Über das monströse, in Frankreich »Francafrique« genannte militärisch-ökonomisch-politisch gewebte Netz neokolonialer wirtschaftlicher Ausbeutung und politischer Abhängigkeit aufzuklären, ist eine eminent wichtige Aufgabe – gerade heutzutage. Inzwischen ist es durchaus üblich geworden, etwa die kolonialen Verbrechen des deutschen oder britischen Imperialismus mit angeblich zivilisatorischen Verdiensten zu verbrämen. Und auch die französische herrschende Klasse versucht mit allen Mitteln, ihre Methoden der Beherrschung in Afrika zu verschleiern.
Umso größer ist das Verdienst von Dr. Samavo Th. Vissiennon aus Leipzig, »Mafiafrika« geschrieben zu haben, eine »kurze Geschichte französischer Kolonien in Afrika«. Dem Autor geht es dabei nicht primär um historische Klarstellungen, sondern um ganz aktuelle Belange. Als Vorsitzender des Vereins »Eine-Schule-für-Kingon e.V.« leitet er mehrere Hilfsprojekte in Benin, sein Blick »hinter die Kulissen«, wie er im Vorwort notiert, soll dabei helfen, dass »Hilfe richtig ankommt und die Afrika-helfenden Institutionen ihre Arbeit nicht nur als Ablasshandel betrachten müssen«, mit dem man sich zu Luthers Zeiten von Sünden freikaufen konnte. Deshalb schreibt der Autor nicht über den 450jährigen Sklavenhandel und nicht über die Kolonisierung im 19. Jahrhundert. Er beginnt mit der sogenannten »Befreiung« in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts.
Es ist eine Pionierarbeit, die Samavo Th. Vissiennon geleistet hat, denn im deutschsprachigen Raum gibt es nichts Vergleichbares, den französischen Neokolonialismus derart Entlarvendes – im Unterschied zum frankophonen Raum, wo beispielsweise der Belgier Francois-Xavier Verschave, der die Worte »Francafrique« und »Mafiafrique« geprägt hat, bis zu seinem Tod 2005 dagegen anschrieb.
Aber der Autor möchte auch gar keine fachhistorische Arbeit liefern. Dazu bräuchte es nur, vorhandene Literatur ins Deutsche zu übersetzen. Er listet nicht die über fünfzig militärischen Interventionen Frankreichs auf, die weiterhin für neokoloniale und seit den 80er Jahren für neoliberale Ordnung sorgten. Der Historiker mag bemängeln, dass ein Autor wie Patrick Pesnot, der 2014 mit dem anonym bleibenden Whistleblower »Monsieur X« entlarvende Dokumente – nach Ländern geordnet – auswertete, in der Literaturliste nicht aufgeführt ist. Oder der Film von Patrick Benquet »Francafrique. 50 annees sous le sceau de secret«, in dem der vom Krebs gezeichnete französische Botschafter in Benin gesteht, dass Wahlen gefälscht wurden.
Somavo Theophile Vissiennon erzählt Geschichte in seinen Geschichten – und das macht die Stärke des Buches aus. Er erzählt, wie er es sicher schon xmal Freunden, aber auch seinen Kindern erzählt hat. Wie er selbst es auch von seinem Großvater erzählt bekommen hat. Und er hat es endlich aufgeschrieben, neben seiner Arbeit als promovierter Tiermediziner, und es im Selbstverlag herausgegeben, den Kosten zum Trotz. Er habe keinen Verlag gefunden, sei »auch kein Günter Grass oder Gregor Gysi«, schrieb er mir. Er wendet sich an Deutsche, die von Afrika nur wilde Tiere, Katastrophen und Krieg kennen, denen die Zusammenhänge von Francafrique oder das Netz imperialistischer Ausbeutung unbekannt sind.
Und Samovo Th. Vissiennon erzählt nicht als »servant«, sondern, schlüpft listig in die Rolle des »masters«: französische Präsidenten und andere Handlager des französischen Monopolkapitals, allen voran der Afrikabeauftragte des Präsidenten, »Monsieur Afrique«: Jacques Foccart, der bis zu seinem Tod an den Strippen zog, oder der Sohn von Staatspräsident Mitterand, Jean-Christoph, genannt »papa-ma-dit« (Papa hat mir gesagt), bluttriefende Söldner und andere Militärputschisten nicht zu vergessen.
Samovo Vissiennon spricht »Tacheles«, lässt das herrschende Diktum offen und unverblümt bis zu verbrecherischen Absichten zu Worte kommen, die zum Teil als Zitate belegt sind und immer auf realen Grundlagen basieren. Natürlich ist jede Seite gespickt mit erklärenden Anmerkungen und wissenschaftlichen Belegen, die zum Weiterlesen animieren sollen. Dennoch liest sich das Buch wie ein Kriminalroman, bloß dass die Verbrecher stets straffrei ausgingen, solange nicht die Völker über sie zu Gericht sitzen.
Mit Samovo Theophile Sissiennon schreibt einer endlich in verständlicher Sprache und demaskiert das gesteuerte System der Ausbeutung. Es ist keine »graphic novel« wie die die 2006 in Poitier erschienenen fünf Bände von Gregory Jarry & Otto T, deren Band 4 sich »Franceafrique« widmet. Aber der Zeichner Werner David (Künstlername I.viss) untermalt gekonnt Sissienons Ausführungen, verdichtet die Intensität seiner Geschichten, die 106 Seiten lang betroffen machen. Das Buch gehört in Bibliotheken, besonders in den Schulen. Und es gehört in die Hand aufgeklärter (Groß-)Väter, die ihren Kindern und Enkeln diese Geschichten vorlesen und damit zu erklären suchen, warum zum Beispiel in Europa die Schokolade so billig ist.
Somavo Th. Vissiennon/I.viss: »MAFIAFRIKA. Kurze Geschichte französischer Kolonien in Afrika. Der Sinn der Francafrique«, Leipzig 2021. 109 S., zu bestellen über: www.afrika2030.net, 29,95 € (+ 3,50 Porto).