»Mögest du in großen Zeiten leben« ist angeblich ein chinesischer Fluch, das sagt jedenfalls Hannes in »Warten auf’n Bus«, eine Serie, die in der ARD-Mediathek jetzt zu sehen ist und die ich jeder Leserin und jedem Leser des Ossietzky ans Herz legen möchte (im rbb immer mittwochs um 22 Uhr zu sehen). Ich hätte nie gedacht, dass so etwas im deutschen Fernsehen möglich sein könnte: »Einfache« Menschen mit Mutterwitz und politischer Bildung, nicht denunziert, nicht lächerlich gemacht, bewegend menschlich! Und politisch hört es sich an, als wäre Daniela Dahn Mitautorin. Unbedingt ansehen! (Werbeblock-Ende)
Aber zurück zu dem Fluch: Es scheint, wir leben gerade in großen Zeiten, die Helden brauchen und denen Opfer zu bringen sind. Präsident Macron hat ja auch von einem »Krieg« gesprochen, den wir einem Virus erklären müssten. Was für ein Weltbild! Die Menschheit im Kampf gegen Kleinstlebewesen – nein, Lebewesen sollen die Viren ja angeblich gar nicht sein. Nur so eine Art Kampfmaschinen, die unserer »Unsterblichkeit« gefährlich werden.
Inzwischen gibt es auch wissenschaftliche Untersuchungen, deren Ergebnisse die bisherige Panikmache konterkarieren. Tut aber nichts zur Sache, die Maßnahmen gehen weiter. Und weil die Bundesregierung so viele Maßnahmen ergreift, muss der Virus gefährlich sein. Diese seltsame Logik ist jetzt von vielen zu hören und zu lesen, die ansonsten Maßnahmen der Regierung nicht immer für weise, ja nicht einmal für durchdacht halten. Große Zeiten eben!
In denen Kriegsministerin AKK mal kurz 45 Kampfflugzeuge in den USA bestellen kann. Dreimal darf man raten, wer sich darüber freut! Präsident Trump macht derweil die Weltgesundheitsorganisation für die Ausbreitung des Coronavirus verantwortlich und dreht ihr den Geldhahn zu. Vier Tage danach verklagt der Staat Missouri die Staatsführung und die Kommunistische Partei Chinas vor heimischem Gericht auf Schadensersatz für die Corona-Krise. Millionen Arbeitslose – ob wegen Corona oder wegen der Wirtschaftskrise oder wegen der Wirtschaftskrise wegen Corona, das müssen später mal die Historiker erforschen.
Larry Fink, der Chef von BlackRock, ist jedenfalls optimistisch. »Wenn wir diese Krise überstanden haben und Anleger ihre Portfolios anpassen, haben wir die Möglichkeit, eine nachhaltigere Welt zu schaffen«, schreibt er in einem Brief an die Aktionäre. (junge Welt, 1.4.20) Diejenigen, die der Virus oder die Armut dahingerafft haben, werden diese nachhaltigere Welt nicht mehr erleben, aber das sind ja auch keine Aktionäre.
Im Moment herrschen eher alte, atavistische Zustände. Die USA kapert eine Sendung von Schutzmasken, die für Berlin bestimmt war, in Thailand. Berlins Innensenator Andreas Geisel dazu in einer Pressemitteilung vom 3. April (bevor er zurückgepfiffen wurde und sich entschuldigte): »Wir betrachten das als Akt moderner Piraterie. So geht man mit transatlantischen Partnern nicht um.« (www.berlin.de)
Und wie geht man mit demokratischen Grundrechten um? Die Dresdner Demonstration von Pegida an Hitlers Geburtstag wird erlaubt, Demonstrationen gegen Grundrechtseinschränkungen in Berlin und anderswo sind verboten. Mundschutz oder Vermummungsverbot? Warum halten die Polizisten, die Demonstranten abführen, nicht den Mindestabstand ein?
Was passiert, wenn der neu entwickelte Impfstoff die in ihn gesetzten Hoffnungen nicht erfüllt? Haben die bisherigen Grippe-Impfungen die in sie gesetzten Hoffnungen erfüllt?
Kann das Problem der multiresistenten Keime (circa 20.000 Tote jährlich allein in der BRD) einfach auf die lange Bank verschoben werden, wie die Bundesregierung beabsichtigt? Ist der Einsatz von Antibiotika, und besonders der »Reserve«-Antibiotika, die eigentlich zur Bekämpfung multiresistenter Keime eingesetzt werden sollen, in der Tierhaltung noch vertretbar? Wie viele Fälle von »Corona-Infektionen« können im Krankenhaus behandelt werden, wenn das Krankenhaus selbst ein Hotspot multiresistenter Keime ist?
Und wer ist an COVID-19 gestorben? »Differenziert, ob jemand ›an‹ oder ›mit‹ der Infektion gestorben ist, wird aktuell fast nirgendwo in Deutschland.« (Tagesspiegel, 10.4.2020) Das Robert-Koch-Institut führt alle Verstorbenen mit nachgewiesener SARS-CoV-2-Infektion in der Statistik der Corona-Toten. Also könnte auch ein Unfallopfer, das positiv auf Corona getestet wurde, in der Statistik der an Corona Verstorbenen auftauchen? Große Zeiten für ein Virus, das offenbar nicht nur die Lunge befällt, sondern auch das Hirn.