Skip to content

Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

Menu
Menu

Manipulationen »hintenrum«?

Vie­le täg­li­che Gesprä­che, ob bei Nach­barn oder im Büro, begin­nen mit sol­chen Sät­zen wie »Im Fern­se­hen haben sie gesagt …« oder »In der Zei­tung steht heu­te …« oder »Ham’se schon gehört …«. Es zeigt, dass die mas­sen­ori­en­tier­te Medi­en­welt einen star­ken Ein­fluss hat. Und jeder weiß heut­zu­ta­ge: Eine Mel­dung kann posi­tiv oder nega­tiv for­mu­liert wer­den; sie kann durch Weg­las­sun­gen eben­so ver­än­dert wer­den wie durch hin­zu­ge­füg­te Mut­ma­ßun­gen oder unbe­wie­se­ne Bei­fü­gun­gen. Natür­lich sind zu jeder Mel­dung ver­schie­de­ne Hal­tun­gen mög­lich: Ihre Befür­wor­ter wür­den deren Wahr­heits­ge­halt beschwö­ren; poli­ti­sche Geg­ner wür­den fron­tal dage­gen argu­men­tie­ren; kri­ti­sche Köp­fe sind gewohnt, den Gehalt mit ande­ren Infor­ma­ti­ons­quel­len zu ver­glei­chen. Die »Band­brei­te« der Inter­pre­ta­ti­on reicht dem­nach von »Wahr­heit« bis »Mani­pu­la­ti­on«. Neben der­ar­ti­gen offi­zi­el­len, manch­mal auch offi­ziö­sen Infor­ma­tio­nen gibt es mei­nes Erach­tens eine ande­re Dimen­si­on der Ein­fluss­nah­me, die über ande­re Wirk­me­cha­nis­men erfolgt.

Ein Bei­spiel dazu: Eine Fami­lie mit vier Kin­dern und gerin­gem Ein­kom­men sieht im Fern­se­hen eine Sen­dung, in der ein Ehe­paar in einer deut­lich über 200 m² gro­ßen Vil­la wohnt; Kin­der tre­ten nicht auf. Wie wer­den sich die­se Men­schen füh­len? Wird der Gedan­ke auf­kom­men: War­um habe ich bloß gehei­ra­tet? Und sind die Kin­der nicht wie ein Klotz am Bein? Kann es dazu füh­ren, dass die­se Men­schen sich als Unter­pri­vi­le­gier­te, viel­leicht sogar als Ver­sa­ger füh­len? Zumin­dest ist ein psy­cho­lo­gi­scher Zusam­men­hang erkenn­bar, der aus die­ser dif­fi­zi­len gedank­li­chen Mani­pu­la­ti­on resultiert.

Dies lie­ße sich an zahl­rei­chen wei­te­ren Bei­spie­len nach­wei­sen – etwa in der Wer­bung, in der sel­ten Kin­der auf­tre­ten, jedoch viel häu­fi­ger, wie sich Sin­gles ihr Leben noch bes­ser, schö­ner, ein­fa­cher gestal­ten kön­nen. Als ich den Wer­be­satz las »Shop­pen wie ein Mil­li­ar­där«, war ich sozu­sa­gen sprach­los: Soll das der Maß­stab sein, an dem man sein Leben aus­rich­tet? Ist das Errei­chen der »Mil­li­ar­de« etwa ein Lebens­ziel? Oder anders­her­um gedacht: Soll den Rezi­pi­en­ten sug­ge­riert wer­den, dass das sorg­lo­se Shop­pen das Erstre­bens­wer­te ist – auch wenn ich danach plei­te bin?

Das Gegen­ar­gu­ment ken­ne ich schon: Jeder kann ja selbst ent­schei­den … Aber sol­che Mani­pu­la­tio­nen, denen man täg­lich aus­ge­setzt ist, beein­flus­sen und ver­än­dern die Psy­che eines Menschen.

Ein wei­te­res Gebiet, auf dem die­se Beein­flus­sung wirk­sam ist, genie­ßen vie­le Men­schen mit Ver­gnü­gen – die »Nebenbei«-Unterhaltung aus dem Radio. Ob beim Staub­saugen, bei mono­to­ner Büro­ar­beit oder im Auto – Mil­lio­nen hören täg­lich Radio. Ich habe mir die Mühe gemacht, durch vie­le Sen­der »durch­zu­zap­pen« und zu suchen, wo ich Musik mit deut­schem Text fin­de. Ja, es war wirk­lich mühe­voll – oft sind es die vier­ten Pro­gram­me der Lan­des­sen­der, die wech­sel­wei­se deut­sche und eng­li­sche Titel brin­gen. Abge­schätzt ergibt sich ein deutsch­spra­chi­ger Anteil von ca. 12 Pro­zent bei der Unter­hal­tungs­mu­sik. Eng­lisch­spra­chi­ge Musik wird aber von vie­len Rezi­pi­en­ten schlecht ver­stan­den; dem­ge­gen­über prägt ihre über­bor­den­de Dar­bie­tung im Unter­be­wusst­sein das Signal: Das ist die »bes­se­re« Spra­che! Was bei vie­len Titeln bleibt, sind Rhyth­mus und Melo­die. Doch die intel­lek­tu­el­le Kom­po­nen­te, die im Text ent­hal­ten ist, wird auf die­se Wei­se mini­ma­li­siert. Und bit­te nicht das Argu­ment: »Die Hörer möch­ten das so« – die Sen­der haben ihr Publi­kum auch gezielt dort­hin mani­pu­liert! Macht man näm­lich ein Gegen-Expe­ri­ment, indem man alte deut­sche Titel spielt, sin­gen vie­le – und nicht nur Älte­re – bereits weni­ge Sekun­den spä­ter mit!

In die­sem Zusam­men­hang drängt sich mir unwill­kür­lich die Fra­ge auf: Erfüllt so der öffent­lich-recht­li­che Rund­funk sei­nen Staats­auf­trag zur Pfle­ge der eige­nen Kul­tur? Oder anders­her­um: Lenkt jemand die Ent­wick­lung gezielt in die zu beob­ach­ten­de Rich­tung? Soll­ten die Ver­ant­wort­li­chen nicht dem­entspre­chend zur Rechen­schaft gezo­gen wer­den, auch mit per­so­nel­len Konsequenzen?

Die Angli­sie­rung der deut­schen Spra­che zeigt bereits wesent­li­che Aus­wir­kun­gen. Dies lässt sich bei Gesprä­chen vor allem mit jün­ge­ren Men­schen beob­ach­ten: Sehr oft wer­den die wesent­li­chen Begrif­fe in einer Äuße­rung nicht mehr auf Deutsch gesagt, son­dern auf Eng­lisch. Wür­de das einem Eng­län­der, einem Austra­li­er oder US-Ame­ri­ka­ner ein­fal­len? Jenen, mit denen ich Kon­takt habe bzw. hat­te, jeden­falls nicht. Oft ist ihnen eine ande­re Spra­che gar nicht geläu­fig. Ein fast schon lusti­ges Bei­spiel begeg­ne­te mir bei einer Wein­pro­be, denn dort gab es die Mar­ke »Sun­dow­ner«. Ja – wie? Soll also ein »Son­nen-Run­terer« die Son­ne abends vom Him­mel holen?

Aus mei­nem Emp­fin­den begann die sprach­li­che Angli­sie­rung hier­zu­lan­de in der Wer­be­bran­che und mit der Aus­brei­tung der IT im täg­li­chen Leben. Gera­de bei Com­pu­tern, Han­dys usw. scheint dies nach­voll­zieh­bar: Die mei­sten Soft­ware-Pro­gram­me kom­men aus den USA; in West­eu­ro­pa hat sich nichts Ver­gleich­ba­res ent­wickelt; als Aus­nah­me kann viel­leicht das SAP-System gelten.

Im Bereich der IT fin­det noch eine wei­te­re ver­steck­te Mani­pu­la­ti­on statt, wenn man den Bereich der Com­pu­ter­spie­le betrach­tet: Ob bei Rit­ter­spie­len oder Sci­ence-Fic­tion-Pro­gram­men – der Anteil mit Mor­den, Unglücken, Kapi­tal­ver­bre­chen und ähn­li­chem ist sehr hoch! Was pas­siert, wenn jun­ge Men­schen mit sol­chen Spie­len ihre Frei­zeit gestal­ten? Bei ihnen prägt die­se Art der Spie­le Ver­hal­tens­mu­ster für das spä­te­re Leben her­aus. Neben schnel­lem Han­deln bzw. Reagie­ren wer­den lei­der auch Aggres­si­vi­tät und eine gewis­se Ver­ach­tung gegen­über ande­ren Men­schen her­an­ge­züch­tet. Und ganz neben­bei sen­ken aggres­si­ve Com­pu­ter­spie­le auch die Hemm­schwel­le gegen­über kri­mi­nel­lem Han­deln; die Gewalt gehört damit irgend­wie schon zum »Tages­ge­sche­hen«; was auf der »Matt­schei­be« erlaubt ist, will man­cher auch im rea­len Leben mal aus­pro­bie­ren. Auch wenn ihre Spiel­fi­gu­ren sich sehr inten­siv bewe­gen – vie­le von den Spie­lern wer­den irgend­wann kör­per­lich ein­ge­schränkt sein, weil ihr Bewe­gungs­ap­pa­rat in den ent­schei­den­den Jugend­jah­ren nicht ent­wickelt wur­de. Ähn­li­che Ten­den­zen kön­nen durch über­mä­ßi­gen Han­dy­ge­brauch auf­tre­ten: Durch den stän­dig abge­senk­ten Blick­win­kel nach unten auf den Screen sind lang­zeit­li­che Fol­gen unausweichlich.

Sind dies nur schwarz­se­he­ri­sche Pro­phe­zei­un­gen? Nein, denn die bay­ri­sche Staats­re­gie­rung hat laut Wiki­pe­dia schon ab 2006 gefor­dert, dass für das Ver­brei­ten von soge­nann­ten »Kil­ler­spie­len« Stra­fen ver­hängt wer­den. Natür­lich setz­te ab die­sem Zeit­punkt das par­la­men­ta­ri­sche (oder viel­leicht lob­by­ge­trie­be­ne?) »Tau­zie­hen« ein mit Pro und Con­tra. Das Ergeb­nis: 2014 wur­de die­se Initia­ti­ve für erle­digt erklärt – ohne dass die­se For­de­rung zu einer Geset­zes­än­de­rung führte!

Gera­de das The­ma »Gewalt­ver­bre­chen« scheint sich aktu­ell ten­den­zi­ell ver­stärkt aus­zu­brei­ten. Dies ist nicht nur bei den Pri­vat­me­di­en seit lan­ger Zeit zu beob­ach­ten – auch bei den öffent­lich-recht­li­chen Medi­en wer­den zahl­rei­che Gewalt­ver­bre­chen gezeigt. Dies beginnt bei ZDF kurz nach 18 Uhr, bei ARD kurz vor 19 Uhr und setzt sich oft bis in den spä­ten Abend fort. Ähn­li­ches ist in der Pro­gramm­wer­bung etwa ab 18.30 Uhr zu sehen. Doch wie heißt es in § 3 des gesetz­lich ver­an­ker­ten Medi­en­staats­ver­trags? »Die Ange­bo­te sol­len dazu bei­tra­gen, die Ach­tung vor Leben. Frei­heit und kör­per­li­cher Unver­sehrt­heit (…) zu stär­ken.«. Soll das etwa gewahrt sein, wenn Kin­der bereits am frü­hen Abend Gewalt­ver­bre­chen sehen kön­nen? Zwi­schen 18 und 20 Uhr wer­den dem­nach Min­der­jäh­ri­ge mit min­de­stens 3 Lei­chen konfrontiert.

Da stellt sich mir die Fra­ge: Gibt es kei­ne ande­ren The­men, die es wert sind, betrach­tet zu wer­den? Hat unser All­tag nicht genug Facet­ten, die the­ma­ti­siert wer­den kön­nen – skur­ri­le, wit­zi­ge, nach­den­kens­wer­te? Ja, es geht auch um Ein­schalt­quo­ten bzw. vor­ge­ge­be­ne Mei­nungs­ten­den­zen – sind aber dem­ge­gen­über die mora­li­schen Wer­te nur zweit­ran­gig? Sicher ist dies so bei den Per­so­nen, die sich aus der­ar­ti­gen Mani­pu­la­tio­nen etwas ver­spre­chen, ob Gewinn, Medi­en­macht, ein per­sön­li­ches Vor­an­kom­men oder ähn­li­ches. Doch ist es nicht die Auf­ga­be des Staa­tes, ihnen auf die Fin­ger zu sehen – und, wenn nötig, auch zu klop­fen? Doch dazu kommt von den gro­ßen Leit­me­di­en kei­ne Infor­ma­ti­on. Es bleibt der Ein­druck, dass hin­ter den dar­ge­stell­ten Ten­den­zen eine geziel­te Metho­dik steckt, um in brei­tem Maße zu manipulieren.