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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Mit drei Gespannen in die Welt

Zuerst erin­ner­te mich das an Goe­the: »Es schlug mein Herz /​Geschwind zu Pfer­de«, es ging jedoch gar nicht um Vier­bei­ner, son­dern um Pfer­de­stär­ken. Wal­traud Sei­del beschreibt ihre Rei­sen in die öst­li­che Hälf­te der Welt, in den Jah­ren ab 1960 zuerst per mun­te­rem Tra­bi absol­viert, dann mit kom­for­ta­ble­ren Gefähr­ten gut aus­ge­stat­tet, man kommt vor­an, mit­un­ter gilt auch das Mot­to: Wohn­wa­gen-Wag­nis­se. Vor Über­ra­schun­gen bei den Behau­sun­gen auf vier Rädern ist man nie sicher, es sei denn, unter den Teil­neh­mern befin­det sich eine Sei­del-Schwe­ster und deren Ehe­mann – ein veri­ta­bler Spe­zia­list für alle Arten von Fort­be­we­gungs­ge­rä­ten, die er nicht nur zu repa­rie­ren ver­mag, er kann sie auch völ­lig neu zusam­men­bau­en. Die 180 Sei­ten Rei­se­be­rich­te sind selbst für Men­schen, die die­se Lite­ra­tur­spar­te nicht eben schät­zen – zum Bei­spiel mich –, so fein prä­sen­tiert, dass man sie gern und mit Gewinn liest. Der Titel fragt: »Ein­ge­sperrt?« »Rei­se­lust und Rei­se­frust in der DDR«. Ossietzky-Kon­su­men­ten wird das The­ma ver­traut klin­gen, in der Num­mer 3 vom 10. Febru­ar 2018 fin­det sich ein Arti­kel, des­sen betref­fen­de Fak­ten und The­sen Wal­traud Sei­del geschickt zum Ein­stieg in ihr sehr gelun­ge­nes Buch nutzt. Danach ver­fügt sie über einen rei­chen tou­ri­sti­schen Fun­dus, den sie für ihre Sto­ries über Län­der und Völ­ker so sen­si­bel, sou­ve­rän wie humor­voll nutzt. Die stu­dier­te Päd­ago­gin lässt sich nir­gends ein X für ein U vor­ma­chen, schon als Halb­wüch­si­ge schwor sie sich, ihr eige­nes Geld zu ver­die­nen, selbst dem besten Ehe­mann nicht etwa auf der Tasche zu lie­gen. Dazu hat­te sie in der heu­te gern run­ter­ge­putz­ten DDR die besten Mög­lich­kei­ten, nicht gera­de bei den ober­sten SED-Char­gen, doch sonst waren die Frau­en gut dabei. Dabei war bei einer der hoch­ka­rä­tig­sten Rei­sen sogar ein Kind, die neun­jäh­ri­ge Toch­ter von Heinz und Wal­traud Sei­del, und in der Ere­mi­ta­ge wie im Bol­schoi Bal­lett bewähr­te sich das Mäd­chen, hat­te in der Schu­le gera­de mit dem Rus­sisch­un­ter­richt begon­nen, das Gelern­te wand­te sie in den bei­den Städ­ten an, zum Ent­zücken der ohne­hin sprich­wört­lich kin­der­freund­li­chen Ein­hei­mi­schen – das war nun mal eine unge­zwun­ge­ne tat­säch­li­che Völ­ker­freund­schaft – DSF.

Wohl­ge­fühlt hat sich die Fahr­ge­mein­schaft auch bei Polen und Ungarn – bei den einen war noch nichts von der gru­se­li­gen PiS zu fin­den und bei den ande­ren kei­ne Spur des abschrecken­den Orbán. In Tsche­chi­en war auch alles ganz o. k. 1982 wur­de unter ande­rem Komo­tau besucht, und damit das alles hier nicht zu ernst wird, füge ich ein paar Zei­len ein, die sich auf die­ses Dorf bezie­hen. Sie wer­den erzählt von einem mei­ner lieb­sten Öster­rei­cher, dem 1897 in Wien gebo­re­nen und 1975 in der Schweiz ver­stor­be­nen Schrift­stel­ler Robert Neu­mann. In einem sei­ner auto­bio­gra­fi­schen Bücher liest man über einen nach dem »Sün­den­ba­bel Paris« gerei­sten Komo­tau­er, der eine hoch­ele­gan­te Dame im Lokal anspricht, deren Mann gera­de ver­reist ist. Sie lädt den eben ken­nen­ge­lern­ten Herrn ein zu sich in eine Luxus­be­hau­sung und gleich ins Schlaf­zim­mer … »Und wie gings wei­ter?« drän­gen den spä­ter Heim­ge­kehr­ten sei­ne neu­gie­ri­gen Mit­bür­ger. Ant­wort: »Der Rest war wie in Komotau.«

Auf der näch­sten Sei­te ver­wirft Neu­mann die kes­se Poin­te und kor­ri­giert sich: »Es geschieht ja doch alles immer zum ersten Mal. Wo bleibt dann noch jenes Komo­tau, das zu berich­ten nicht der Mühe lohnt?« Es gibt zum Glück auch noch leben­de und eben­so erfreu­li­che Wie­ner Autoren, wie Robert Neu­mann einer war, so den im Netz lite­ra­risch und poli­tisch unge­mein umtrie­bi­gen Mar­tin Urba­nek, der beim Buch von Wal­traud Sei­del mit Rat und Tat zur Sei­te stand.

Unse­re Autorin fand genug Stoff, über den in Wort und Foto viel mit­zu­tei­len war, sie drückt sich nicht vor Hin­wei­sen auf die im Zwei­ten Welt­krieg von Deut­schen ver­üb­ten Ver­bre­chen, die ja von den in der Bun­des­re­pu­blik gehät­schel­ten Ver­trie­be­nen gern ver­ges­sen oder geleug­net wer­den. Wal­traud Sei­del ist in Bres­lau gebo­ren, ich in Lie­gnitz, wir wis­sen, wor­um es geht und ver­ab­scheu­en jeden Anflug von Revanchismus.

Noch nicht erwähnt habe ich die Fotos im Buch, selbst pro­du­ziert vom Ehe­paar Sei­del, ein paar Kir­chen­bil­der weni­ger hät­ten es mei­net­we­gen sein kön­nen, sonst pas­sen alle Auf­nah­men vor­züg­lich zum Text.

Eigent­lich bin ich kein miss­gün­sti­ger Cha­rak­ter, doch um eines benei­de ich die Weit­ge­rei­sten, wo immer sich die Chan­ce bot, ob Bade­tüm­pel oder impo­nie­ren­de Strö­me, da waren sie alle schnel­ler im Was­ser, als man schau­en konn­te, und sind danach erfrischt und gesund wie­der raus­ge­kom­men. Das liest man gern und wünscht wei­ter­hin Frei­schwim­men vom Feinsten!

Wal­traud Sei­del: »Ein­ge­sperrt!? Rei­se­lust und Rei­se­frust in der DDR«, Kari­na-Ver­lag, 180 Sei­ten, 14,90 €