Ich gebe ja zu, ich verstehe es auch nicht. Also gut, ich verstehe, dass weniger Wahlberechtigte SPD, FDP, Grüne und CDU wählten (ich habe ja auch nie kapiert, dass so viele sie bisher gewählt haben). Ich kann auch noch nachvollziehen, weshalb so viele Wähler nun AfD oder BSW gewählt haben: Auf jeden Fall was Anderes als das Bisherige!
Aber was jetzt in den Medien und in den Landesparlamenten abgezogen wird, das ist jenseits meines Verständnisses. Da gibt die Brandenburger CDU der SPD die Schuld an ihren Stimmverlusten: Woidke hätte zugespitzt! Und auch die Brandenburger GRÜNEN haben die SPD als Schuldige an ihrem Desaster ausgemacht. Die LINKE gibt natürlich dem BSW die Schuld – dabei ist das BSW ja schon die Antwort auf das politische Versagen der LINKEN. Kein Wahlverlierer sieht die Schuld bei seinem eigenen Verhalten, auf das die Wähler eine vernichtende Quittung gaben.
Und die Medien? Die überschlugen sich vorher schon mit Untergangsprophezeihungen, wenn die AfD über 30 Prozent der Stimmen bekommt – und fragen sich jetzt nicht etwa, ob sie mit ihren Unkenrufen vielleicht auch eine Mitschuld haben? Nein, sie haben alles getan, um die AfD zu verteufeln. Bloß, wer den Teufel an die Wand malt, macht ihn damit erst real, oder? Wenn sich ein Wähler gefragt hat: Wie kann ich die jeweilige Regierung am meisten ärgern? Dann war die Antwort klar: Indem du dein Kreuz bei der AfD machst. Eine wirkliche Alternative zum Politikscheitern in allen Bereichen der Daseinsvorsorge gibt es nicht auf weiter Flur. Es sei denn, man glaubt, weniger Ausländer machen die Bahn zuverlässiger und halten den Klimawandel auf. Wenn CDU und SPD vereint Grenzkontrollen und Bezahlkarten zu ihrem Schwerpunktthema machen, wer kann ihnen dann noch Lösungen für die wirklich brennenden Problemen zutrauen? Ganz zu schweigen von der Abwehr eines Krieges mit Russland? Vor dem haben nämlich viele Wähler Angst. Die Mehrheit in Deutschland ist laut Umfragen immer noch nicht davon überzeugt, dass die Ukraine Russland besiegen wird oder wir es ruinieren können (bevor wir uns selbst ruiniert haben). Und das, obwohl andere Meinungen in den Medien schon gar nicht mehr präsentiert werden ohne das diffamierende Schild: Putin-Troll. Offenbar verstehen weder Medien noch Politiker, was die Bürger wollen: In Frieden und Sicherheit leben und eine wirtschaftliche Perspektive für sich und ihre Kinder und Enkel erkennen.
Die »Werte der freien Welt« erscheinen nämlich überflüssig, wenn die Freiheit darin besteht, unter Brücken zu schlafen, die jederzeit zusammenbrechen können. Und die Vorteile einer repräsentativen Demokratie zerbröseln, wenn wie in Thüringen die gewählten Landtage sich nicht einmal konstituieren können, weil Geschäftsordnungsanträge nicht abgestimmt werden (jW 27.09.24). Und das wird so weitergehen, wenn die Altparteien keinen vernünftigen Umgang untereinander und mit den neuen Parteien in den Parlamenten finden. Das stärkt die AfD, die die repräsentative Demokratie nach außen hin zum Kotzen findet, aber gerne deren Vorteile nutzt.
Und warum hatte sich die Thüringer CDU dagegen gesträubt, die Geschäftsordnung des Landtags vor der Wahl so zu ändern, dass kein Alterspräsident aus der AfD seine kurze Macht als vorläufiger Landtagspräsident ausnutzen kann? Wie in heute vom 26.09.24 erklärt wurde, haben Politikwissenschaftler die Situation nämlich kommen sehen und zur Vorbeugung eine Änderung der Geschäftsordnung vorgeschlagen.
Versteht jemand, warum trotz wirtschaftlicher Rezession in Deutschland mehr gearbeitet wird als je zuvor? Das Arbeitsvolumen sei auf 14,7 Milliarden Stunden gestiegen und liege damit erstmals über dem Stand vor der Coronakrise, teilte das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg mit. »In Deutschland wurde noch nie so viel gearbeitet – mitten im Wirtschaftsabschwung«, sagte IAB-Arbeitsmarktforscher Enzo Weber. Der bisherige Höchstwert war im zweiten Quartal 2019 mit 14,6 Milliarden Arbeitsstunden erreicht worden. Die Arbeitszeit pro Person stieg laut IAB um 0,4 Prozent gegenüber dem Vorjahresquartal. (dpa/jW 03.09.24)
Immer mehr Arbeit und immer weniger Arbeitsplätze? Immer mehr martialische Ausgaben und immer weniger Sicherheit? Immer mehr Regulierungen und immer mehr Umweltverschmutzung und Rechtsbeugung? Das letztere verstehen jetzt auch die Vorsitzenden der Grünen Jugend nicht mehr. In der Nacht zum 26.09.24 verkündete der komplette Vorstand, er werde der Mutterpartei Bündnis 90/Die Grünen den Rücken kehren. Die zwölf Nachwuchspolitiker wollen nach dem Bundeskongress Mitte Oktober in Leipzig geschlossen den Verband verlassen. »Wir werden uns danach aufmachen, einen neuen, dezidiert linken Jugendverband zu gründen«, so der Vorstand der Grünen Jugend in einer Erklärung (jW 27.09.24). Sie schreiben ihrer Partei ins Stammbuch: »Die Lebensmittelpreise steigen, die Mieten explodieren, harte Arbeit erfährt kaum noch Wertschätzung. Wir beobachten mit Sorge, dass viele Menschen gerade den Glauben daran verlieren, dass es irgendwann mal besser werden kann.« Hey, ich versteh’s nicht: Ihr fühlt Euch als links und seid bei den GRÜNEN? Und ihr habt das erst jetzt entdeckt, dass in und mit den GRÜNEN offenbar kein Blumentopf (sprich: Posten) bei Wahlen mehr zu gewinnen ist?
Da lob ich mir doch die Labour-Party, die auf ihrem Parteitag in Liverpool ihrem Premierminister bei wichtigen Abstimmungen Paroli bot (jW 27.09.24). Da scheint jemand etwas verstanden zu haben …