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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Mission Corona

Spa­ni­sche Krank­heit? von Theo­bald Tiger
Wer schleicht durch alle krieg­füh­ren­den Länder?
Wel­ches Ding schleift die infi­zier­ten Gewänder
vom Schüt­zen­gra­ben zur Residenz?
Wer hat es gesehn? Wer nennts? Wer erkennts?
Schmer­zen im Hals, Schmer­zen im Ohr –
die Sache kommt mir spa­nisch vor.

Aber wenn ichs genau betrachte
und hübsch auf alle Sym­pto­me achte,
bemer­ke ich es mit einem Mal:
das ist nicht international.
Und seh ich das gan­ze Krankencorps:
kommts mir gar nicht mehr spa­nisch vor.

Ein biß­chen Gefie­ber, ein biß­chen Beschwerden,
Onkel Dok­tor sagt: »Mor­gen wirds bes­ser werden!«
im Dun­kel Transpirieren,
Herz­angst, Schwin­del und Phantasieren,
mit­tags Erhit­zen, abends Erkalten,
mor­gen ist alles wie­der beim Alten –
Das ist kei­ne Grip­pe, kein Frost, kei­ne Phtisis:
das ist eine deut­sche poli­ti­sche Krisis.

In der Weltbühne vom 18. Juli 1918 erschien das Gedicht von Tuchol­sky. Er irr­te, das Virus war doch ziem­lich inter­na­tio­nal, nicht aus Spa­ni­en – aus den USA mit den Trup­pen-Trans­por­tern ein­ge­schleppt. Die ersten Berich­te dar­über kamen aus Spa­ni­en. Der Krieg tob­te noch. Es war eine Grip­pe, auch Schüt­tel­frost im Som­mer und Schwind­sucht (der Hun­ger mach­te noch anfäl­li­ger dafür) – eine »deut­sche poli­ti­sche Kri­sis«, da irr­te er nicht.

War etwa die Grip­pe schuld, dass Deutsch­land den Krieg ver­lor? Im Kriegs­nach­trag 3. Teil von Mey­ers Lexi­kon von 1920 lese ich über die »spa­ni­sche« Grip­pe, dass sie sich über ganz Euro­pa aus­brei­te­te und »beson­ders im Juli und August bei den Deut­schen die Kampf­kraft durch Mas­sen­er­kran­kun­gen stark beein­träch­tig­te «. Die Kampf­kraft! Noch am 17. Okto­ber fin­de ich in der Weltbühne etwas Irri­tie­ren­des: eine Zeich­nung, Wer­bung. Men­schen lau­fen wie im Marsch über die Sei­te, in der Mit­te eine Lücke. Text dazu: »Da fehlst Du!« Wei­ter: »Willst Du wirk­lich dem Vater­lan­de, dem Du alles, was Du bist, ver­dankst, das Dar­le­hen ver­wei­gern, um das es Dich in schwe­rer Zeit bit­tet – für das es Dir hohe Zin­sen gewährt? Wür­dest Du so han­deln, Du wärest kein Deut­scher! – D a r u m z e i c h n e!« Im End­spurt des Krie­ges gab es noch ein paar die­ser Wer­be­an­zei­gen in der Weltbühne.

Und am 24. Okto­ber schrieb ein anony­mer Kri­ti­ker dort vom »Thea­ter­kurs­sturz«. Ähn­lich wie »an der Bör­se« – nun an den Büh­nen. Durch die Kriegs­la­ge: »plötz­lich ver­schärft die Grip­pe«. Die Leu­te mei­den die Thea­ter. »Sie wol­len kein Geld dafür aus­ge­ben, daß ihr Nach­bar sei­ne Bazil­len in ihr Pro­fil niest; und wer bereits sei­nen Teil an der Epi­de­mie dahin oder kei­ne Furcht hat, ist doch der Mei­nung, daß er sich in die Trüb­sal unse­rer Läuf­te auch zuhau­se, und bil­li­ger, ver­sen­ken kann.«

Die Thea­ter waren nicht geschlos­sen, damals. Bei uns heu­te ist nichts mehr offen. Noch Anfang März war klar: Das größ­te NATO-Manö­ver seit 25 Jah­ren wird auch die Bun­des­wehr an die Gren­zen Russ­lands füh­ren. Doch dann wand­te sich US-Befehls­ha­ber Chri­sto­pher Cavo­li aus der häus­li­chen Qua­ran­tä­ne an sei­ne Sol­da­ten: »Ach­tet auf­ein­an­der, ach­tet auf euch selbst und wascht euch die Hän­de!« Und am 20. März hieß es, die Bun­des­wehr habe ange­kün­digt, ihre Mit­wir­kung beim NATO-Manö­ver ein­zu­stel­len. Ach!