Sonnabend, 22. Februar im Münchner Löwenbräu-Keller: Am Vorabend eines historischen Wahlgangs offenbart der künftige Kanzler Merz: »Links ist vorbei. Es gibt keine linke Mehrheit und keine linke Politik mehr in Deutschland. Es ist vorbei.« Er mache Politik »für die Mehrheit, die gerade denken kann. Und die auch noch alle Tassen im Schrank« hat. Und er konkretisiert, dass er » nicht für irgendwelche grünen und linken Spinner auf dieser Welt, die da draußen rumlaufen«, da sei, denn »die haben in der Mehrheit der Bevölkerung nichts zu suchen. Gar nichts« (jW, 24.02.25).
Ich habe gleich mal meine Tassen im Schrank nachgezählt. Da muss ich mir keine Sorgen machen. Auch »gerade denken« wird mir durchaus nachgesagt. Allerdings laufe ich tatsächlich mit anderen als »irgendwelche grünen und linken Spinner auf dieser Welt« herum. Muss ich jetzt remigrieren? Nur wohin? Sie können mir glauben, Herr Merz, mit Ihnen als Kanzler würde ich sehr gerne woanders sein!
Auch wenn Sie versprochen haben, dass jetzt alles gut wird: Die AfD wird halbiert, die Schulden verdoppelt, Geflüchtete werden zu Illegalen erklärt und aus Deutschland abgeschoben! Elon Musk stellt gern seine Mars-Raketen zur Verfügung! Von jetzt an gibt es keine Arbeitslosen mehr, alle müssen arbeiten! Für die oder in der Bundeswehr. Nur die Bürokraten werden arbeitslos. Von jetzt an arbeiten unsere Krankenhäuser wieder profitabel, und alle Bahnen fahren pünktlich – soweit es sie noch gibt. Denn die Bahn muss gesundgeschrumpft werden wie die Krankenhäuser. So will es Herr Merz. Und da es laut Herrn Merz Frieden auf jedem Friedhof gibt, steuern wir schnurstracks in den nächsten Krieg – oder Deutschland wird zum Friedhof, oder beides. So will es jedenfalls »der Wähler«.
Aber das ist ein Irrtum. »Eine Regierung ist nicht der Ausdruck dessen, was ein Volk will, sondern der Ausdruck dessen, was es erträgt« (Kurt Tucholsky). Was erträgt dieses Volk? Einen Herrn Scholz als Kanzler offenbar keine vier Jahre. Eine Frau Merkel 16 Jahre lang. Wie lang wird es Herrn Frieden-gibts-auf-jedem-Friedhof-Merz ertragen? Bis zum April, April?
April, April! hieß es jedenfalls auf der Münchner Sicherheitskonferenz, als Trumps Stellvertreter, J. D. Vance, ans Mikrophon trat. Am 14.02. lohnte es sich zum ersten Mal seit langer Zeit, Nachrichten zu gucken. Wegen der Gesichter, die unsere Politiker und Nachrichtensprecher machten, als ihnen Vance dermaßen in die Suppe spuckte, dass ihre Münder offenstanden. Dass ausgerechnet die Trump-Mannschaft Europa in Sachen Demokratie belehrt, das hatten sie sich nicht vorstellen können und waren dementsprechend unvorbereitet. Nicht mal der Hinweis auf den allseits gegenwärtigen Bösewicht Putin konnte mehr schützen. Dass jetzt Europa die Kosten für einen Verhandlungsfrieden mit Russland tragen soll, ist schlimm, aber ein klein wenig war man da vorbereitet, auch wenn man Trump nicht ernst genommen hatte. Man hatte es immerhin befürchtet. Aber das! Der Gottseibeiuns der Demokratie belehrt die EU-Politiker über ihre eigenen Demokratie-Defizite! Annalena kam aus dem Kopfschütteln gar nicht mehr raus. Ihre Welt hat sich wohl gerade um 360 Grad gedreht. Die von Herrn Scholz hat es eine Woche später erwischt. Und man kann nicht mal Mitleid mit ihm haben und mit seiner Partei. Niemand fragt dort nach den wahren Ursachen der Stimmenverluste. Dass die Wähler schlichtweg enttäuscht sind von einer Partei, die »Zeitenwenden« nach schlechter alter Kaisermanier beschließt und Kanonen statt Butter anbietet? Dass »Führung« nicht bedeutet, keine eigenen Programme zu haben? Dass das Aufspringen auf die Migrationsdebatte immer nur den rechten Parteien nutzt? Wie blöd darf man sein?
Die CDU dagegen ist nicht blöd und weiß genau, wo ihre Gegner sitzen. Eine 551 Fragen enthaltende »Kleine Anfrage« soll den Musk spielen und mit Steuerverschwendung aufräumen. Denn Organisationen, die das Etikett »gemeinnützig« tragen, dürften sich nicht parteipolitisch äußern, meint die CDU. Sogar der eher konservative Bundesverband Deutscher Stiftungen lehnt in einem Post auf LinkedIn diese Auffassung ab. Aber die noch amtierende Regierung hat jetzt zu tun, die Frage zu beantworten: »Gibt es direkte Verbindungen zwischen dem Verein Omas gegen Rechts Deutschland e. V. und bestimmten Parteien oder politischen Akteuren?« Man könnte das komisch finden, aber: »Der zu befürchtende Großangriff auf die emanzipatorische Zivilgesellschaft unter einer Regierung Merz hat begonnen«, erklärte attac, das selbst seit Jahren auf das Etikett »gemeinnützig« und damit auf von der Steuer absetzbare Spenden verzichten muss (jW, 27.02.25).
Eben. Für »irgendwelche grünen und linken Spinner auf dieser Welt, die da draußen rumlaufen« ist nichts mehr übrig. Gar nichts.