Wenn die Sprache der Politik metaphorisch wird, fällt die nüchterne einer Dichterin auf: »wasser gurgeln blut und lehm«. Und über diese Wasser führen Brücken. Die Schweriner Autorin Jutta Schlott hat einen neuen Gedichtband veröffentlicht, »Tigrisbrücken«, und kommt in ihm ohne Genitivmetaphern, Neologismen und Wortwitze aus. Sie bedient sich der Alltagssprache, und zwar derart lakonisch und kunstvoll, dass die legendäre Schärfe der antiken Lakonier in den Gedichten zum Gestaltungsmittel wird. Verse wie »ach fliegen / ach absturz / mein letztes vergnügen« sind dazu angetan, dem Lesenden in die Seele zu schneiden, nicht minder wie jene, die das Heimweh aus Russland eingewanderter Deutscher beschreiben: »Was weinst du / die Kinder machen Abitur / Alle werden satt.«
Im Untertitel ihres Bandes spricht Jutta Schlott von »Vermischten Gedichten«. Das ist das Einzige, was man an dem Buch nicht ernst nehmen muss. Schlott hat die Gedichte nicht vermischt. Sie hat sie nur nach Entstehungszeit chronologisch geordnet. Was den Gewinn beim Lesen vermehrt. Denn so lassen sich auch thematische Konstanten und formale Entwicklungen beobachten. Natur und Liebe und der ernüchternde Blick hinter die Fassaden sind der Autorin lebenslang Thema. Dabei vergrößert sich im Laufe der Jahre das Arsenal ihrer Kunstmittel. Schmerz, in früheren Gedichten noch ausgesprochen – »es vergeht kein stund in der nacht / ich hab mein traum geschlacht« –, steht in späteren eher zwischen den Zeilen. Die Weltsicht ändert sich nicht im Grundsätzlichen. Sie bleibt lebensbejahend. Aber eine spöttische Melancholie nimmt zu. Und ebenfalls zu nimmt der Assoziationsraum der Verse. In das Gedicht »Resumeé« zum Beispiel sind Zitate eingewoben, die man auf den ersten Blick schon erkennt. Den Satz: »Franz heißt die Kanaille.« Den Namen »Linkerhand«. Die Bezeichnung »Nacht der langen Messer«, die an ein Stück Heiner Müllers erinnert. Das Gedicht ist dem Theater-Regisseur Christoph Schroth gewidmet. Der Reichtum an Konnotationen und die Größe des Assoziationsraums zeigt sich in den beiden Schlussversen, von denen der letzte einsilbig ist: »Die schönen Tage sind nur ein Gleichnis / Ach«. Und es zeigt sich auch erst auf den zweiten Blick, denn der eine Vers setzt sich aus zwei Zitaten zusammen. Schillers Klage »Die schönen Tage von Aranjuez sind nun zuende« verbindet sich mit Goethes Einsicht »Alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis.« Auf Klage folgt Einsicht, auf ein Gedicht über Kunst und Künstler ein Ach.
Die Graphiken zu dem Gedichtband schuf Christine Stäps. Die Komposition des Bandes ähnelt übrigens antiker Praxis: Auf die Tragödie folgt das Satyrspiel. Wer beim letzten Gedicht der »Tigrisbrücken« nicht lächelt, dem ist nicht zu helfen.
Jutta Schlott: »Tigrisbrücken. Vermischte Gedichte«, Wiesenburg Verlag, 55 Seiten, 8,50 €