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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Monatsrückblick: Sachbezogen

Face­book kann sei­ne Algo­rith­men zum Her­aus­fil­tern von Hass­mails ver­schrot­ten. Es gibt kei­ne Hass­mails. Das sind alles nur sach­be­zo­ge­ne Mei­nungs­äu­ße­run­gen. Auch kei­ne Belei­di­gun­gen. Denn es geht da – laut Urteil des Ber­li­ner Land­ge­richts in der Cau­sa Kün­ast gegen Face­book – »… dem Äußern­den erkenn­bar nicht dar­um, die Antrag­stel­le­rin als Per­son zu dif­fa­mie­ren …« Der Äußern­de will nur sei­ne Mei­nung – sach­be­zo­gen – zu einem Pro­blem dar­stel­len. Uff, da sind wir aber erleich­tert! Die Äuße­rung »Du ver­damm­ter Rich­ter, du!« ist also kei­ne Belei­di­gung, son­dern eine sach­be­zo­ge­ne Äußerung.

Sach­be­zo­gen ver­hält sich auch Boris John­son. Ob das Gericht nun sei­ne Beur­lau­bung des Par­la­ments für null und nich­tig hält oder nicht: Er führt das jahr­hun­der­te­al­te par­la­men­ta­risch-demo­kra­ti­sche Regle­ment der­art vor, dass sei­ne Anhän­ger dar­in bestä­tigt wer­den, dass allein er (even­tu­ell noch Nigel Fara­ge) recht hat und die Schwatz­bu­de geschlos­sen wer­den muss.

Auch Trump macht das so. Impeach­ment-Ver­fah­ren? Weil er sei­nen ukrai­ni­schen Statt­hal­ter gebe­ten hat, einen mög­li­chen Prä­si­dent­schafts­kan­di­da­ten der Demo­kra­ten zu bela­sten? So what? Das ist selbst­ver­ständ­lich nur eine wei­te­re Hexen­jagd sei­ner Geg­ner auf Trump. Es wird sei­ne Anhän­ger noch mehr davon über­zeu­gen, dass er ihr Mann gegen das »Estab­lish­ment« ist.

Und auch die Bun­des­re­gie­rung arbei­tet erfolg­reich dar­an, das par­la­men­ta­ri­sche System zu dis­kre­di­tie­ren. Die Ergeb­nis­se des Kli­ma­ka­bi­netts sind der­ar­ti­ge Kin­ker­litz­chen, dass nur noch der Ruf nach einem »star­ken Mann« zu ertö­nen braucht, um das Kar­ten­haus Demo­kra­tie zum Ein­sturz zu bringen.

Vor­ge­baut haben die Geld­ge­ber der AfD: Die Par­tei steht bereit – hat zwar kei­ne Lösun­gen für anste­hen­de Pro­ble­me, kann aber gut den Unmut der Beherrsch­ten ein­fan­gen – sach­be­zo­gen unsach­lich. Und Bernd Höcke wird dann »… eine inter­es­san­te per­sön­li­che, poli­ti­sche Per­son in die­sem Land. Könn­te doch sein«. (ZDF-Inter­view vom 15.9.19)

Dage­gen erschei­nen die Kin­der und Jugend­li­chen auf ihren Demon­stra­tio­nen »for future« erfreu­lich sach­be­zo­gen und sach­lich. Ein gro­ßer Erfolg, dass 1,4 Mil­lio­nen Men­schen in Deutsch­land fried­lich und mit Elan pro­te­stier­ten. Aller­dings passt die welt­wei­te Kli­ma-Kam­pa­gne auch ins Kon­zept des Regime Chan­ge in Russ­land und Hong­kong – oder bes­ser gleich in ganz Chi­na, aber viel­leicht bin ich schon paranoid.

Chi­na kann in vier Jah­ren einen Groß­flug­ha­fen bau­en, der auch noch funk­tio­niert? Pfui! Das sind erstens nur Zwangs­maß­nah­men, und zwei­tens wol­len wir doch gera­de den Flug­ver­kehr zurück­dre­hen! Der BER war die erste Maß­nah­me, um Flug­zeu­ge am Boden zu hal­ten, wir hat­ten das bis­her nur nicht rich­tig ver­stan­den! Nicht lachen: Die De-Indu­stria­li­sie­rung der DDR wird ja auch als Erfolg in der Sen­kung des CO2-Aus­sto­ßes verkauft.

Mon­sieur Macron ver­kauft uns die Här­te sei­ner Poli­zei gegen die Gelb­we­sten als harm­los: »Kei­ne irrepa­ra­blen Schä­den« habe die Poli­zei bei ihren bru­ta­len Ein­sät­zen gegen die Gelb­we­sten ver­ur­sacht (jW, 30.8.19). Sach­be­zo­gen heißt das: 23 Men­schen haben ein Auge ver­lo­ren, fünf eine Hand, zehn erlit­ten schwe­re Ver­let­zun­gen an Füßen und am Kie­fer, ein »fete de la musique«-Teilnehmer wur­de in die Loire geschubst und ertrank. Ist alles repa­ra­bel. Denn es ist nicht in Hong­kong pas­siert. Dort wäre es ein Ver­bre­chen gegen die Mensch­lich­keit gewe­sen, gegen das streng­ste inter­na­tio­na­le Maß­nah­men hät­ten ergrif­fen wer­den müs­sen. Das Stür­men eines Par­la­ments­ge­bäu­des dort ist rein sach­be­zo­gen fried­lich und nur dem Drang nach Demo­kra­tie geschuldet.

Dass »Ger­man Angst« ein welt­weit bekann­ter Begriff ist, haben die letz­ten Umfra­gen wie­der mal als sach­be­zo­gen erwie­sen. Die Deut­schen fürch­ten sich zwar weni­ger als in den letz­ten Jah­ren. Aber am mei­sten fürch­ten sie sich vor »einer Über­for­de­rung des Staa­tes durch Flücht­lin­ge, vor Span­nun­gen durch den Zuzug von Aus­län­dern und vor der Poli­tik von Donald Trump«. (Mär­ki­sche All­ge­mei­ne Zei­tung, 6.9.19) Seit 1992 wer­den jähr­lich 2400 Deut­sche im Auf­trag der R+V-Versicherung nach ihren Äng­sten befragt. Die Angst vor den Fol­gen des Kli­ma­wan­dels ist noch nicht in der Bevöl­ke­rung ange­kom­men, sie ran­giert erst auf Platz zwölf. Das Ergeb­nis wird ver­mut­lich die AfD »sach­ge­recht« ver­wur­sten, wenn sie den men­schen­ge­mach­ten Kli­ma­wan­del und sei­ne Fol­gen für Pro­pa­gan­da hält. Denn was zu fürch­ten ist, bestimmt nicht die Rea­li­tät, son­dern die Statistik.

Apro­pos Kli­ma­wan­del: Der stärk­ste Hur­ri­kan wütet tage­lang über den Baha­mas – und Prä­si­dent Trump geht gol­fen! Dar­über empö­ren sich vie­le Medi­en, aber war­um eigent­lich? Was erwar­ten sie? Dass Trump sich per­sön­lich dem Sturm ent­ge­gen­stellt? Dass er ihn wegt­wit­tert? Dass er »Anteil­nah­me zeigt«, wie alle Regie­run­gen Süd­ame­ri­kas und der Kari­bik? Das wäre ja so, als wür­de man von Mer­kels Kabi­nett einen Plan gegen den Kli­ma­wan­del ver­lan­gen! Die Gro­Ko beschließt dage­gen, auf Inlands­flü­gen Ölhei­zung zu ver­bie­ten. Gehen ihr die Demon­stran­ten in Deutsch­lands Städ­ten so am Arsch vor­bei? Bit­te, das ist rein sach­be­zo­ge­ne Kri­tik! Nicht mal »geschmack­los«.

Denn »geschmack­los« ist laut säch­si­scher Staats­an­walt­schaft die Trans­pa­rent-Auf­schrift: »Was reimt sich auf Zykon B? Fei­ne Sah­ne Fisch­fi­let«. Die­ses gro­ße Trans­pa­rent konn­ten Neo­na­zis am 21. August unge­hin­dert am hell­lich­ten Tag mit­ten in Dres­den auf­hän­gen, gegen­über der Büh­ne, auf der die Band »Fei­ne Sah­ne Fisch­fi­let« auf­trat. Zyklon B war ja auch geschmack- und geruch­los. Damit die zu Ver­ga­sen­den nichts von ihrem nahen Tod ahn­ten und womög­lich noch in Panik gerie­ten und die geord­ne­ten Mord­ab­läu­fe stör­ten. Es reimt sich aber noch viel mehr dar­auf: »AfD« zum Bei­spiel. Bit­te – rein sach­be­zo­ge­ne Meinungsäußerung!

Die AfD hat in Bran­den­burg 23 Pro­zent, in Sach­sen 27 Pro­zent, zusam­men sind das 50 Pro­zent der Wäh­ler! Das hat kei­ne ande­re Par­tei erreicht! Naja, so rech­net jeden­falls ein AfD­ler aus Bay­ern (MAZ, 5.9.19). Ande­rer­seits haben 40 Pro­zent der Wahl­be­rech­tig­ten nicht gewählt. Wen sie gewählt haben wür­den, wenn sie zur Wahl gegan­gen wären, das weiß man nicht. War­um sie nicht zur Wahl gegan­gen sind, kann man auch nur raten. Geht ihnen die gan­ze Poli­tik so am Arsch vor­bei? Dann reagie­ren sie ein­fach nur sach­be­zo­gen! Aller­dings: Ihren Aller­wer­te­sten ret­ten sie damit auch nicht, denn der wird gera­de sach­be­zo­gen von der Wirt­schafts­kri­se auf Grund­eis gesetzt. Die ersten Kon­zer­ne las­sen schon kurzarbeiten.