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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Monatsrückblick: Heucheln und Meucheln

Das »Gesetz zur Ver­bes­se­rung der Rück­füh­rung« von Aus­län­dern ohne Auf­ent­halts­ge­neh­mi­gung wur­de am 18.01.24 im Bun­des­tag mit den Stim­men der Regie­rungs­par­tei­en ver­ab­schie­det. Es ent­hält u.a. eine Ver­län­ge­rung des soge­nann­ten Abschie­be­ge­wahr­sams – im Klar­text: Haft ohne Rechts­grund – von zehn auf 28 Tage, die Abho­lung soge­nann­ter Aus­rei­se­pflich­ti­ger auch in der Nacht sowie Durch­su­chung von Gemein­schafts­un­ter­künf­ten und Woh­nun­gen bei der Jagd auf Men­schen, die zunächst nicht ange­trof­fen wur­den. Ver­stö­ße gegen Ein­rei­se- und Auf­ent­halts­ver­bo­te wer­den künf­tig als eigen­stän­di­ger Grund für Abschie­be­haft gewer­tet. Beson­ders soll die Abschie­bung von Straf­tä­tern sowie von Poli­zei­be­hör­den will­kür­lich als »Gefähr­der« ein­ge­stuf­ten Per­so­nen erleich­tert wer­den. Nach der Ver­ab­schie­dung des Gesetz­ent­wurfs im Kabi­nett am 25. Okto­ber 2023 hat­te die Flücht­lings­schutz­or­ga­ni­sa­ti­on Pro Asyl »rechts­staat­lich frag­wür­di­ge Ver­schär­fun­gen« mit »schwer­wie­gen­den Ein­grif­fen in Grund­rech­te ohne jede Ver­hält­nis­mä­ßig­keit« kri­ti­siert. Das Gesetz betrifft gegen­wär­tig unge­fähr 300.000 Per­so­nen. Für CDU/​CSU und AfD noch nicht genug. Die von Bun­des­kanz­ler Scholz im Spie­gel ange­kün­dig­te »Abschie­bung im gro­ßen Stil« sei das noch nicht (jW 19.01.24).

Vor­her sprach der Bun­des­tag in sei­ner aktu­el­len Stun­de über das Tref­fen von Mit­glie­dern der AfD, der CDU und der Wer­te­uni­on mit betuch­ten Unter­neh­mern und Faschi­sten am 25. Novem­ber 2023. Der dort erör­ter­te Plan, Mil­lio­nen Migran­ten und deren »unlieb­sa­me« Unter­stüt­zer aus­zu­wei­sen, unter­schied sich nach Auf­fas­sung der Regie­rungs­par­tei­en und der CDU/​CSU natür­lich fun­da­men­tal von der eige­nen Durch­lö­che­rung von Ver­fas­sung und Rechts­staat (jW 19.01.24). Aber geben ihnen die Tau­sen­de Demon­stran­ten, die jetzt gegen rechts auf die Stra­ße gehen, nicht recht? Die las­sen da die Par­tei­en­ver­tre­ter auch noch Reden hal­ten, die inhalt­lich gar nichts ein­zu­wen­den haben gegen die Poli­tik der AfD, nur dage­gen, dass die Wäh­ler nicht mehr ihnen selbst die Stim­me geben, son­dern gleich dem rech­ten Ori­gi­nal. CDU/​CSU, FDP, GRÜNE und SPD glau­ben, sie mach­ten die bes­se­re AfD-Poli­tik und könn­ten damit den Unmut der Wäh­ler über die Ver­schlech­te­rung ihrer Lebens­be­din­gun­gen von sich fernhalten.

Die einen Sün­den­böcke kann man abschie­ben, die ande­ren aus­hun­gern. Die Total-Sank­tio­nen gegen »Total­ver­wei­ge­rer« jeden Job­an­ge­bots sol­len den Haus­halt, der Anfang Febru­ar end­gül­tig ver­ab­schie­det wer­den soll, jähr­lich um 170 Mil­lio­nen Euro ent­la­sten. Die­se Rech­nung unter­stellt, dass etwa 150.000 Bür­ger­geld­be­zie­hen­de sol­che »Total­ver­wei­ge­rer« sei­en. »So vie­le wil­lent­li­che Ver­wei­ge­rer gibt es nicht«, erklär­te Ulrich Schnei­der, Haupt­ge­schäfts­füh­rer des Pari­tä­ti­schen Wohl­fahrts­ver­bands. Dafür ris­kiert die Regie­rung mal wie­der den Ein­spruch des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts, das bereits 2019 ent­schie­den hat­te, dass die Sozi­al­lei­stung nicht um mehr als 30 Pro­zent gekürzt wer­den darf (jW 19.01.24).

Der Inter­na­tio­na­le Gerichts­hof (IGH) hat ent­schie­den: Über den Vor­wurf des Völ­ker­mor­des, den Süd­afri­ka zur Ankla­ge gemacht hat­te, wird in den fol­gen­den Jah­ren ver­han­delt. Es erkann­te aber jetzt an, dass »zumin­dest eini­ge der von Isra­el im Gaza­strei­fen began­ge­nen Hand­lun­gen und Unter­las­sun­gen unter die Bestim­mun­gen der Völ­ker­mord­kon­ven­ti­on zu fal­len schei­nen«. Also, so das Gericht, müs­se Isra­el Maß­nah­men ergrei­fen, um einen Völ­ker­mord zu ver­hin­dern, die Anstif­tung zum Völ­ker­mord bestra­fen und die Ver­nich­tung von Beweis­ma­te­ri­al unter­bin­den. Außer­dem müs­se es die kata­stro­pha­len Lebens­be­din­gun­gen in Gaza besei­ti­gen und huma­ni­tä­re Hil­fe zulas­sen. Inner­halb eines Monats muss Isra­el einen Bericht über alle Maß­nah­men vor­le­gen, die zur Umset­zung die­ser Anord­nung ergrif­fen wer­den (jW 29.01.24). Isra­el und sei­ne Unter­stüt­zer wur­den damit nicht gestoppt, ande­rer­seits wur­de die Berech­ti­gung der Ankla­ge fest­ge­stellt. Damit sind die USA, das Ver­ei­nig­te König­reich, Deutsch­land und ande­re Mit­glie­der des kol­lek­ti­ven Westens ins Unrecht gesetzt, die alle erklärt haben, dass der süd­afri­ka­ni­sche Fall »recht­lich unbe­grün­det« sei und ver­wor­fen wer­den soll­te. Tat­sa­che ist, dass das Urteil Isra­el aus­drück­lich auf­for­dert, das Töten ein­zu­stel­len. Man kann argu­men­tie­ren, dass der IGH das abso­lu­te Maxi­mum des­sen getan hat, was er im Rah­men sei­ner Zustän­dig­keit und Ver­fah­ren tun kann.

Und was tut Isra­el? Wäh­rend sich in Deutsch­land »Umsied­lungs-Pla­ner« heim­lich tref­fen müs­sen, tanz­ten in Isra­el die »Wie­der­be­sied­ler« am 29.01. in Jeru­sa­lem. Von einer »kar­ne­vals­ar­ti­gen Atmo­sphä­re« sprach das Nach­rich­ten­por­tal Times of Isra­el am Mon­tag. Auch von »Umsied­lung« war am Sonn­tag im Jeru­sa­le­mer Kon­gress­zen­trum viel die Rede. Kom­mu­ni­ka­ti­ons­mi­ni­ster Shlo­mo Karhi von Likud behaup­te­te in sei­ner Anspra­che, Isra­el habe eine »Ver­pflich­tung zum Han­deln«, sogar im Inter­es­se der vom Krieg schwer betrof­fe­nen palä­sti­nen­si­schen Zivi­li­sten, um die »frei­wil­li­ge Aus­wan­de­rung« vor­an­zu­trei­ben. Die Vor­sit­zen­de von Nacha­la, Dani­ella Weiss, setz­te nach: Welt­weit gebe es Mil­lio­nen Kriegs­flücht­lin­ge. War­um soll­ten da aus­ge­rech­net »die Unge­heu­er, die in Gaza auf­wuch­sen«, von der Ver­trei­bung ver­schont blei­ben? (jW 30.01.24) Ja, war­um wohl? Weil sie Men­schen sind und kei­ne Unge­heu­er? Weil die Unge­heu­er auf der ande­ren Sei­te sit­zen? Am frü­hen Mor­gen des 30.01.24 ist eine Spe­zi­al­ein­heit der israe­li­schen Armee in ein Hos­pi­tal in Dschen­in in der besetz­ten West­bank ein­ge­drun­gen und hat drei Män­ner im Schlaf ermor­det (jW 31.01.24). Noch ein­mal: Der IGH hat­te in Punkt 79 sei­ner Ent­schei­dung fest­ge­hal­ten: »Der Gerichts­hof ist fer­ner der Ansicht, dass Isra­el alle in sei­ner Macht ste­hen­den Maß­nah­men ergrei­fen muss, um die direk­te und öffent­li­che Auf­for­de­rung zum Völ­ker­mord an den Mit­glie­dern der palä­sti­nen­si­schen Grup­pe im Gaza­strei­fen zu ver­hin­dern und zu bestrafen.«

Heu­cheln und Meu­cheln – dar­in sind die soge­nann­ten regel­ba­sier­ten Demo­kra­tien Meister.

P.S. In Japan hat die Gewin­ne­rin eines renom­mier­ten Lite­ra­tur­prei­ses ein­ge­räumt, dass etwa »fünf Pro­zent« ihres Buchs von Chat-GPT ver­fasst wur­den (AFP/​jW 19.01.24). Von mei­nem obi­gen Arti­kel sind null Pro­zent von KI ver­fasst. Der Rest ist mit Mel­dun­gen aus der jun­gen Welt, dem Blog von Mat­thi­as Broeckers und Por­ta­len wie apo­lut, Nach­denk­sei­ten und Mano­via unter­füt­tert, die ich hier­mit nach­drück­lich zur Lek­tü­re emp­feh­len möchte.