Seit einem halben Jahr ist Cannabis in Deutschland legal. Also teilweise. Nicht in der Nähe von Spielplätzen und Schulen konsumierbar. Nicht frei verkäuflich. Nicht unbegrenzt anbaubar. Der Einschränkungen sind viele, nur wenige kennen alle Regeln. Die Polizei sollte von der Verfolgung harmloser Kiffer entlastet werden und hat nun alle Hände voll zu tun mit Fortbildungen, Falluntersuchungen, Feintuning. Und die Betroffenen fragen sich: Sind wir anerkannt als Menschen, die einem besonderen Genuss frönen? Öffnet sich uns die Gesellschaft der anderes Genießenden? Oder geht die Ausgrenzung weiter?
Ich besuche die InterTabac in Dortmund – die weltweit größte Messe für Rauchwaren und, zusammen mit der InterSupply, für alles rund ums Rauchen Interessante. Hautnah mit dabei in den Messehallen ist diesmal die CB Expo, eine Cannabusiness-Ausstellung, die letztes Jahr noch vom benachbarten Kongress-Zentrum aus winken musste mit ihrem Angebot. Ich will rauskriegen, ob die so unterschiedlichen Kulturen der Zigarrenraucher und der Kiffer in den letzten sechs Monaten aufeinander zu gegangen sind, oder ob man die alten Vorbehalte weiter kultiviert.
Zuerst lerne ich, dass die InterTabac sich als »Fachbesuchermesse« wörtlich nimmt. Auch am letzten der drei Messetage sind Endverbraucher unerwünscht. Einen Kaffee kriegen die zwei jungen Männer vor mir in der Schlange zwar zubereitet, aber nicht ausgehändigt, bis sie die Frage »Which company are you from?« beantwortet haben. »Welche sollen wir nehmen?«, fragt der eine. Der andere zieht eine Businesskarte aus der Tasche und gibt sie ab. Man nimmt den Kaffee entgegen und schlendert zu einer Sitzgruppe mit Clubsesseln. Auf dem Tisch ein Zigarrenaschenbecher. Mit einem Kaffee, den ich im Schlepptau der beiden ergattert habe, setze ich mich dazu und erfahre, dass die Jungs Zigarren probieren wollen. Ihre Kleidung und die Basisinfos, die wir austauschen, verraten mir, dass mit jedem von ihnen als Konsumenten ein vierstelliger Umsatz zu machen ist. Im Monat. Interessiert das hier keinen? Die Dame von Swisher Sweets Cigarillos, die eilends unseren Tisch ansteuert, hat nur den Auftrag zu sagen: Die Plätze seien Händlergesprächen vorbehalten. Sie wünscht uns einen schönen Tag.
Seitenwechsel. Auch die CB Expo ist eine Fachbesuchermesse. Hersteller von Cannabisprodukten und Accessoires aller Art – ausgenommen reines Marihuana – treffen auf die Inhaber von Headshops und Distributoren. Man tauscht sich aus, netzwerkt, schließt Verträge, heckt Projekte aus. So weit, so gewöhnlich. Am Stand von Royal Queen Seeds, einem Saatguthändler, belausche ich dann ein Fachgespräch der anderen Art. Ein Althippie, nachlässig gekleidet, hat im Frühjahr gekauft und eingesät, seine drei erlaubten Marihuanapflanzen stehen vor der Ernte. Aber wann ist der richtige Zeitpunkt? fragt er und zeigt Handyfotos von den Pflanzen. Antonio von RQS betrachtet sie eingehend, zoomt in die Blüten, zeigt auf ihre weiße Behaarung. »Wenn Sie da mehr braune als weiße Fäden sehen, dann ist es so weit«, sagt er und ergänzt, dass rechtzeitig vorher die Düngung beendet und ausgiebig gewässert werden müsse. Hingebungsvoll, als wären es die eigenen, befasst Antonio sich mit den Sorgen des Endverbrauchers.
Da vergleiche ich allerdings Äpfel mit Birnen. Anders als auf der CB Expo belaufen sich auf der InterTabac die Kosten eines Ausstellers, von der Standmiete und -betreuung über den Messebau bis zum Wareneinsatz, schnell auf fünfzigtausend Euro. In den drei Tagen muss viel passieren. Und trotzdem, viele Hersteller klagen über rückläufigen Absatz, den Rückgang von Neukunden – und suchen händeringend nach neuen Vertriebswegen. Zwei Tage vor Eröffnung der Messe werden EU-Pläne bekannt, das Rauchen auch draußen, in Kaffeeterrassen, an Bushaltestellen, im Zoo, vor öffentlichen Gebäuden und vielerorts sonst zu verbieten. Aha, die Autoabgase und die Abluft der Öl-, Gas- und Pelletheizungen möchten uns draußen exklusiv erfüllen. Noch sind das Vorschläge, in manchen Mitgliedsstaaten aber bald Gesetze. Betroffen sind alle, auch die Vaper und natürlich die Cannabisraucher.
Ist dagegen eine Allianz zwischen braunem und grünem Rauch denkbar? Wenn die Verbände es beschließen, jederzeit, sagt Matthias Rinn, Geschäftsführer der Zigarrenmanufaktur Don Stefano. Dem alten Herrn im moosgrünen Anzug, der einen griechischen Kunden mit den Anfangszeilen der Odyssee auf Altgriechisch begrüßt, hätte ich diese Liberalität nicht zugetraut. Doch Rinn erweist sich rundum als Freigeist. »Warum rauchen Frauen keine Zigarren? Sich wie die Männer quälen in Uniform und Fußballdress – aber die Genüsse den Herren der Schöpfung überlassen?« Rinn ist es egal, ob ein Händler oder ein Aficionado ihm gegenübersitzt. Um ein gutes Gespräch geht es ihm, um Liebe zur Qualität. Der mit Homer begrüßte Grieche Theo ist auch »nur« Endkunde, erfahre ich. Ihm allerdings öffnen sich alle Stände bereitwillig, Inhaber von Weltmarken wie Arturo Fuente wollen ein Selfie mit ihm. Mein kurzer Gang mit Theo durch die Hallen wird immer wieder unterbrochen von Wildfremden, die ein Foto machen oder Details zu Theos Outfit wissen wollen. Sein Charme und sein an der Kleidung ablesbarer Geschmack sind unwiderstehlich.
Die sind doch nicht weniger verrückt als die Kiffer, denke ich mir. Ich wechsele noch mal zur CB Expo. Auf dem Weg mache ich eine Erfahrung, die mir im Gespräch mit einer Cannabinoidhändlerin bestätigt wird: Ich finde kaum hin. Die unzähligen Wegweiser und Lagepläne auf der InterTabac verschweigen unisono die Halle der grünen Konkurrenz. »Die tun so, als gäbe es uns nicht«, höre ich. Im E-Zigaretten-Segment sei die Abgrenzung weniger harsch. Immer mehr Vaper-Produkte enthielten Cannabinoide, vornehmlich das beruhigende CBD. Da öffne man sich, weil die Kundschaft es verlange. Aber Zigarren und Marihuana, das sei wie Öl und Wasser, lacht die Frau, daran ändere sich nichts. Auch die Kundschaft sei streng zweigeteilt, weise keine Überschneidungen auf. Sie will aber nicht namentlich zitiert werden, »weil mein Chef vielleicht gerade eine Kooperation mit Liga Privada aushandelt. Dann bin ich der Depp«. Ihr Lachen verrät: Das war ein Hoax, mehr nicht.
Auf beiden Seiten des Messegeländes fehlen die Besten. Cannabusiness ohne Marihuana ist letztlich wie Essen ohne Runterschlucken. Der deutsche Gesetzgeber will es so. Das Hauptgeschäft, das mit der gezacktblättrigen Pflanze zu machen wäre, bleibt illegal. Wenn man auf der InterTabac die Kollegen von der CB Expo ignoriert, liegt das zu einem Großteil an deren wirtschaftlicher Bedeutungslosigkeit. Auf der gegenüberliegenden Seite fehlt der Branchenprimus: Cuba. Seine Zigarren sind auf der ganzen Welt knapp, die begehrtesten in Deutschland nur noch selten zu kriegen. Um die explodierende Nachfrage zu bedienen, müsste die Karibikinsel sich verdreifältigen. Zur Verkaufsförderung auf eine Messe zu fahren haben die Genoss:innen definitiv nicht nötig. Ungestört von ihnen peilt der Kapitalismus in Dortmund sein eigenes Ziel an, die Geldvermehrung. Schneller hin kommt man, wenn Produkte nicht sinnvoll gebraucht, sondern missbraucht werden. Beim Rauchen wie bei Autos, Mode, Reisen, Schnaps, Computerspielen helfen Abhängigkeiten und Süchte, die an die Stelle von Nutzen, Freiheit und Spaß treten. Gesundheitsverträglich wäre der gelegentliche Griff zum Genussmittel, kein Dauerkonsum. Aber nur der konsolidiert die Gewinnerwartung. Den größten Erfolg als Zielgruppe verspricht die Jugend, da sie ein schleichendes Geschehen wie das Abhängig werden noch nicht durchschaut und ihre Betätigungen später die Gewohnheiten von zahlungskräftigen Erwachsenen sind. Dealer aller Rauchwaren, vereinigt euch! Euer Ziel tut es längst.
So würde der Markt sprechen, wäre er mehr als ein Hirngespinst. Vielleicht war es doch eine geniale Idee Karl Lauterbachs, den Zugang zu Marihuana und Haschisch in Deutschland nicht über diesen Markt zu öffnen.