Letztes Wochenende ist der Kanzlerkandidat der vor einhundertundsechs Jahren noch so stolzen deutschen Sozialdemokratie zur blöden Witzfigur verkommen: Frau betritt von hinten das Arbeitszimmer ihres Mannes. Er, im Chefsessel, blütenweißes Hemd, telefoniert, sein Mund grinst lüstern, um den Kopf tanzen zwei rosa Herzchen. Sie, herangekommen: »Mit wem hast du gerade gesprochen?« Knallrot das Haupt legt er den Hörer auf: »Öh … ich kann mich nicht erinnern.« Sie, wütend: »Jetzt mach hier nicht den Scholz.«
So am 26. September in der Süddeutschen Zeitung die SZ-Zeichnung von Karin Mihm. Kaum war Olaf Scholz Kanzlerkandidat, da steht er auch schon verlegen und erinnerungsschwach vor dem Finanzausschuss des Bundestages (ein mit mehr Kompetenzen ausgerüsteter Untersuchungsausschuss wird folgen). Es geht um den Cum-ex-Skandal, den »größten Steuerraub aller Zeiten« (Die Zeit). 2016 ließ die Kölner Staatsanwaltschaft Hamburgs mächtigstes Geldhaus, die Warburg-Bank, durchsuchen. Die Hamburger Steuerbehörde kündigte an, wegen betrügerischer Cum-ex-Deals eine Rückerstattung von 47 Millionen Euro zu fordern, die sonst zu verjähren drohte. Es folgten seit dem 7. September 2016 einige Treffen von Bankchef Christian Olearius mit dem ehemaligen Ersten Bürgermeister Olaf Scholz, bei denen über steuerliche und strafrechtliche Probleme gesprochen wurde, die der Bank aus ihren Cum-ex-Geschäften entstanden waren. Olearius notierte danach in seinem Tagebuch, Scholz habe ihm versichert, er und die Bank bräuchten sich »keine Sorgen zu machen«. Mussten sie auch nicht, Hamburgs Finanzbehörden auch nicht mehr: Eine Rückzahlung der durch Betrug erworbenen 47 Millionen war dann verjährt.
Siebenundvierzig Millionen. Aber vor dem Bundestagsausschuss wusste Finanzminister Scholz nach innigem Befragen nur, dass in seinem Notizbuch der Termin eines Treffens mit Olearius vermerkt sei. Worüber man gesprochen habe, daran könne er sich wirklich nicht erinnern. Es sei aber sicher, dass es niemals zu einer politischen Intervention in das Steuerverfahren gekommen sei. Es gehöre zum Alltagsgeschäft der demokratischen Politik, versicherte Scholz, dass sich politisch Verantwortliche mit Bürgern und mit Unternehmern träfen und deren Anliegen anhörten.
Wenn er wenigsten gelogen hätte: Nein, ich habe mich nie mit Herrn Olearius getroffen, und bei eben diesem Gespräch ging es nicht um 47 Millionen Euro Steuergelder! Das hätte staatsmännisches Format gehabt. Dementi nennt man sowas. Aber der SPD-Kanzlerkandidat heißt Scholz, und er weiß, was er tut. Und warum er lügt, wenn er nicht die Wahrheit sagt. Der Herr Scholz kann sich nicht erinnern.
Katarina Barley, Vizepräsidentin des EU-Parlaments, in der Vorwärts-Krönungsnummer zur Kanzlerkandidatur: »Olaf Scholz ist einer der zuverlässigsten Menschen, die ich kenne. An seinem Wort kann man ein Tau festmachen.«