dung, vie­le Besu­cher, Vor­schlä­ge zum Mar­ke­ting, ein Hotel, das Taschen­bü­cher auf­kauft, die es in Gäste­zim­mern anbie­ten will. Aber natür­lich genügt das nicht, Ver­kauf ist das eine, der Erhalt der Insti­tu­ti­on das andere.

Peter W. Imhof hat einen gro­ßen Teil, etwa vier­hun­dert- bis fünf­hun­dert­tau­send Bücher regi­striert, und was viel­leicht auf den ersten Blick über­wäl­ti­gend wirkt, ist nicht chao­tisch, son­dern wohl­ge­ord­net. Die­ses Haus ist eine Ein­la­dung, ein ein­zig­ar­ti­ges Gesamt­kunst­werk, das man nicht ein­fach dupli­zie­ren kann. Viel­leicht soll­ten sich neben Mäze­nen, Bücher­lieb­ha­bern und Kirch­ge­mein­den auch die Schwei­zer Schrift­stel­ler und Schrift­stel­le­rin­nen und ihre Ver­bän­de ein­la­den las­sen, zum beherz­ten Ein­grei­fen. Ein ande­rer beseel­ter Bücher­samm­ler, Peter Sodann näm­lich, warf mir ein­mal am Tele­fon vor, die Schrift­stel­ler täten lei­der gar nichts, um ihn zu unter­stüt­zen. Ich habe ihn damals nicht ver­stan­den, son­dern hör­te eine Augen­blicksver­är­ge­rung her­aus. Die Geschich­te der Zoll­brücker Bücher­müh­le, mir von Mar­tin Wes­kott ver­mit­telt, erin­ner­te mich dar­an, dass Sodann recht hatte.

Nabot erwi­dert auf die »Räu­mungs­fra­ge« König Ahabs: »Das las­se der HERR von mir sein, dass ich dir mei­ner Väter Erbe geben soll­te!« Hof­fen wir, dass auch das gei­sti­ge Erbe, des­sen Ver­nich­tung für Pro­fit in Kauf genom­men wird, nicht in die Hän­de derer fällt, die alles haben wol­len. Es geht um die Bewah­rung eines Schat­zes, die Abtei­lung über Jere­mi­as Gott­helf ist nach Mei­nung Mar­tin Wes­kotts so gut und umfang­reich, dass sich die Ver­ant­wort­li­chen des Gott­helf-Zen­trums in Lüt­zel­flüh und die Kir­chen als Insti­tu­tio­nen dar­um küm­mern müssten.

Täti­ge Hil­fe ist gefragt, die Zeit drängt. Am besten wäre es natür­lich, die Bücher­müh­le blie­be an ihrem Ort. Aber die­ser Wunsch wird wohl nur mit einem Wun­der in Erfül­lung gehen kön­nen. Und wenn Peter W. Imhof einen ande­ren Stand­ort fin­det: 1000 m2 müss­ten es schon sein, um alles unter­zu­brin­gen, und es wären ton­nen­wei­se Bücher zu bewe­gen. Viel­leicht las­sen sich vor­her noch eini­ge an die Frau, an den Mann brin­gen. Unter www.buechermuehle.ch fin­det man alle nöti­gen Infor­ma­tio­nen, auch eine Bücher­li­ste. Man hat kei­nen »Hau­fen« oder »Moloch« vor sich, son­dern kann in weni­gen Minu­ten ent­decken, was man sucht, natür­lich auch immer etwas mehr als das Gesuchte.

Ein wenig Zeit bleibt noch, um zu ver­hin­dern, dass wie­der gesagt wer­den muss: »Denn Nabots Wein­berg war schon da.« In einer Schweiz, die auch durch die legen­dä­re Sekun­där­öko­no­mie ihrer Brocken­stu­ben (Brockis) über die Gren­zen hin­aus bekannt ist, wäre die Pfle­ge der Tra­di­ti­on »Wei­ter­ge­ben ist mehr wert« etwas Wesent­li­ches, denn der Mensch lebt nicht vom Brot allein.