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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Lysistrata: Klartext-Monolog

Ihr führt Krieg gegen­ein­an­der – Athen gegen Spar­ta. Spar­ta gegen Athen. Habt ihr sie noch alle? Sind wir nicht alle Hel­le­nen? – Grie­chen schla­gen Grie­chen die Köp­fe ein. Könnt ihr nicht ein­fach mal mit­ein­an­der reden? Was hin­dert euch dar­an? Ihr sprecht doch die­sel­be Spra­che. Selbst wenn es unter­schied­li­che Dia­lek­te sind. In jedem Land fin­den sich klu­ge Men­schen, Par­la­men­tä­re, Dol­met­scher, Diplo­ma­ten. Was hin­dert euch, auf fried­li­che Wei­se mit­ein­an­der zu strei­ten? Die Kon­flik­te bei­zu­le­gen. Das bringt ihr nicht? Nicht mal die ein­fach­sten Sachen kriegt ihr hin? Wenn ihr das nicht könnt – über­lasst uns die Poli­tik. Ruhe. – Was mur­melt ihr? Hal­tet end­lich mal die Klap­pe. Jetzt reden wir. Lan­ge genug haben wir euch die Büh­ne über­las­sen. Fort­an über­neh­men wir die Ver­ant­wor­tung. Und wir wer­den es nicht so idio­tisch anfan­gen wie ihr. – Wer ist denn ver­ant­wort­lich für die­se unse­li­ge Poli­tik? Wir doch nicht. Wer hat beschlos­sen, noch ein­mal 100 Mil­li­ar­den Talen­te in die Kriegs-Rüstung zu stecken? Zu all dem andern dazu, was das Mili­tär so schon ver­schlingt. Als ich das hör­te, habe ich gedacht, es hakt bei mir aus. Ich bekam einen furcht­ba­ren Schreck. Ich wuss­te, ich muss unbe­dingt etwas tun. – Habt ihr es immer noch nicht kapiert? Waf­fen schaf­fen kei­nen Frie­den. 100 Mil­li­ar­den Son­der­ver­mö­gen für den Moloch! Ihr habt doch bestimmt vor­her mal aus­ge­rech­net, wie viel das alles zusam­men macht. Wie viel ist es? 1000 Mil­li­ar­den, 10.000, 100.000? Eine Mil­lio­nen Mil­li­ar­den? Kann einer von euch Schlau­köp­fen die­se Zahl bit­te mal auf­schrei­ben? Habt ihr in der Schu­le nicht auf­ge­passt? Eine Mil­li­ar­de, das ist eine 1 mit neun Nul­len. 1000 Mil­li­ar­den, das sind dann 12 Nul­len. Wie, ihr wisst nicht, wie viel das ist? Die Nul­len seid ihr selbst? Seid ihr denn völ­lig ohne Ver­stand? Ihr beschließt etwas, wovon ihr selbst nicht wisst, was es bedeu­tet? – So eine Rie­sen­zahl von Talen­ten wollt ihr ver­geu­den, um Krieg und Zer­stö­rung zu finan­zie­ren? Mensch, ihr habt über­haupt kein Talent! Was könn­ten wir damit alles anfan­gen, wenn wir es zu fried­li­chen Zwecken ein­set­zen! Wenn es nur das Geld wäre. Das lie­ße sich ja irgend­wie auf­brin­gen durch Fleiß und Spar­sam­keit. Aber was schafft der Krieg? Was bringt er zum Blü­hen? Was baut er auf? Ich will es euch sagen: Nichts, nichts, nichts. Er ernährt nur sich selbst wie ein Krebs­ge­schwür. Er zer­stört alles, was wir gemein­sam in fried­li­cher Arbeit geschaf­fen haben über Gene­ra­tio­nen. Das Land wird ver­wü­stet. Die Städ­te wer­den zer­stört. Die Wäl­der ver­brannt. Die Fel­der wer­den zer­stampft oder blei­ben ganz ohne Bestel­lung. Wovon sol­len wir leben, wenn der Boden brach liegt und ihr die Saa­ten zer­tram­pelt ohne Sinn und Ver­stand, die wir im Früh­jahr sorg­sam aus­ge­bracht haben? – Und was macht ihr mit unse­ren Män­nern? Mit unse­ren Söh­nen? Ihr ver­heizt sie ein­fach. Gan­ze Gene­ra­tio­nen von Män­nern wer­den sinn­los hin­ge­schlach­tet. Was faselt ihr von Hel­den­tum? Leckt mich doch am Arsch mit eurem Hero­is­mus. Wir wol­len kei­ne Hel­den. Und schon gar nicht sol­che Trot­tel wie euch. Ihr habt vier Wochen nicht gevö­gelt und tut gleich, als müss­tet ihr ster­ben. Wisst ihr, was es heißt, ein Kind zu gebä­ren? Das ist Hel­den­tum. Ihr scheißt doch auf das Leben, das so wert­voll ist. Das Leben ist unser kost­bar­stes Gut. Jedes leben­de Wesen ist hei­lig. Das Leben ist wert­vol­ler als alles ande­re auf der Welt. Alles müs­sen wir tun, es zu schüt­zen, zu erhal­ten, zu hüten. Wer das nicht ver­steht, soll nie­mals mit­re­gie­ren dür­fen in kei­nem Staat auf der Welt. Aber ihr tut immer gleich belei­digt, wenn mal eine ande­re Mei­nung geäu­ßert wird, zieht das Schwert aus der Schei­de und schlagt drauf los ohne Sinn und Ver­stand. Je mehr ihr mor­det, desto mehr kommt euch der Respekt vor dem Leben abhan­den. Und was wird aus uns? Ich mei­ne uns Frau­en. Dar­um küm­mert ihr euch über­haupt nicht. Ich will es euch sagen, ihr hirn­am­pu­tier­ten Voll­pfo­sten­krie­ger: Wir müs­sen flie­hen. Wir wer­den ins Elend getrie­ben. Frau­en, Kin­der, Alte. Wir wol­len den Krieg nicht. Wir betei­li­gen uns nicht dar­an. Aber wir müs­sen am mei­sten dar­un­ter lei­den. – Wenn ihr schon nicht rech­nen könnt, wie wär’s mal mit Lesen. Habt ihr gar nichts in der Schu­le gelernt? Was schrei­ben unse­re Dich­ter? Gibt es einen unter ihnen, der den Krieg lobt? Das wisst ihr nicht? Ihr seid ja schö­ne Kul­tur­krie­ger. Ihr kennt die Geschich­te und die Geschich­ten des eige­nen Lan­des nicht ein­mal? – Wovon berich­tet Homer? Über den grau­sam­sten Krieg aller Zei­ten. Ihr lest wohl nur Bil­der­bü­cher mit posie­ren­den Super­män­nern. Die Wun­den, das strö­men­de Blut, den qual­vol­len Tod, davor ver­schließt ihr die Augen? Die wollt ihr nicht sehen? Gera­de die­se Din­ge hat Homer so deut­lich geschil­dert wie kein ande­rer. Habt ihr die Ili­as nicht gele­sen und die Odys­see? Zehn Jah­re ver­tier­ten die Män­ner vor der Stadt im Dreck, bis end­lich alles tot und ver­nich­tet war. Die Stadt zer­stört. Die Män­ner ermor­det. Die Frau­en geschän­det. Und was hat­ten die Sie­ger von ihrem Tri­umph, den sie nur ihrer List und Falsch­heit ver­dank­ten? Trau­ma­ti­siert irr­ten sie auf der Welt umher und konn­ten nicht nach Hau­se fin­den. Einer kam heim, und der brauch­te 10 Jah­re für den Rück­weg, der bei gutem Wind kei­ne drei Tage dau­ert. Ich will euch sagen, was mit dem war: Der war völ­lig im Arsch. Was heißt hier trau­ma­ti­siert? Er trau­te sich nicht nach Hau­se, der Flach­wich­ser. Wahr­schein­lich hat­te er Schiss vor Pene­lo­pe. Wie kann man so blöd sein und in den Krieg zie­hen, wenn man so eine Frau hat. Und dann die­se Frei­er, die waren echt die Zumu­tung. In Itha­ka leben schein­bar über­haupt nur Doo­fe. Pene­lo­pe war doch die beste Köni­gin, die das Land je hat­te. Aber eine Frau durf­te das Land nicht beherr­schen. Ver­fas­sung nen­nen die das. So was Beklopp­tes! Über­all auf der Welt gibt es Hun­ger, Not, Dür­re. Dar­um müs­sen wir uns küm­mern. Durch Krieg lösen wir kei­ne Pro­ble­me. Macht end­lich Frie­den. – Was steht ihr da wie die Ölgöt­zen? Ihr starrt mich an wie die gött­li­che Offen­ba­rung und wollt, dass ich euch Bescheid gebe. Lysi­stra­ta, was machen wir jetzt? Wie soll es wei­ter­ge­hen. Lysi­stra­ta hier, Lysi­stra­ta da. Seid beschei­den. Das ist mein Bescheid. Lernt end­lich Respekt vor dem Leben. Es gibt kei­ne Fei­er. Die Par­ty fällt aus. Geht still nach Hau­se. Küm­mert euch. Macht Frie­den mit euren Frau­en, Män­nern, was immer. Seid dank­bar für die Lie­be, die euch geschenkt wird, für das Leben, für jeden Tag, jede Stun­de, jeden Augen­blick. Er ist ein­ma­lig. Nutzt ihn nach Kräf­ten. Ihr bekommt nur die­se eine Chan­ce. Leben ist Frie­den. Krieg ist Tod. Wah­rer Frie­den braucht kei­ne Waffen.

Aus: Lysi­stra­ta 2022 nach Ari­sto­pha­nes, frei bear­bei­te­te Ver­si­on der deut­schen Über­set­zung von Lud­wig Seeger.