Die Spannungen auf der arabischen Halbinsel zwischen dem Golf und dem Mittelmeer können leicht in ein nukleares Inferno führen. Bereits vor 13 Jahren berichtete der Deutschlandfunk: »Wenn die israelische Regierung über das heimliche Atomprogramm des Iran spricht, dann tut sie das im Angesicht einer durchaus realen Bedrohung. Aber sie tut das auch in dem Wissen, selbst Nuklearmacht zu sein – ohne das offen zuzugeben.« Im Oktober 1986 berichtete die Sunday Times über Israels nukleare Waffen. Der israelische Atomtechniker Mordechai Vanunu hatte die Informationen weitergegeben. Er war danach für 18 Jahre in Isolationshaft und später weiterhin in seiner Handlungsfreiheit beschränkt. Die Nuklearisierung Israels leitete dessen damaliger Ministerpräsident Ben-Gurion schon kurz nach der Staatsgründung mit Unterstützung aus den USA und Frankreich ein. Später lieferte Deutschland U-Boote, die Experten zufolge atomwaffenfähig sind. Auch ohne Angriffe mit nuklearen Waffen kann ein großer Krieg in der Region wegen der vorhandenen Atomanlagen nuklear eskalieren.
Die Bundesregierung und meinungsführende westliche Medien behandeln den Angriff des Iran auf Israel so, als habe Teheran die Eskalationsspirale eröffnet. NTV schrieb Mitte April: »Der Westen zeigt sich entsetzt angesichts des iranischen Angriffs. (…) Länder wie die USA beteuern ihre Solidarität zu Israel und fordern eine diplomatische und geschlossene Antwort.« Alle Beteiligten übergehen dabei die Tatsache, dass das israelische Militär laut New York Times und Washington Post zuvor die iranische Botschaft in Syrien angegriffen hatte. Der Nahost-Experte Guido Steinberg erklärte unmittelbar nach dem Angriff in der Tagesschau: »Israel geht ein großes Risiko ein.«
Diese Fakten hielten Bundesaußenministerin Annalena Baerbock nicht davon ab, es so darzustellen, als habe nicht Israel die Kette der Ereignisse eröffnet: »Wir verurteilen den laufenden Angriff, der eine ganze Region ins Chaos stürzen kann, aufs Allerschärfste.« Der Iran und mit ihm verbündete Kräfte müssten die Attacke »sofort einstellen«. Baerbock ergänzte: »Israel gilt in diesen Stunden unsere ganze Solidarität.«
Zwar legitimiert der Angriff auf die Botschaft keinen Vergeltungsschlag des Iran. Dessen ungeachtet gilt: Botschaften und Konsulate genießen gemäß Wiener Übereinkommen über diplomatische Vertretungen besonderen Rechtsschutz im Rahmen der Erfüllung ihrer Aufgaben. Diese sollen nicht dem Selbstzweck der Regierungsbeauftragten dienen, sondern die Wahrung der diplomatischen Mission – d. h. die Gesamtheit der Diplomaten und die ständige Vertretung in einem anderen Staat – sichern.
Die Unverletzlichkeit ist ein zentraler Grundsatz im Diplomatenrecht. Während Immunität den rechtlichen Schutz vor Strafverfolgung regelt, schützt die Unverletzlichkeit Diplomatinnen und Diplomaten vor polizeirechtlichen Zwangsmaßnahmen. Der Grundsatz der Unverletzlichkeit gilt auch für die Räumlichkeiten der Mission, also das Botschaftsgelände. Das Gastland ist verpflichtet, stets geeignete Schutzmaßnahmen zu ergreifen, um die Unverletzlichkeit auch gegenüber Dritten zu garantieren.
Im Maischberger-Talk am 15.4.2024 ging der Bild-Journalist Strunz sogar so weit, den Angriff auf die iranische Botschaft als »Vorneverteidigung« darzustellen. Die Begründung bezog sich auf die vom Iran gestützte Hisbollah, die aus dem Libanon wiederholt israelisches Gebiet angreift. Auch diese Darstellung wird den Abläufen nicht gerecht, denn der Konflikt um den Libanon reicht in die Vergangenheit, in der Israel mit unverhältnismäßiger Gewalt 1982 militärisch in den Libanon einmarschiert war.
Die Eskalationspolitik der israelischen Regierung und Armee wäre ohne die Waffen aus den USA und Deutschland nicht möglich. Sie birgt selbst die Gefahr des Bruchs der Menschenrechte und des Kriegsrechts in sich, wenn Israel 2000-Pfund-Bomben aus Nato-Staaten erhält, die die Armee über der dichtbesiedelten Millionenstadt Gaza einsetzt, um, wie es offiziell heißt, Hamas-Strukturen zu zerstören, was zur Unbewohnbarkeit des allergrößten Teils von Gaza führt. Hier werden Vorschriften der Haager Landkriegsordnung und der darauf fußenden Kriegsrechtsparagrafen gebrochen. Immer massiver ersetzen Kriegsparteien unserer Zeit das Kriegsrecht und vor allem das Völkerrecht durch das Unrecht des Stärkeren. Das gefährdet den Restbestand der Zivilisation und ersetzt diese durch Barbarei.
Israels Armee hat Pläne für einen Schlag gegen den Iran eingebracht, aber das Kriegskabinett zeigte sich uneins, wie weit die israelische Armee gehen soll: Zwischen einer Reaktion auf die iranische Reaktion und dem Auslösen eines Krieges liegt ein schmaler Grat. Die Neue Zürcher Zeitung schrieb Mitte April: »Während das Kriegskabinett für Zurückhaltung plädiert, fordern rechtsextreme Politiker den sofortigen Angriff.« Nach Angaben der New York Times fand mittlerweile ein »moderater« israelischer Luftschlag gegen Militäranlagen in Isfahan statt, unweit von iranischen Atomanlagen. Angeblich hätten zuvor die USA und europäische Partner die israelische Führung von einem härteren und also eskalierenden Vorgehen, etwa dem Einsatz von Kampfjets, dringend abgeraten.
Die Gefahr eines Flächenbrandes steht aber immer noch im Raum, und dieser trägt – wie wir gesehen haben – auch nukleare Risiken in sich.
Die westliche Unterstützung der Militärpolitik der Netanjahu-Regierung Israels ist wegen des immensen menschlichen Leids und wegen der nach oben hin offenen Eskalationsgefahr unverantwortlich.
Wer die Menschen in der Region wirklich unterstützen will, hat die Verantwortung, die Einhaltung der humanitären Menschenrechte und des Völkerrechts einzufordern. Das umfasst die Resolution 242 des Weltsicherheitsrates mit der Forderung nach einer 2-Staatenlösung mit den Grenzen für Palästina und Israel von 1967. Die deutsche Staatsräson hat, statt einer bedingungslosen Unterstützung der Politik der Regierung Israels, auf die uneingeschränkte Einhaltung der Menschenrechte hinzuwirken.