40 Jahre nach »1984« verkündet das Wahrheitsministerium permanent: Krieg ist Frieden und umgekehrt. Und Steuererleichterung für Gutverdiener ist sozial.
»15 Milliarden Euro für die arbeitende Mitte!«, rief FDP-Abgeordneter Toncar am Freitag bei der Diskussion um den Haushaltsbeschluss im Bundestag mit breiter Brust (jW 03.02.24). Die »arbeitende Mitte« sind Familien mit 15.000 € monatlichem Einkommen, die nun bei der Lohn- und Einkommenssteuer um ca. 1400 € im Jahr entlastet werden. Dafür dürfen eben keine neuen Sozialvorhaben für die »arbeitslosen Unteren« mehr erlaubt werden. Nein, so hat das Herr Lindner natürlich nicht gesagt. Denn das geschieht nur für Deutschlands Stärke! Nur dass Kanonen halt nicht satt machen oder die Wohnung warm. Dafür hat Bundesarbeits- und Sozialminister Hubertus Heil einen »Jobturbo« gezündet für ukrainische Geflüchtete in Deutschland – vor drei Monaten. Der Turbo ist kläglich krepiert: Am 09.02. veröffentlichte die Bundesagentur für Arbeit ihre Zahlen: Eine halbe Million erwerbsfähiger Ukrainer sind trotz zum Teil hoher Qualifikation immer noch ohne Arbeit, es waren im Januar sogar mehr als im Dezember 2023. Und auch die Zahl der Teilnehmer an sprachlichen Integrationskursen sank im Januar. Merke: »Wumms« geht in Deutschland zwar mit immer mehr Waffen, aber nicht im wirklichen Leben, da gehen vollmundige Ankündigungen von Sozialministern eher in die Hose. Auch wenn man sie, wie Argentiniens anarcho-kapitalistischer Präsident Milei, treffender in »Minister für Humankapital« umbenennt. Anfang Februar forderte in Argentinien die Ministerin für Humankapital im Rundfunk die Armen auf, einzeln zu ihr zu kommen, um individuelle Hilfe zu erhalten. Daraufhin bildete sich eine kilometerlange Schlange vor ihrem Ministerium (jW 07.02.24). Was aus dieser Schlange geworden ist, davon schweigen die Medien.
Nachdem er dies bereits seit längerem angekündigt hatte, aber keine bereitwilligen Nachfolger fand, entließ der Präsident der Ukraine Selenskyj den Oberbefehlshaber der Armee Saluschnyj und ersetzte ihn durch den bisherigen Chef der Landstreitkräfte Syrskyj. Der kündigte einen »Neustart der Generäle« an. Es werde ein »Reset-Team« geben, das Syrskyj in den kommenden Tagen vorstellen solle. Außerdem soll dann »ein realistischer, detaillierter Aktionsplan« für 2024 auf dem Tisch liegen, »der die reale Situation auf dem Schlachtfeld berücksichtigt«. Dieser Plan liegt auch Ende Februar noch nicht vor. Dabei war es doch Saluschnyj, der den realen Zustand der ukrainischen Armee gegenüber westlichen Medien andeutete. Sein Nachfolger Syrskyj selbst bedankte sich bei den früheren Kommandeuren und Veteranen der Armee, die »in den zehn Jahren (!) des russisch-ukrainischen Krieges« alles unternommen hätten, um »die Fähigkeiten der ukrainischen Armee – das wahre, solide Fundament unserer Staatlichkeit – wiederherzustellen« (jW 10./11.02.24). Herr Syrskyj muss wohl noch üben, um die westliche Sprachregelung nicht zu blamieren. Der Krieg begann eben nicht 2022, sondern 2014, und der ukrainische Staat stützt sich nur auf die Armee (»das wahre, solide Fundament unserer Staatlichkeit«).
Der verurteilte russische Oppositionelle Alexej Nawalny ist im sibirischen Arbeitslager verstorben – natürlich haben die Medien sofort den üblichen Schuldigen gefunden. Die Frage, warum in aller Welt Putin einen gefangenen, in Russland nie erfolgreichen Gegner auch noch umbringen lassen sollte, interessiert hier keinen. »Die Rückkehr war das Todesurteil« schreibt die MAZ (MAZ 17.02.24). Das ist wohl wahr, aber dieses Urteil wurde von Nawalnys Auftraggebern vollstreckt: Sein Tod kommt genau richtig, um a) im russischen Wahlkampf Putin zu diskreditieren – was kaum gelingen wird – und b) im Westen vom drohenden Todesurteil gegen Assange abzulenken, der am 21.02. letztmalig vor Gericht die Gelegenheit hatte, seine Auslieferung an die USA zu verhindern. Er konnte bei seinem Prozess nicht mehr dabei sein, weil sein Gesundheitszustand dies nicht zuließ. Wer wirklich gegen Misshandlung und Ermordung von politischen Gefangenen eintreten will, der kehre erstmal vor der eigenen Tür! Das tut die Bundesregierung natürlich nicht, sie hat »Vertrauen in die Gerichtsbarkeit Großbritanniens«. In die US-Gerichtsbarkeit auch? Dazu schweigt das Wahrheitsministerium.
Wie es auch schweigt zu Israels Plänen, eine Zukunft ohne Palästinenser zu erreichen – mit deren Ausrottung durch Hunger, katastrophale Gesundheitsbedingungen und Bombardierung. Und zum Schluss durch Einmarsch in die gesäuberten Gebiete? Noch haben sie das O. K. der US-Regierung dazu nicht. Die haben ihren früheren Verbündeten Saudi-Arabien wohl (noch) nicht so weit, dazu die Augen zuzudrücken. Die arabischen Regierungen haben zwar bisher nicht viel für die Palästinenser getan, aber ihre Bevölkerung scheint das nicht länger hinnehmen zu wollen. Die jemenitischen Ansarullah zeigen derzeit, wie angreifbar der Westen ist, der auf die Durchfahrt des Suezkanals nicht verzichten kann und will. Da deutet das Wahrheitsministerium dann Freund-Beschuss der deutschen Fregatte um in erfolgreiche Drohnenabschüsse durch deutsche Artillerie (jW 29.02.24) – die Freiheit der deutschen Wirtschaft wird mal wieder außerhalb des Landes »verteidigt«, nicht am Hindukusch, sondern im Roten Meer. Das hat sich ja schon einmal als Israel-freundlich erwiesen, laut biblischem Bericht, und das Heer der Ägypter verschlungen. Gläubig müsste man sein!
So gläubig wie die Bundesregierung, die ein Regierungsprogramm für »Startchancen« an deutschen Schulen vorlegt. Mit 20 Milliarden Euro für 10 Jahre, was nicht einmal halb so viel ist, was allein für die Sanierung der Schulen nötig wäre laut Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (jW 15.02.24). Rechnen müsste man können! Aber Minus ist Plus, wie das Wahrheitsministerium verkündet.