Sie war die Muse und Geliebte von Rolling Stone Mick Jagger, Femme Fatale der Swinging Sixties in London, später obdachlose Heroin-Süchtige und schließlich jahrzehntelang Chanteuse mit – durch Alkohol und Drogen – völlig veränderter Stimme. Und wurde zu einer Art mythischen Figur. Immerhin hat sie mehr als 20 Alben veröffentlicht, aber gleichzeitig die bitteren Seiten des Lebens erfahren wie wenige: eine Fehlgeburt, den Verlust des Sorgerechts ihres einzigen Kindes, Selbstmordversuche, mehrere Aufenthalte in Reha-Kliniken. Am 30. Januar ist Marianne Faithfull mit 78 Jahren in London gestorben.
Vor allem ihr Einfluss auf Mick Jagger und die Rolling Stones steht immer wieder im Scheinwerferlicht – was sie natürlich nicht immer erfreute. So hat sie Jagger mit dem Buch »Der Meister und Margarita« von Michail Bulgakow bekannt gemacht, was zu dem Stones-Erfolgs-Song »Sympathy for the Devil« führte. Von ihr stammt die Phrase »Wild horses couldn’t drag me away«, später verwendet in dem wunderbaren countryesken Stones-Song »Wild Horses«. Und auch den Text zur Fixerballade »Sister Morphine« hat sie geschrieben und den Song selbst veröffentlicht, zwei Jahre vor den Rolling Stones auf deren Album »Sticky Fingers« (1971). Den Autorenkredit bekam sie allerdings erst 1994 nach langem Kampf vor Gericht.
Aber Faithfull hatte auch eine Karriere als Schauspielerin im Theater, TV und Film von Tschechow bis Shakespeare. Nur zwei Beispiele: 1968 spielte sie in »Nackt unter Leder« an der Seite von Alain Delon, ein Film, der allerdings von Kritikern verrissen wurde. Und 2007 gab sie eine Prostituierte in dem französischen Film »Irina Palm«, wofür sie auf der Berlinale in Berlin gefeiert wurde.
Geboren wurde Marianne Faithfull am 29. Dezember 1946 in London als Tochter eines hohen Offiziers der britischen Armee und Literatur-Professors an der University of London und einer Wiener Baronin und Ex-Ballett-Tänzerin, Eva von Sacher-Masoch, Nachfahrin des Schriftstellers Leopold von Sacher-Masoch (nachdem der Begriff Masochismus benannt ist). Statt auf die Hochschule zu gehen, sang Faithfull lieber in Londoner Kaffeehäusern Folk-Songs. Von ihrer Schönheit beeindruckt ließ der Manager der Rolling Stones‚ Andrew Loog Oldham, die 17jährige 1964 den Rolling Stones-Song »As Tears Go By« singen. Es war das erste von Jagger und Richards verfasste Lied und wurde mit ihr ein Top-Ten-Hit in Großbritannien. Drei weitere Top-Ten-Hits folgten im folgenden Jahr. So wie auch zwei am gleichen Tag veröffentlichte Alben, eins mit Pop, das andere mit Folk-Songs, beide aber von eher gemischter Qualität. Dafür aber wurden Faithfull und Mick Jagger eines der glamourösesten Paare in London. Sie brachte ihm bei, was sie über Literatur und Kunst wusste, und er lehrte sie Musikgeschichte. Bei einer Drogen-Razzia 1967 verhaftete die Polizei Jagger und Richards und fand Faithfull nackt in einem Pelz vor, was dann durch alle Zeitungen ging: »Das hat mich vernichtet«, sagte sie später einem Magazin (während Jagger und Richards – als Männer – eher gestärkt aus der Sache hervorgingen). Zwei Jahre später nahm sie während eines Fluges nach Australien 100 Pillen eines Barbiturats ein und fiel für sechs Tage ins Koma. Die Beziehung zu Jagger war damit beendet: »Ich wollte raus aus dieser Welt«, so Faithfull. »Es ist eine große Ehre eine Muse zu sein, aber das ist ein sehr schwerer Job.« Doch sie kam vom Regen in die Traufe: Für eine längere Zeit lebte sie als Heroinabhängige obdachlos in London. Ein neues Album 1976 schaffte es immerhin auf die Eins in Irland (wo sie bald einige Jahre leben sollte). Doch den großen Durchbruch brachte 1979 das Album »Broken English«, »eine hippe Antwort auf Lotte Lenya oder eine punkige Marlene Dietrich«, wie die New York Times schrieb. Das Album wurde nicht nur von den Kritikern gefeiert, sondern verkaufte sich auch gut – Platin-Status in England – und erhielt eine Grammy-Nominierung (auf dem Album befindet sich auch der linke John-Lennon-Song »Working Class Hero«). Weitere Alben folgten, darunter »20Th Century Blues« mit Songs aus der deutschen Weimar-Zeit und »The Seven Deadly Sins« mit Bertolt-Brecht- und Kurt-Weill-Liedern. In den Nuller Jahren arbeitete sie auf zwei Alben mit jüngeren Musikern zusammen, die sie verehrten, darunter Damon Albarn von Blur, Beck, Nick Cave, Jarvis Cocker von Pulp, Billy Corgan von The Smashing Pumpkins, PJ Harvey und Dave Stewart von The Eurythmics. Ihr letztes Album veröffentlicht sie 2021: »She Walks in Beauty« war eine Kollaboration mit dem australischen Komponisten und Multi-Instrumentalisten Warren Ellis. Dieser erklärte über Faithfull: »Sie hat ihr Leben selbst in die Hand genommen.« Vielleicht sollte das auf ihrem Grabstein stehen.