Auch im dritten Jahr des Ukrainekrieges wird in den Talkshowformaten von Maischberger, Illner, Miosga und Lanz noch immer in militärfetischisierender Art und Weise das Narrativ bedient, dass der Ukrainekrieg allein militärisch entschieden werden könne, dass diplomatische Lösungsansätze noch immer völlig ausgeschlossen seien und sie ohnehin nur Putin in die Karten spielen würden. Die deprimierenden Hiobsbotschaften von den Schlachtfeldern in der Ukraine und den angrenzenden russischen Gebieten scheinen auf die waffenfixierten Wortführer jener Talkshowdebatten keinerlei Einfluss zu nehmen, und es hat sogar den Anschein, als würde ihr diplomatieverächtlichmachender Ruf umso lauter, je mehr bei ihnen selbst die Hoffnung auf einen militärischen Sieg bröckelt.
In den publizistischen Leitmedien scheint sich hingegen ganz behutsam eine kriegskritische Haltung ihren Weg zu bahnen, wie die SPIEGEL-Kolumne von Sabine Rennefanz zeigt, die sie mit »Ist es wirklich unser Krieg?« überschrieben hat: »Es ist Zeit, die Lage so zu betrachten, wie sie ist, und nicht, wie man sie sich wünscht. Die Ukraine ist nach zwei Jahren ausgelaugt, entvölkert, anonym sagen viele Menschen im Land, dass sie nicht mehr können, dass sie sich einen Waffenstillstand wünschen«, so Rennefanz. Zu einem ganz ähnlichen Ergebnis kommt Karin Dalka in der Frankfurter Rundschau in ihrem Kommentar: »Zwei Jahre in der Ukraine«: »Jeder Tag ist einer zu viel«, den sie mit höchst bedenkenswerten Worten beendet: »Kriege sind kein Schicksal. Sie sind menschengemacht und per se ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Auch Frieden wird von Menschen gemacht. Er braucht Köpfe und Herzen, die das Unerträgliche aushalten und zugleich darauf beharren: Jeder Krieg ist einer zu viel.« Und auch Rüdiger Lüdeking widerspricht in einem Essay in der Süddeutschen Zeitung mit deutlichen Worten dem scheinbar nicht mehr einzufangenden bellizistischen Sound jener Talkshows: »Emotionaler Furor und bellizistisch daherkommendes Maulheldentum helfen nicht weiter. Im Gegenteil, sie sind eher geeignet, die Kriegsgefahren für die europäischen Nato-Staaten zu erhöhen.«
Warum, fragt man sich beim Betrachten der militärhuldigenden Talkformate, werden dort eigentlich immer nur solche Gäste eingeladen, die sich stereotyp gegenseitig Stichworte für die Beantwortung ihrer bellizistisch getränkten Fragen geben und deren Antworten alle zuvor bereits zu kennen scheinen, was sie nur allzu gern mit wohlwollenden gegenseitigen Zustimmungsbekundungen goutieren? Wie einmal mehr die Talkshow-Runden zum neuen Star am Kriegswaffengattungshimmel, dem TAURUS, gezeigt haben, für den der Hersteller, die TAURUS Systems GmbH aus dem bayerischen Schrobenhausen, in einer militärbesoffenen Presseinformation folgendes erklärt: »TAURUS durchdringt im Tiefstflug die dichte Luftverteidigung des Gegners und zerstört sein Ziel mit seinem hochwirksamen zweistufigen Gefechtskopfsystem. Hierbei nutzt es einen frei programmierbaren Mehrzweckzünder, der die Detonation des Penetrators in vorgewählten Stockwerken innerhalb der Zielstruktur unter Verwendung von Schicht- und Hohlraummessungen initiiert. Durch die hervorragende Penetrationsfähigkeit, aber auch durch die Möglichkeit zum Einsatz gegen Flächenziele, ist das Waffensystem TAURUS sehr vielseitig einsetzbar. Die höchst flexible Missionsplanung stellt bereits vor dem Einsatz alle relevanten Informationen, wie zum Beispiel den zu erwartenden Missionserfolg, zur Verfügung.«
Stellt jene flexible Missionsplanung vorab eigentlich auch Informationen über einen möglichen Missions-Misserfolg zur Verfügung, möchte man die Waffenschmiede fragen? Wenn nämlich etwa die von Roderich Kieswetter unlängst geforderte Unterstützung eines militärischen Angriffs auf Moskauer Ministerien durch eben jenen TAURUS eine irreversible militärische Eskalationsstufe zum alles entscheidenden letzten Schritt in den Dritten Weltkrieg markieren könnte? Oder spielt das für den TAURUS-Hersteller und für seine militärgeifernden Fürsprecher nur eine untergeordnete bzw. gar keine Rolle? Harald Kujat, der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr, vertritt in einem Interview gegenüber der Rhein-Neckar-Zeitung die Ansicht, dass sich für die Ukraine eine Niederlage abzeichne und sich ganz allmählich das Zeitfenster für Verhandlungen schließe. Doch auf seine militärpolitische Expertise scheint im Bendlerblock schon lange niemand mehr Wert zu legen. Zeitgleich hat Papst Franziskus die Ukraine zu diplomatischen Bemühungen mit Russland aufgefordert, was in der Presse in vollkommen sinnentstellender und diffamierender Weise auf eine Aufforderung zum Hissen einer weißen Fahne reduzierend verächtlich gemacht worden ist und von Philipp Gessler in der TAZ auf sarkastische Weise so kommentiert wurde: Dass ein Papst sich für Frieden einsetze, sei »edel, aber kein Papst sollte einen überfallenen Staat wie die Ukraine zum Aufgeben auffordern. Im freien Westen und im Vatikan sollten erst wieder die Korken knallen, wenn der Mörder im Kreml aufgibt oder um Verhandlungen fleht. Von mir aus mit Krimskoyer Sekt.«
Der liberal-konservative Journalist Roland Tichy kritisiert daraufhin in seinem Blog-Beitrag: »Der Papst fordert Frieden – Ja, und?« die Hysterie in der Debatte um abweichende Meinungen zum Ukrainekrieg: »Was an den Reaktionen auf den Papst auffällt – oder auch schon nicht mehr –, sind die Panik und die Hysterie, mit der eine vermeintlich pluralistische Gesellschaft auf eine abweichende Stimme reagiert. Und wie sich eben diese pluralistische Gesellschaft nach Klimaschutz und Pandemie immer mehr in eine totalitäre Gesellschaft verwandelt. Weil sie andere Stimmen nicht mehr aushält. Weil niedergetrampelt werden muss, wer einen anderen Gedanken ins Spiel bringt. (…) Wer dann den Glaubensgrundsätzen widerspricht, wird zum Ketzer – und wenn es der Papst persönlich ist.« Dem kann nur schwerlich widersprochen werden, und all das lässt leider auch (noch) nichts Gutes erahnen für den weiteren Verlauf des Diskurses über den Krieg in der Ukraine sowie die diplomatischen Bemühungen, ihn endlich zu beenden.