Homeoffice ist durch die Covid19-Pandemie in aller Munde. Das Projekt »Prentimo« (Präventionsorientierte Gestaltung mobiler Arbeit) hat sich mit den Auswirkungen solcher Arbeitsweise beschäftigt, koordiniert durch die Carl von Ossietzky Universität Oldenburg. Die Forschungsergebnisse sind im Praxishandbuch »Mobile Arbeit gesund gestalten« veröffentlicht. »Mein Arbeitsort ist dort, wo der Laptop gerade hinpasst.« Dieses Zitat eines Angestellten bringt auf den Punkt, was daran aus Unternehmenssicht attraktiv ist: Es geht um das Arbeiten immer und überall, beim Kunden, im Hotelzimmer, zuhause im Wohnzimmer oder, wenn es das Management wünscht, im Betrieb.
Diese »berufsbedingte Mobilität«, so Gerlinde Vogl (Universität Oldenburg) sei im Regelfall »verordnete« Mobilität, die »im rechtlichen Rahmen des durch den Arbeitsvertrag begründeten Beschäftigungsverhältnisses erfolgt«. Die Untersuchung umfasst auch Extremfälle wie Servicetechniker*innen und IT-Berater*innen, die gar keinem Arbeitsplatz im Betrieb mehr haben, sondern nur noch zur Arbeit reisen. »Prentimo« hat nun erkundet, wie die Arbeitswelt nach Ende der Covid19-Pandemie aussehen kann – und welche Folgen dies für die Belegschaften hat.
60 Prozent der mobil Arbeitenden sind mindestens einmal pro Monat am Wochenende tätig. 46 Prozent der mobil Beschäftigten ohne Zeiterfassung arbeiten häufiger als fünf Mal pro Monat mehr als zehn Stunden am Tag. Auch die unklare Trennung zwischen Privat- und Arbeitsleben macht die neue Arbeitsform zum Problem: 58 Prozent der Befragten stimmen der Aussage zu: »Es wird von mir erwartet, ständig erreichbar zu sein, auch außerhalb meiner Arbeitszeit.« »Wenn ich Feierabend habe, dann gehe ich nicht mehr an ein klingelndes Handy ran«, wird ein mobiler Arbeiter zitiert, der dann jedoch einschränkt: »Es sei denn, und da mache ich jetzt noch mal eine kleine Ausnahme, das gilt für Urlaub und für einen freien Tag, wenn es ein Kollege ist, von dem ich weiß, dass der mich irgendwas fragen könnte.« Die Zahlen verdeutlichen die Risiken in der Praxis: 29 Prozent der mobil Beschäftigten mit Zielvereinbarungen sehen sich genötigt, ihre Arbeitszeit auszudehnen, etwa durch den Verzicht auf Pausen oder Arbeit im Urlaub. Bei den Mobilen ohne Zielvereinbarungen sind es noch halb so viele.
Auswertungen der Krankenkassen belegen eine steigende Zahl psychischer Erkrankungen, die auch auf das Übergreifen der Arbeit in die Freizeit zurückzuführen sind. Von 2000 bis 2019 sind die Fehltage aufgrund psychischer Erkrankungen laut DAK um fast 140 Prozent gestiegen.
Unternehmen sehen die neue berufliche Mobilität als »selbstverständlich« an, als eine »nicht hinterfragte Notwendigkeit«. Problematisch sei, »dass mobilitätsbedingte Belastungen auch von den Beschäftigten kaum direkt thematisiert werden«, so Vogl. Die Gegenstrategien von Gewerkschaften und Betriebsräten sind kein Thema der Wissenschaftler. Handeln können Betriebsräte durchaus: Betriebsvereinbarungen gegen permanente Erreichbarkeit können erzwungen werden, um Lösungen durch die IT durchzusetzen. Technisch können die Server so eingestellt werden, dass nach Feierabend keine E-Mails mehr an die persönlichen Postfächer der Beschäftigten weitergeleitet werden.
Für Gewerkschaften und Betriebsräte geht es dabei aber nicht nur um einen Konflikt mit dem Unternehmen, das eine effektivere Ausbeutung der Beschäftigten mit moderner Technik durchzusetzen versucht. Denn oft sehen Beschäftigte darin eine scheinbare Erleichterung ihrer Arbeit: Verbreitet ist etwa das Abrufen von E-Mails im Urlaub. Dies wird – subjektiv nachvollziehbar – oftmals sogar als Entlastung gesehen, weil den Betroffenen nach dem Urlaub nicht ein E-Mail-Berg erwarte. Solche Haltung erschwert das Grundproblem der neuen Arbeitsorganisation. Betriebsräte, die gegen ständige Erreichbarkeit vorgehen möchten, müssen nicht nur dem Unternehmen, sondern auch den Beschäftigten gegenüber Überzeugungsarbeit leisten. Die Belegschaft muss für das Thema sensibilisiert werden – etwa indem deutlich gemacht wird, dass das Problem kein individuelles, sondern durch die Unternehmenssteuerung und Personalplanung verursacht ist. Hier gibt es Beispiele von Betriebsrats-Kampagnen, bei denen über Betriebsversammlungen, Newsletter oder Gespräche in kleineren Gruppen das Thema in die Köpfe gebracht wurde. Nur so kann der Belegschaft klar werden, kollektiv ist eine Veränderung möglich. In Corona-Zeiten ist dies umso schwerer – ein Agieren wird aber immer wichtiger.
»Zukünftig sind kaum noch Berufe vorstellbar, in denen die Mobilität nicht Einzug hält«, beschreibt der Wissenschaftler Jochen Prümper die Entwicklung. Umso mehr ist der Gesetzgeber gefordert. Heutige Regelungen zum Arbeitsschutz werden »dem komplexen Belastungsprofil mobiler Arbeit in einer digitalisierten Arbeitswelt nicht gerecht«, kritisiert Gerlinde Vogl. Technische Mindestausstattung oder eine verbindliche regelmäßige Prüfung des Arbeitsstresses bei mobiler Arbeit sind in keinem Gesetz geregelt. Ohne entschlossene Gegenwehr der Gewerkschaften, wird sich daran aber nichts ändern. Dabei hat der Europäische Gerichtshof bereits 2019 die Bundesregierung aufgefordert, eine klare gesetzliche Regelung zur Erfassung der Arbeitszeit zu treffen (EuGH-Urteil vom 14.5.2019 – C-55/18) – was auch mobil Arbeitenden helfen würde. Doch bis heute ist nichts passiert.
Das Praxishandbuch ist zu finden unter: www.prentimo.de/assets/Uploads/prentimo-Broschuere-Screen.pdf.