Nach der Friedensdemonstration mit einer Beteiligung von mehreren Zehntausend und angesichts der über 700 000 Unterschriften unter das »Manifest für den Frieden«, das Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht initiiert haben, setzte eine Hetzkampagne führender Medien gegen die Aktiven aus der Friedensbewegung ein, an der allerdings auch Teile des grün-sozialdemokratischen Antifa-Spektrums Anteil haben. Der Spiegel warnte am Tag nach der Friedenskundgebung am Brandenburger Tor in zynischer Weise »Querfront ja, aber bitte diskret!«, und erläuterte: »Bei der sogenannten Friedensdemonstration am Samstag in Berlin zeigten sich die Konturen dessen, was Sahra Wagenknecht in Wahrheit anstrebt: eine prorussische, antiamerikanische, national orientierte Sammlungsbewegung. Die AfD reagiert erfreut.«
Damit haben wir klare Eckpfeiler der Kampagne: Dem »Manifest für den Frieden« und der Aktion wird unterstellt, 1. rechtsoffen-national, 2. pro Putin und 3. antiamerikanisch zu sein.
Diese Einschätzungen sind auch in linksliberalen Initiativen und Medien wie der Frankfurter Rundschau vom Wochenende nach der Berliner Kundgebung zu finden. Dort liest man, dass die Mahnung an die Organisatorinnen der Berliner Kundgebung sich klar von Rechtsradikalen abzugrenzen »in Teilen ungehört« blieb. Diese Unterstellung hat zwei Ebenen: Erstens: Was heißt es, wenn Sahra Wagenknecht im Vorfeld jeden, »der ehrlichen Herzens für Frieden ist«, willkommen heißt, und wenn sie Fahnen sowie Symbole, die Rechte und andere Nationalisten einsetzen, auf der Kundgebung verbietet? Sind Rechte ehrlich für Frieden? Die AfD zum Beispiel ist deshalb gegen Waffenlieferungen an die Ukraine, weil dadurch die Bundeswehr ausgeplündert wird, wie der AfD-Politiker Oberst a. D. Lucassen Anfang Februar im Phoenix-Interview anmerkte.
Am Tag nach der Berliner Kundgebung ging die tageszeitung mit ihren Angriffen auf die Forderung nach Verhandlungen, statt Waffenlieferungen einen Schritt weiter: »Wozu, wenn Putin das doch nicht will. Und man ihm eh niemals vertrauen kann. Und dann noch mit China als Vermittler? (…) Lautstark für Verhandlungen als Ausweg aus dem Ukraine-Krieg treten hier nur die Truppen um Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer auf.« Die Sprache, bei einer solchen Aktion von den Teilnehmern als »Truppen« zu sprechen, offenbart ein fragwürdiges Denken der Redaktion, die das durchwinkt.
Zum Vorwurf, auf der Kundgebung waren zwischen den Zehntausenden auch AfD-Mitglieder, ist zu sagen: Bei dieser großen Zahl an Teilnehmenden eine Gesinnungsprüfung vor den Zugang der Menschen zum Kundgebungsort vorzuschalten, ist unmöglich. Wer das verlangt, kann weder Demokrat noch Realist genannt werden. Und natürlich versuchen Rechte über die Unterwanderung auch an sich gegnerischer Projekte Einfluss in unserer Gesellschaft zu generieren.
Sahra Wagenknecht grenzte die Kundgebung in ihrer Rede klar gegen rechts ab: »Wenn wir schon von Rechtsoffenheit reden, dann sollen sich« die Kritiker/innen an die eigene Nase fassen: Sie meinte damit jene, die sich mit dem aktuellen ukrainischen Vizeaußenminister Melnyk verbünden. Er mache »keinen Hehl daraus«, dass er im Nazi-Kollaborateur Bandera, der für die Ermordung von tausenden Juden, Polen und Russen verantwortlich, ist »einen nationalen Helden« sieht. Auf die Vorwürfe hin, die Kundgebungs-Organisatorinnen seien zynisch, gewissenlos und womöglich von Putin bezahlt, stellte sie die Frage: »Seit wann ist der Ruf nach Frieden und nach Diplomatie rechts?«, und sie fuhr fort: »Selbstverständlich haben Neonazis und Reichsbürger, die in der Tradition von Regimen stehen, die für die schlimmsten Weltkriege in der Menschheitsgeschichte Verantwortung tragen, auf unserer Kundgebung nichts zu suchen. (…) Wer die Gefahr eines nuklearen Infernos in Kauf nimmt, der steht nicht auf der richtigen Seite der Geschichte.« Alice Schwarzer ergänzte im direkten Anschluss unter anderem das: »Wer in der Situation keine Angst hat, der ist entweder ein Dummkopf oder ein Zyniker. (…) Trotz des Tsunamis an Beschimpfungen (…), der über Sahra Wagenknecht und mich hinweg gegangen ist, gilt: Wir lassen uns nicht einschüchtern vom Gerede der mangelnden Distanz zur extremen Rechten. Wie absurd ist das, Frauen wie uns aufzufordern, wir sollen uns von Rechts distanzieren?! Unser ganzes Leben, unser ganzes Engagement ist links, wir sind für soziale Gerechtigkeit und gegen Gewalt. Das galt früher einmal als links. Wir stehen hier, weil täglich Hunderte sterben und weil das Atomkriegsrisiko zunimmt.«
Die Liste der Erstunterzeichner/innen des Friedensmanifests und auch diese Reden rechtfertigen den Vorwurf der »Querfront« gegen diese Aktion der Zehntausende Ende Februar am Brandenburger Tor nicht.
Zur Überprüfung des Vorwurfs an die Unterstützer/innen des Friedensmanifests, die Aktion sei pro Putin und antiamerikanisch aufgestellt, zweierlei: Die Kritik an der Administration im Weißen Haus ist eine Kritik an der US-Regierung und kein Antiamerikanismus. Hier Zitate aus dem Grußwort des US-Beraters und Ökonomen Jeffrey Sachs von der Berliner Kundgebung, über die fast keines der führenden Meinungsmedien dieses Landes nach der Kundgebung Ende Februar berichtete: »Ich bin Jeffrey Sachs, Universitätsprofessor an der Columbia University. (…) Ich war Berater der Regierungen Russlands, der Ukraine und der Vereinten Nationen, und ich möchte mit Ihnen über die Wahrheit dieses Krieges sprechen.
Wir befinden uns nicht am einjährigen Jahrestag des Krieges, dies ist sein neunter Jahrestag. Der Krieg begann mit dem gewaltsamen Sturz des ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch. Ein Putsch, der von den Vereinigten Staaten lanciert wurde. Von 2008 an drängten die Vereinigten Staaten auf die Nato-Erweiterung in der Ukraine und Georgien. Janukowitsch wollte Neutralität. Er stand zwischen den USA und ihrem Ziel dieser Nato-Erweiterung. Als Ende 2013 die Proteste gegen Janukowitsch ausbrachen, ergriffen die USA die Gelegenheit, um die Proteste eskalieren zu lassen. Und sie trugen zu dem Putsch gegen Janukowitsch, im Februar 2014, bei. Das war der Anfang des Krieges vor neun Jahren.
Seitdem hat Russland die Krim erobert. Der Krieg im Donbass brach aus. Die Nato spülte Milliarden Dollar an Aufrüstung in die Ukraine. Der Krieg eskalierte immer weiter. Die sogenannten Friedensabkommen von Minsk I und II, bei denen Deutschland als Co-Garant fungieren sollte, funktionierten nicht, weil die Ukraine sich weigerte, sie umzusetzen, und weil Deutschland und Frankreich keinen Druck zur Umsetzung ausübten.
Ende 2021 machte Präsident Putin klar, dass die Rote Linie für Russland die Nato-Erweiterung in der Ukraine ist und nicht akzeptiert werden kann. Putin erklärte, dass Russland die Kontrolle über die Krim behalten muss. Und dass mit dem Donbass auf der Grundlage der Minsker Friedensabkommen I und II verfahren werden muss. Joe Biden und das Weiße Haus lehnten es jedoch ab, über die Nato-Erweiterung zu verhandeln. So fand die russische Invasion tragischerweise und zu Unrecht im Februar 2022 statt, acht Jahre nach dem Putsch gegen Janukowitsch.
Die Vereinigten Staaten haben das Land seitdem massiv aufgerüstet, und inzwischen ist die Zahl der Toten und die Zerstörung fürchterlich hoch. Im März 2022 erklärte die Ukraine, dass sie auf der Grundlage der Neutralität verhandeln würde. Wir wissen jetzt, dass die Vereinigten Staaten diese Verhandlungen blockierten und eine Eskalation des Krieges favorisierten. (…) Dies ist ein Krieg, der beendet werden muss, bevor er uns alle in ein nukleares Armageddon verwickelt. Danke für Ihre Bemühungen. Wir müssen die Wahrheit sagen. Beide Seiten haben gelogen und betrogen und Gewalt ausgeübt.
Beide Seiten müssen sich zurückziehen. Die Nato muss den Versuch der Erweiterung um die Ukraine und Georgien stoppen. Wir müssen auf die Roten Linien beider Seiten hören, damit die Welt überleben kann.«