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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Militarisierung des Bildungssektors

Mili­ta­ri­sie­rung und »Kriegs­tüch­tig­keit« wer­den hier­zu­lan­de seit Ver­kün­dung der sicher­heits­po­li­ti­schen »Zei­ten­wen­de« nach dem rus­si­schen Angriff auf die Ukrai­ne bekannt­lich mas­siv for­ciert. Dabei sol­len auch die Köp­fe der mehr­heit­lich noch skep­ti­schen Bür­ger und Bür­ge­rin­nen erobert wer­den – beson­ders die von Jugend­li­chen. »Wir müs­sen kriegs­tüch­tig wer­den«, hat Bun­des­ver­tei­di­gungs­mi­ni­ster Boris Pisto­ri­us (SPD) wie­der­holt gefor­dert und damit nicht nur die Bun­des­wehr gemeint, son­dern »unse­re Gesell­schaft«, also uns alle. Und so wird der Weg zu einer »wehr­haf­ten« Gesell­schaft und einem »kriegs­tüch­ti­gen« Deutsch­land mit gro­ßem Auf­wand poli­tisch und ideo­lo­gisch, medi­al und men­tal beglei­tet, unter­stützt und gerecht­fer­tigt. Erst kürz­lich hat die baye­ri­sche Staats­re­gie­rung dabei einen wei­te­ren Etap­pen­sieg erzielt, und zwar mit einer gesetz­lich ver­ord­ne­ten Mili­ta­ri­sie­rung des staat­li­chen Bildungsbereichs.

Künf­tig wer­den baye­ri­sche Schu­len, Hoch­schu­len, Uni­ver­si­tä­ten und For­schungs­ein­rich­tun­gen gesetz­lich dazu ange­hal­ten, enger mit der Bun­des­wehr zu koope­rie­ren. So regelt es das neue, bun­des­weit erste Bun­des­wehr­för­de­rungs­ge­setz, das der baye­ri­sche Land­tag im Juli 2024 mit den Stim­men von CSU, Frei­en Wäh­lern und SPD beschlos­sen hat (LT-Drs. 19/​1556; GVBl. Nr. 14 v. 20.07.2024, S. 257). Neben einem ver­ord­ne­ten Koope­ra­ti­onsgebot wird auch aus­drück­lich eine Koope­ra­ti­onspflicht der Hoch­schu­len vor­ge­schrie­ben, wenn dies »im Inter­es­se der natio­na­len Sicher­heit erfor­der­lich ist«.

Mit dem Gesetz soll eine »rei­bungs­lo­se Zusam­men­ar­beit« mit der Bun­des­wehr sicher­ge­stellt wer­den, außer­dem ihr »unge­hin­der­ter Zugang« zu For­schung und Ent­wick­lung an Hoch­schu­len, zu wis­sen­schaft­li­chem Know-how und wis­sen­schaft­lich qua­li­fi­zier­ten Fach­kräf­ten, so die Begrün­dung. Im Geset­zes­text heißt es wört­lich: »Erziel­te For­schungs­er­geb­nis­se dür­fen auch für mili­tä­ri­sche Zwecke der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land oder der Nato-Bünd­nis­part­ner genutzt wer­den« – dem­nach auch sol­cher Nato-Staa­ten, die Men­schen- und Völ­ker­recht syste­ma­tisch ver­let­zen. Wei­ter heißt es im Geset­zes­text: »Eine Beschrän­kung der For­schung auf zivi­le Nut­zun­gen (Zivil­klau­sel) ist unzu­läs­sig.« Denn, so die Begrün­dung: Zivil­klau­seln sei­en »ange­sichts der bestehen­den sicher­heits­po­li­ti­schen Her­aus­for­de­run­gen nicht hin­nehm­bar.« Schließ­lich müs­se das For­schungs- und Wis­sen­schafts­po­ten­ti­al baye­ri­scher Hoch­schu­len »auch zugun­sten mili­tä­ri­scher For­schung und Ent­wick­lung« gesi­chert wer­den; und dazu gehö­re auch, »Koope­ra­tio­nen oder Dritt­mit­tel­pro­jek­te mit Rüstungs­un­ter­neh­men oder Armeen« ein­zu­ge­hen und durchzuführen.

»Zivil­klau­seln« sind bekannt­lich Selbst­ver­pflich­tun­gen wis­sen­schaft­li­cher For­schungs­ein­rich­tun­gen, aus­schließ­lich für rein zivi­le und fried­li­che Zwecke zu for­schen. Die grund­ge­setz­lich ver­an­ker­te Frei­heit von Leh­re und For­schung lässt eine sol­che frei­wil­li­ge Beschrän­kung zu. Letzt­lich ent­stammt die zugrun­de lie­gen­de Idee der Frie­dens­be­we­gung der 1980er Jah­re; damit soll eine Poli­tik der Abrü­stung und Ent­span­nung beför­dert wer­den, voll im Ein­klang mit dem »Frie­dens­ge­bot« des Grund­ge­set­zes. Die erste Zivil­klau­sel trat 1986 an der Uni­ver­si­tät Bre­men in Kraft. Heu­te haben sie etwa 70 bun­des­deut­sche Uni­ver­si­tä­ten und Hoch­schu­len ein­ge­führt – bis­lang jedoch kei­ne baye­ri­schen, denen dies nun für die Zukunft kate­go­risch ver­bo­ten wird.

Auch alle Schu­len in Bay­ern sind von dem Gesetz betrof­fen: Sie sol­len von nun an im Rah­men der poli­ti­schen Bil­dung zu »Fra­gen der Sicher­heits- und Ver­tei­di­gungs­po­li­tik« eng mit »Jugend­of­fi­zie­ren« und auch mit »Kar­rie­re­be­ra­tern« der Bun­des­wehr zusam­men­ar­bei­ten – letz­te­re im Rah­men schu­li­scher Ver­an­stal­tun­gen zur »beruf­li­chen Ori­en­tie­rung über Berufs- und Ein­satz­mög­lich­kei­ten« bei der Bun­des­wehr. Frü­her konn­ten Schu­len und Lehr­kräf­te prin­zi­pi­ell eigen­ver­ant­wort­lich ent­schei­den, ob und wie sie die Bun­des­wehr in den Sozi­al­kun­de­un­ter­richt ein­bin­den. Aller­dings refe­rie­ren Jugend­of­fi­zie­re der Bun­des­wehr bereits seit 1958 bun­des­weit ver­mehrt im Bil­dungs­be­reich über Sicher­heits­po­li­tik und Streit­kräf­te, häu­fig ver­bun­den mit Trup­pen­be­su­chen. Seit 2008 sind Koope­ra­ti­ons­ver­ein­ba­run­gen zwi­schen Bun­des­wehr und etli­chen Bil­dungs­mi­ni­ste­ri­en der Bun­des­län­der geschlos­sen wor­den, die sol­che Bun­des­wehr-Besu­che in Schu­len ver­bind­lich regeln. Unter Pro­test der Gewerk­schaft Bil­dung und Wis­sen­schaft (GEW), die den damit ver­bun­de­nen zuneh­men­den Ein­fluss der Bun­des­wehr auf die inhalt­li­che Gestal­tung des Unter­richts und der Leh­rer­aus- und -fort­bil­dung kri­ti­siert. Poli­ti­sche Bil­dung gehö­re »in die Hand der dafür aus­ge­bil­de­ten zivi­len päd­ago­gi­schen Fach­leu­te« und nicht in die von Jugend­of­fi­zie­ren. Schließ­lich gel­te für Schu­len das Gebot der Neu­tra­li­tät. Auch die Deut­sche Frie­dens­ge­sell­schaft (DFG-VK) sowie die deut­sche Sek­ti­on der Inter­na­tio­na­len Ärzt*innen für die Ver­hü­tung des Atom­krie­ges – Ärzt*innen in sozia­ler Ver­ant­wor­tung e. V. (IPPNW) hal­ten die Öff­nung des Schul­un­ter­richts für Pro­gram­me der Bun­des­wehr für unver­ein­bar mit einer Erzie­hung zu Frie­den und Völkerverständigung.

Tat­säch­lich ist die Bun­des­wehr weder ver­fas­sungs­recht­lich noch nach den Bil­dungs­ge­set­zen für poli­ti­sche Bil­dungs­ar­beit in Schu­len legi­ti­miert. Doch laut einem Gut­ach­ten der Wis­sen­schaft­li­chen Dien­ste des Bun­des­ta­ges (»Bun­des­wehr im Schul­un­ter­richt«, WD 3-09/10, 2010) sol­len Infor­ma­tio­nen durch und über die Bun­des­wehr im Pflicht­teil des Schul­un­ter­richts ver­fas­sungs­recht­lich grund­sätz­lich zuläs­sig sein, weil »die Streit­kräf­te Teil des Staa­tes und ver­fas­sungs­recht­lich ver­an­kert sind«. Jugend­of­fi­zie­re dürf­ten aber nur auf Ein­la­dung der Schu­len am Unter­richt mit­wir­ken und die Lei­tung der Infor­ma­ti­ons­ver­an­stal­tung muss bei der Schu­le ver­blei­ben. Je umstrit­te­ner die Inhal­te in der Öffent­lich­keit sei­en, desto eher müs­se die Schu­le auf Aus­ge­wo­gen­heit ach­ten und Gegen­po­si­tio­nen ein­bin­den, wie etwa durch Ver­tre­ter oder Orga­ni­sa­tio­nen der Frie­dens­be­we­gung (was häu­fig jedoch nicht pas­siert). Wegen der Ver­pflich­tung zu Neu­tra­li­tät und Tole­ranz dür­fe es eine geziel­te Beein­flus­sung der Schü­ler in eine bestimm­te Rich­tung nicht geben (Indok­tri­nie­rungs­ver­bot). Das gilt ins­be­son­de­re auch hin­sicht­lich aktu­el­ler Kriegs­ein­sät­ze bzw. mili­tä­ri­scher Inter­ven­tio­nen. Kon­tro­vers debat­tier­te gesell­schaft­li­che The­men müs­sen kon­tro­vers dar­ge­stellt und dis­ku­tiert wer­den. Und ein Wer­be­ef­fekt für Mili­tär­dienst, also den Dienst an der Waf­fe, muss von vorn­her­ein ver­hin­dert wer­den – obwohl mit dem schu­li­schen Ein­satz von Jugend­of­fi­zie­ren ein sol­cher Effekt zumin­dest latent ver­bun­den sein kann.

Mit dem neu­en Bun­des­wehr­för­de­rungs­ge­setz wer­den sol­che begren­zen­den Vor­ga­ben prak­tisch obso­let, wird die Koope­ra­ti­on von bay­ri­schen Schu­len mit der Bun­des­wehr prak­tisch zum Zwang. Dies kann die Gewis­sens­frei­heit von Schü­lern und Schü­le­rin­nen beein­träch­ti­gen, wenn sie ein­sei­tig beein­flusst wer­den. Und es ver­stärkt, neben der damit ver­bun­de­nen men­ta­len Mili­ta­ri­sie­rung, einen bedenk­li­chen Trend: Denn die Bun­des­wehr hat bereits in den letz­ten fünf Jah­ren bun­des­weit etwa 8.000 Min­der­jäh­ri­ge rekru­tiert und an Waf­fen aus­ge­bil­det (mit Ein­ver­ständ­nis der Erzie­hungs­be­rech­tig­ten); und dies mit zuletzt stei­gen­der Ten­denz: allein 2023 waren es knapp 2.000, ein Rekord­wert (taz, 26.07.2024), und in Bay­ern sind fast 14 Pro­zent der Rekru­tier­ten der­ar­ti­ge Kin­der­sol­da­ten. Und dies, obwohl der UN-Kin­der­rechts­aus­schuss ein Rekru­tie­rungs­al­ter von über 18 Jah­ren, also Voll­jäh­rig­keit, for­dert. Auch im Koali­ti­ons­ver­trag der Ampel steht, dass »Aus­bil­dung und Dienst an der Waf­fe (…) voll­jäh­ri­gen Sol­da­tin­nen und Sol­da­ten vor­be­hal­ten« blei­ben. Doch eine Umkehr ist bis­lang nicht in Sicht. Und so wer­den auch wei­ter­hin Min­der­jäh­ri­ge, die sich durch Tech­nik und Waf­fen, durch kla­re Ord­nung, Kame­rad­schaft und Aben­teu­er anfi­xen las­sen, »kriegs­tüch­tig« gemacht – ganz beson­ders in Bayern.

Zum Sinn des Bun­des­wehr­för­de­rungs­ge­setz heißt es in der Begrün­dung: »Auf­ga­be des Staa­tes« sei es, »unse­re Gesell­schaft auf die grund­le­gend ver­än­der­te sicher­heits­po­li­ti­sche Lage vor­zu­be­rei­ten«. Auch der Frei­staat müs­se »im Rah­men sei­ner (Regelungs-)Kompetenzen dazu bei­tra­gen, die Bun­des­wehr zu stär­ken, die Rah­men­be­din­gun­gen für die Erfül­lung der Auf­ga­ben der Bun­des­wehr (…) best­mög­lich aus­zu­ge­stal­ten sowie den Rück­halt in der Bevöl­ke­rung für unse­re Sol­da­tin­nen und Sol­da­ten zu festi­gen«. Dies ist jedoch kei­ne baye­ri­sche Spe­zia­li­tät, son­dern passt zum bun­des­weit staat­li­chen Bemü­hen, die Bun­des­wehr umfas­send gesell­schafts­fä­hig und uns alle »kriegs­tüch­tig« zu machen, was sehr viel mehr meint als grund­ge­setz­kon­for­me Ver­tei­di­gungs­fä­hig­keit. Und tat­säch­lich gibt es längst Plä­ne des Bun­des­bil­dungs­mi­ni­ste­ri­ums, das Mili­tär bun­des­weit in Schu­len noch inten­si­ver infor­mie­ren und wer­ben zu las­sen, um »ein unver­krampf­tes Ver­hält­nis zur Bun­des­wehr« zu ent­wickeln und Schü­ler »auf den Kriegs­fall vor­zu­be­rei­ten«; und Hoch­schu­len sol­len nicht nur in Bay­ern, son­dern bun­des­weit künf­tig stär­ker für Mili­tär- und Rüstungs­for­schung geöff­net und dienst­bar gemacht werden.

Ange­sichts sol­cher Ent­wick­lun­gen und Gefah­ren ist es gera­de vor dem Hin­ter­grund deut­scher Geschich­te mehr als ange­mes­sen, dass sich hier­ge­gen orga­ni­sier­ter Wider­spruch regt: Und so warn­ten etwa DFG-VK, Gewerk­schaf­ten, Schul- und Hoch­schul-Ange­hö­ri­ge und zahl­rei­che Per­so­nen des öffent­li­chen Lebens bereits im Vor­feld vor einer Ver­ab­schie­dung des Geset­zes und kün­dig­ten eine ver­fas­sungs­recht­li­che Über­prü­fung an. Mehr als 1.500 Per­so­nen – dar­un­ter der Arbeits­recht­ler Wolf­gang Däub­ler, die Theo­lo­gin Mar­got Käß­mann, der ehe­ma­li­ge IG Metall-Chef Jür­gen Peters und der Lie­der­ma­cher Kon­stan­tin Wecker – unter­zeich­ne­ten eine Peti­ti­on gegen das Gesetz, weil sie eine weit­ge­hen­de »Mili­ta­ri­sie­rung des Bil­dungs- und For­schungs­be­reichs« befürch­ten – mit bun­des­wei­ter Aus­strah­lung. Das Gesetz grei­fe »unver­hält­nis­mä­ßig in die Auto­no­mie der Hoch­schu­len und damit in die For­schungs- und Wis­sen­schafts­frei­heit ein« und ver­sto­ße zudem gegen Neu­tra­li­täts­ge­bot und Gewis­sens­frei­heit an Schulen.

Aus all die­sen Grün­den muss der baye­ri­sche Ver­fas­sungs­ge­richts­hof schnellst­mög­lich mit der ver­fas­sungs­recht­li­chen Über­prü­fung die­ses Mili­tär­för­de­rungs­ge­set­zes und sei­ner mut­maß­lich fata­len Aus­wir­kun­gen befasst wer­den. Und auch die hof­fent­lich bald wie­der gestärk­te Frie­dens­be­we­gung muss sich die­ser ver­häng­nis­vol­len Ange­le­gen­heit und der zuneh­men­den gesell­schaft­li­chen Mili­ta­ri­sie­rung mit Nach­druck anneh­men und sich ent­schie­den widersetzen.

 Hin­weis: Rolf Gös­s­ner ist eben­falls Mit­un­ter­zeich­ner der Peti­ti­on gegen das baye­ri­sche Bun­des­wehr­för­de­rungs­ge­setz; er wird des­halb auch eine bal­di­ge ver­fas­sungs­ge­richt­li­che Über­prü­fung unterstützen.