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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Monatsrückblick: Gar nichts

Sonn­abend, 22. Febru­ar im Münch­ner Löwen­bräu-Kel­ler: Am Vor­abend eines histo­ri­schen Wahl­gangs offen­bart der künf­ti­ge Kanz­ler Merz: »Links ist vor­bei. Es gibt kei­ne lin­ke Mehr­heit und kei­ne lin­ke Poli­tik mehr in Deutsch­land. Es ist vor­bei.« Er mache Poli­tik »für die Mehr­heit, die gera­de den­ken kann. Und die auch noch alle Tas­sen im Schrank« hat. Und er kon­kre­ti­siert, dass er » nicht für irgend­wel­che grü­nen und lin­ken Spin­ner auf die­ser Welt, die da drau­ßen rum­lau­fen«, da sei, denn »die haben in der Mehr­heit der Bevöl­ke­rung nichts zu suchen. Gar nichts« (jW, 24.02.25).

Ich habe gleich mal mei­ne Tas­sen im Schrank nach­ge­zählt. Da muss ich mir kei­ne Sor­gen machen. Auch »gera­de den­ken« wird mir durch­aus nach­ge­sagt. Aller­dings lau­fe ich tat­säch­lich mit ande­ren als »irgend­wel­che grü­nen und lin­ken Spin­ner auf die­ser Welt« her­um. Muss ich jetzt remi­grie­ren? Nur wohin? Sie kön­nen mir glau­ben, Herr Merz, mit Ihnen als Kanz­ler wür­de ich sehr ger­ne woan­ders sein!

Auch wenn Sie ver­spro­chen haben, dass jetzt alles gut wird: Die AfD wird hal­biert, die Schul­den ver­dop­pelt, Geflüch­te­te wer­den zu Ille­ga­len erklärt und aus Deutsch­land abge­scho­ben! Elon Musk stellt gern sei­ne Mars-Rake­ten zur Ver­fü­gung! Von jetzt an gibt es kei­ne Arbeits­lo­sen mehr, alle müs­sen arbei­ten! Für die oder in der Bun­des­wehr. Nur die Büro­kra­ten wer­den arbeits­los. Von jetzt an arbei­ten unse­re Kran­ken­häu­ser wie­der pro­fi­ta­bel, und alle Bah­nen fah­ren pünkt­lich – soweit es sie noch gibt. Denn die Bahn muss gesund­ge­schrumpft wer­den wie die Kran­ken­häu­ser. So will es Herr Merz. Und da es laut Herrn Merz Frie­den auf jedem Fried­hof gibt, steu­ern wir schnur­stracks in den näch­sten Krieg – oder Deutsch­land wird zum Fried­hof, oder bei­des. So will es jeden­falls »der Wähler«.

Aber das ist ein Irr­tum. »Eine Regie­rung ist nicht der Aus­druck des­sen, was ein Volk will, son­dern der Aus­druck des­sen, was es erträgt« (Kurt Tuchol­sky). Was erträgt die­ses Volk? Einen Herrn Scholz als Kanz­ler offen­bar kei­ne vier Jah­re. Eine Frau Mer­kel 16 Jah­re lang. Wie lang wird es Herrn Frie­den-gibts-auf-jedem-Fried­hof-Merz ertra­gen? Bis zum April, April?

April, April! hieß es jeden­falls auf der Münch­ner Sicher­heits­kon­fe­renz, als Trumps Stell­ver­tre­ter, J. D. Van­ce, ans Mikro­phon trat. Am 14.02. lohn­te es sich zum ersten Mal seit lan­ger Zeit, Nach­rich­ten zu gucken. Wegen der Gesich­ter, die unse­re Poli­ti­ker und Nach­rich­ten­spre­cher mach­ten, als ihnen Van­ce der­ma­ßen in die Sup­pe spuck­te, dass ihre Mün­der offen­stan­den. Dass aus­ge­rech­net die Trump-Mann­schaft Euro­pa in Sachen Demo­kra­tie belehrt, das hat­ten sie sich nicht vor­stel­len kön­nen und waren dem­entspre­chend unvor­be­rei­tet. Nicht mal der Hin­weis auf den all­seits gegen­wär­ti­gen Böse­wicht Putin konn­te mehr schüt­zen. Dass jetzt Euro­pa die Kosten für einen Ver­hand­lungs­frie­den mit Russ­land tra­gen soll, ist schlimm, aber ein klein wenig war man da vor­be­rei­tet, auch wenn man Trump nicht ernst genom­men hat­te. Man hat­te es immer­hin befürch­tet. Aber das! Der Gott­sei­bei­uns der Demo­kra­tie belehrt die EU-Poli­ti­ker über ihre eige­nen Demo­kra­tie-Defi­zi­te! Anna­le­na kam aus dem Kopf­schüt­teln gar nicht mehr raus. Ihre Welt hat sich wohl gera­de um 360 Grad gedreht. Die von Herrn Scholz hat es eine Woche spä­ter erwischt. Und man kann nicht mal Mit­leid mit ihm haben und mit sei­ner Par­tei. Nie­mand fragt dort nach den wah­ren Ursa­chen der Stim­men­ver­lu­ste. Dass die Wäh­ler schlicht­weg ent­täuscht sind von einer Par­tei, die »Zei­ten­wen­den« nach schlech­ter alter Kai­ser­ma­nier beschließt und Kano­nen statt But­ter anbie­tet? Dass »Füh­rung« nicht bedeu­tet, kei­ne eige­nen Pro­gram­me zu haben? Dass das Auf­sprin­gen auf die Migra­ti­ons­de­bat­te immer nur den rech­ten Par­tei­en nutzt? Wie blöd darf man sein?

Die CDU dage­gen ist nicht blöd und weiß genau, wo ihre Geg­ner sit­zen. Eine 551 Fra­gen ent­hal­ten­de »Klei­ne Anfra­ge« soll den Musk spie­len und mit Steu­er­ver­schwen­dung auf­räu­men. Denn Orga­ni­sa­tio­nen, die das Eti­kett »gemein­nüt­zig« tra­gen, dürf­ten sich nicht par­tei­po­li­tisch äußern, meint die CDU. Sogar der eher kon­ser­va­ti­ve Bun­des­ver­band Deut­scher Stif­tun­gen lehnt in einem Post auf Lin­ke­dIn die­se Auf­fas­sung ab. Aber die noch amtie­ren­de Regie­rung hat jetzt zu tun, die Fra­ge zu beant­wor­ten: »Gibt es direk­te Ver­bin­dun­gen zwi­schen dem Ver­ein Omas gegen Rechts Deutsch­land e. V. und bestimm­ten Par­tei­en oder poli­ti­schen Akteu­ren?« Man könn­te das komisch fin­den, aber: »Der zu befürch­ten­de Groß­an­griff auf die eman­zi­pa­to­ri­sche Zivil­ge­sell­schaft unter einer Regie­rung Merz hat begon­nen«, erklär­te attac, das selbst seit Jah­ren auf das Eti­kett »gemein­nüt­zig« und damit auf von der Steu­er absetz­ba­re Spen­den ver­zich­ten muss (jW, 27.02.25).

Eben. Für »irgend­wel­che grü­nen und lin­ken Spin­ner auf die­ser Welt, die da drau­ßen rum­lau­fen« ist nichts mehr übrig. Gar nichts.