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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Monatsrückblick: Verlässlichkeit

Es ist doch immer wie­der Ver­lass dar­auf, dass die Amis schnel­ler und bes­ser schie­ßen als den­ken. Und dass Atten­ta­te dort wie bestellt kom­men. Und dann nicht wirk­lich auf­ge­klärt wer­den kön­nen, weil die Atten­tä­ter tot sind, bevor irgend­wer irgend­was unter­su­chen kann. Man könn­te zum Ver­schwö­rungs­theo­re­ti­ker wer­den. Aber die Ver­schwö­rung besteht ja gera­de dar­in, dass die­ses System unge­stört von irgend­wel­chen recht­li­chen Hin­der­nis­sen schal­ten und wal­ten kann, wie es will. Die Bör­se bricht jeden­falls nicht ein, weil ein jun­ger Mann dem Ex- und wie­der-Prä­si­den­ten ein Ohr durch­lö­chert und einen Unbe­tei­lig­ten erschos­sen hat. Aber wenn Ex-Prä­si­dent Oba­ma auf X behaup­tet: »Es gibt abso­lut kei­nen Platz für poli­ti­sche Gewalt in unse­rer Demo­kra­tie«, dann lebt er offen­bar in einer ande­ren (jW, 17.07.24).

Ver­läss­lich berich­tet die freie Pres­se im Westen nicht über rus­si­sche Akti­vi­tä­ten in der UNO, auch wenn die­se in der übri­gen Welt star­ke Beach­tung fin­den. Außen­mi­ni­ster Law­row hielt am 16.07. eine Rede im Sicher­heits­rat. Er klag­te die USA und ihre Ver­bün­de­ten an, die Grund­sät­ze der Zusam­men­ar­beit in der UNO immer wie­der zu ver­let­zen, und leg­te dar, wie die glo­ba­len Pro­ble­me gelöst wer­den könn­ten. Näm­lich durch gleich­be­rech­tig­te Staa­ten, die auf Augen­hö­he und mit gegen­sei­ti­gem Respekt mit­ein­an­der ver­han­deln, wie dies im BRICS-Bünd­nis geschieht. Wäh­rend die US-Regie­rung immer wie­der die UN-Beschlüs­se als nicht bin­dend erklä­re und ihre eige­nen Ver­bün­de­ten zu Befehls­emp­fän­gern degra­die­re. Law­row sag­te u. a.: »Washing­ton hat alles getan, um die Grund­la­gen der für bei­de Sei­ten vor­teil­haf­ten Ener­gie­zu­sam­men­ar­beit zwi­schen Russ­land und Deutsch­land und Euro­pa ins­ge­samt zu zer­stö­ren« – auch buch­stäb­lich durch die Orga­ni­sa­ti­on von Ter­ror­an­schlä­gen auf die Nord-Stream-Gas­pipe­lines. Ber­lin hat damals geschwiegen.

Heu­te erle­ben wir eine wei­te­re Demü­ti­gung Deutsch­lands, des­sen Regie­rung der Ent­schei­dung der USA, boden­ge­stütz­te Mit­tel­strecken­ra­ke­ten auf deut­schem Ter­ri­to­ri­um zu sta­tio­nie­ren, bedin­gungs­los gehorcht hat. Der deut­sche Bun­des­kanz­ler Scholz sag­te ein­fach: »Die USA haben ent­schie­den, Prä­zi­si­ons­an­griffs­waf­fen in Deutsch­land zu sta­tio­nie­ren, und das ist eine gute Ent­schei­dung.« Die USA haben ent­schie­den. Und bei all dem erklärt John Kir­by, der Medi­en-Koor­di­na­tor in Washing­ton, im Namen des US-Prä­si­den­ten: »Wir stre­ben kei­nen drit­ten Welt­krieg an. Er hät­te schreck­li­che Fol­gen für den euro­päi­schen Kontinent.«

Aber die euro­päi­schen Ver­bün­de­ten erfah­ren ja nicht ein­mal etwas davon, denn das ist natür­lich alles rus­si­sche Pro­pa­gan­da, und wer Glei­ches behaup­tet, ist ein Troll Putins. Alles Trol­le, außer Mut­ti. Da hel­fe ich lie­ber gleich durch die­ses über­lan­ge Zitat bei der Pro­pa­gan­da-Ver­brei­tung. Ich hal­te fest: Russ­land hält offi­zi­ell die US-Regie­rung für ver­ant­wort­lich für die Spren­gung der North-Stream-Pipe­lines. Russ­land beschul­digt die USA, Euro­pa der Zer­stö­rung anheim­zu­ge­ben, die ein Drit­ter Welt­krieg bedeu­ten wur­de. Das ist schar­fer Tobak, und es wird nicht dadurch aus der Welt geschafft, dass die west­li­chen Medi­en dar­über den Man­tel des Schwei­gens brei­ten. Denn in der übri­gen Welt wird es zur Kennt­nis genom­men, dar­auf ist Verlass.

Ab und zu gibt es außer Reden ja auch ver­läss­li­che Zah­len, z. B. zu der Mehr­heit der Aktio­nä­re der DAX-Kon­zer­ne. Deut­sche Anle­ger hiel­ten im Schnitt nur gut ein Drit­tel der Dax-Akti­en (33,6 Pro­zent). Rund jedes zwei­te Papier (51 Pro­zent) war dage­gen in Besitz aus­län­di­scher Inve­sto­ren. Der Rest des Akti­en­be­stands ließ sich nicht zuord­nen, zeigt eine Anfang August vor­ge­stell­te Stu­die der Wirt­schafts­prü­fungs­ge­sell­schaft EY (dpa/​jW, 02.08.24). So viel zur Sou­ve­rä­ni­tät der Bun­des­re­pu­blik, ganz ohne iden­ti­tä­re Gefühlsduselei.

In der BRD sit­zen die Mäch­ti­gen sicher, denn sie haben zwar nicht recht, aber das Recht. Die jun­ge Welt darf wei­ter­hin vom Ver­fas­sungs­schutz beob­ach­tet wer­den, weil sie sich als »mar­xi­stisch-leni­ni­stisch« bezeich­net und damit die Frei­heit­lich-demo­kra­ti­sche Grund­ord­nung bekämpft, meint der Rich­ter. Die­se nir­gend­wo defi­nier­te Grund­ord­nung – nicht zu ver­wech­seln mit dem Grund­ge­setz – muss immer dann her­hal­ten, wenn es eigent­lich um das Pri­vat­ei­gen­tum geht. Aber nicht jedes. Pri­vat­ei­gen­tum von Jür­gen Elsäs­ser ist das Maga­zin com­pact, und es wur­de trotz­dem ver­bo­ten. Wegen »gei­sti­ger Brand­stif­tung«, wenn man Innen­mi­ni­ste­rin Faeser glau­ben will (jW, 17.07.24).

Pro­test bei den gei­sti­gen Brand­stif­tern von der AfD. Muss die Demo­kra­tie mal wie­der geschützt wer­den vor Pres­se­er­zeug­nis­sen? Oder nicht doch eher vor einer Regie­rung, die die Pres­se­frei­heit mit Füssen tritt? Wie Ver­fas­sungs­schutz­prä­si­dent Hal­den­wang am 1. April in der FAZ erklärt hat­te: Nicht nur »Gewalt­auf­ru­fe« oder kon­kre­te Pla­nung von Gewalt sei­en Anlass, tätig zu wer­den, son­dern auch die »Dele­gi­ti­mie­rung« der Bun­des­re­pu­blik oder eines ihrer poli­ti­schen Ver­tre­ter. Und was ist »Deli­gi­ti­mie­rung« ande­res als unbot­mä­ßi­ge Kri­tik? Jür­gen Elsäs­sers wider­li­che Mischung aus lech­tem und rin­kem Gedan­ken­gut muss man wirk­lich nicht lesen – aber die grund­ge­setz­lich geschütz­te Mei­nungs­frei­heit ist mal wie­der von Regie­rungs­sei­te ange­grif­fen wor­den, etwas, das Mini­ste­rin Faeser für einen »nor­ma­len Vor­gang« hält (jW, 16.08.24) – genau so nor­mal, wie dass das Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt die­sen Vor­gang für recht­lich nicht ver­tret­bar hält. Es geht ja nicht gegen »Mar­xi­sten-Leni­ni­sten« wie die jun­ge Welt.

Kein Ver­lass ist mehr auf die Deut­sche Bahn. Aber auf Fried­rich Merz. Im ARD-Som­mer­in­ter­view führ­te er am 15.07. aus, dass die Deut­sche Bahn nicht etwa saniert wer­den sol­le, um dem Öffent­li­chen Nah- und Fern­ver­kehr wie­der gewach­sen zu sein. Im Gegen­teil: »Die Bahn muss ihr Ange­bot redu­zie­ren, damit das redu­zier­te Ange­bot wie­der zuver­läs­sig erbracht wer­den kann« (jW, 16.07.24).

So, wie die Kran­ken­häu­ser redu­ziert wer­den müs­sen, und das Sozi­al­we­sen und über­haupt alles, was nicht der Rüstung oder dem Auto­bahn­bau nutzt. Lei­der ist kein Ver­lass dar­auf, dass die CDU für sol­che Vor­schlä­ge vom Wäh­ler abge­straft wird.

Auch kein Ver­lass mehr ist auf den Ober­kom­man­die­ren­den der ukrai­ni­schen Armee, Gene­ral Oleksan­dr Syrs­kyj. Die Abge­ord­ne­te Mar­ja­na Besu­g­la (Par­tei Die­ner des Vol­kes) über­zieht Syrs­kyj und ande­re Gene­rä­le seit Wochen mit Straf­an­zei­gen und warf ihm zuletzt vor, »nicht an den Sieg der Ukrai­ne zu glau­ben« und ins­ge­heim einen Waf­fen­still­stand mit Russ­land anzu­stre­ben (jW, 16.07.24). »Über­all Gei­ster­fah­rer!« ruft der Gei­ster­fah­rer, der in Rich­tung Krieg auf der Auto­bahn unter­wegs ist in Rich­tung Osten.