Als ich vor mehr als 25 Jahren nicht mehr gezwungen war, meine Arbeitskraft zu verkaufen und der immer näher rückende »Ruhestand« mich zwang, eine Restlebensplanung vorzunehmen, war ich fest entschlossen den Niederrhein, der Namensbeginn beschreibt die dortige Landschaft wie auch die Einstellung der Bevölkerung, zu verlassen und mir, gläubiger Europäer, der ich war, ein schöneres Leben zu gönnen. Bad Reichenhall wurde dann mein Haupt- und Salzburg mein Zweitwohnsitz. Es war kein Problem zwischen den beiden Wohnorten zu pendeln, in diversen Gremien zu arbeiten, die die jetzige Gesellschaftsordnung für nicht akzeptabel und radikal veränderungswürdig ansahen. Das Schengener Abkommen sorgte für offene Grenzen. Kein Schlagbaum, keine Grenzkontrolle störte das Leben in den Grenzgebieten zwischen Salzburg und dem angrenzenden Berchtesgadener Land.
Im Jahr 2010 gab es sogar einen »Masterplan Salzburg«. Die »Inwertsetzung der gesamten regionalen Kulturlandschaft« sollte realisiert werden und »Schutzgebiete aufgrund ihrer landschaftsräumlichen und kulturlandschaftlichen Qualitäten« zur touristischen »Markenbildung« beitragen. Es hat sich einiges entwickelt in diesem grenzfreien Landstrich. Plötzlich, im März 2020 waren die Grenzen geschlossen. An der Grenze zwischen Deutschland und Österreich war selbst der kleinste Übergang verriegelt und verrammelt. »Halt Grenze« wurde da mitgeteilt und: »Die Grenzkontrollen sind aufrecht, dieser Übergang wird kontrolliert!«
Nach einem Jahr Lockdown dürfen Bürgerin und Bürger in diesem Grenzgebiet sich immer noch der Worte des großen Virologen und österreichischen Bundeskanzlers Sebastian Kurz vergegenwärtigen: »Das Virus kommt mit dem Auto.« Man durfte deshalb nur mit einem negativen PCR-Test in Österreich einreisen. War dieser Test aus Bayern, dann gab es Quarantäne. Da der kostenlose Schnelltest in Bayern noch immer nicht flächendeckend angeboten wird, obwohl der Ministerpräsident fast jede seiner Reden mit »Gott schütze Bayern« beendet, findet zwischen dem »Freistaat« Bayern und dem Land Salzburg ein äußerst erklärungsbedürftiger Grenzverkehr statt. Wer zum Beispiel im Bezirk Pinzgau wohnt, kann über das Deutsche Eck nach Salzburg fahren und passiert die Grenze meist problemlos – ohne PCR-Schnelltest, ohne Quarantäneandrohung, ohne großen bürokratischen Aufwand. Wer »pendelt« (weil er in Deutschland wohnt und in Österreich arbeitet/lebt oder umgekehrt), der braucht einen PCR-Schnelltest, der negativ ist und nicht älter als 72 Stunden, samt einem zweiseitig ausgefüllten Dokument »Registrierung gemäß § 2a COVID-19-EinreiseV«. Kommt man als »Gast«, gilt: »Ärztliches Zeugnis oder Testergebnis liegt vor: Ich trete zusätzlich unverzüglich eine zehntägige selbstüberwachte Heimquarantäne oder die Quarantäne in einer geeigneten Unterkunft, deren Kosten ich selbst zu tragen habe, an und verlasse in diesem Zeitraum die Quarantäneunterkunft nicht. Ich kann frühestens am fünften Tag nach der Einreise einen molekularbiologischen Test auf SARS-CoV-2 oder Antigen-Test auf SARS-CoV-2 durchführen lassen. Die kosten für einen Test auf SARS-CoV-2 sind selbst zu tragen. Liegt in negatives Testergebnis vor, gilt die Quarantäne als vorzeitig beendet.« Hat man kein ärztliches Zeugnis oder Testergebnis, gilt die gleiche Prozedur wie mit Zeugnis und Test!
Der Amtsschimmel wiehert gewaltig. Sprachlich erinnert das alles an jene Zeiten, in denen die Prügelstrafe noch ein wichtiges Werkzeug der Pädagogik war. In Österreich und wahrscheinlich auch bald in Deutschland gibt es, rund um die Pandemie und den Lockdown feine neue Wortschöpfungen: »Freitesten« oder »Friseurzugangstest«, bald wird es auch den »Filmzuschautest« geben und, wenn im Theater Nestroys »Freiheit in Krähwinkel« gespielt wird, den »Freiheitstheaterzugangstest«. Natürlich wird es auch für die Gläubigen den »GroßerGottwirLobenDichTest« geben oder, für die überaus sündigen Katholen, den »Beichtfreiheitzugangstest«. Ja, die Welt wird eine andere werden, und da wünscht man sich, vor allem in jenen Häusern wo bisher die Demokratie praktiziert wurde und wird, den »HerrLassHirnregnenTest«.
Und die Phrasendreschmaschine läuft auf Hochtouren: »Wir müssen einen zweiten/dritten/vierten Lockdown verhindern.« »Es gibt ein Licht am Ende des Tunnels.« »Wir sind gut durch die Krise gekommen.« Ganz ohne Licht im Tunnel frage ich mich, wer eigentlich mit »wir« gemeint ist.
Immerhin: Im Land Salzburg gibt es die Möglichkeit, sich, so oft man will, kostenlos testen zu lassen – und das mit einem überaus einfachen Prozedere. Über das Portal »Salzburg testet kostenlos« muss man einige Daten eingeben, sucht sich einen Wunschtermin und Test Ort aus bekommt als Bestätigung einen »Laufzettel« als Datei, den man ausrucken kann. Am Test-Ort wird kurz die Identität überprüft, der Test durchgeführt und sogar etwa anfallende Parkkosten ersetzt. 15 Minuten später kann man sich über seine E-Mail-Adresse das Attest ausdrucken lassen. Ich lasse mich seit Wochen mindestens einmal beim Messezentrum in der Stadt Salzburg testen. Das geht schnell, ohne Wartezeiten mit einem überaus freundlichen Personal.
Es gibt aber auch andere Erfahrungen. Am 14.1.2021 habe ich mich bei Impfportal der bayerischen Landesregierung angemeldet und bekam einen Account samt Passwortschutz. Bis zum heutigen Tag teilt mir der Account mit: »Kein Impftermin«. Also entschloss ich mich, das Landratsamt anzurufen. Es folgt ein O-Tongespräch in Buchbinder-Wanninger-Qualität:
»Telefonzentrale Landratsamt – Grüß Gott.«
»Mein Name ist …, ich bin 81 Jahre alt und habe neben COPD weitere Erkrankungen. Ich habe am 14.1.2021 einen Impfterminaccount eingerichtet, aber bis heute keinen Impftermin zugewiesen bekommen. Ich möchte nach geduldigstem Warten wissen, wann kann ich mit einem Impftermin rechnen, um meine weitere zukünftige Lebensplanung vorzunehmen.«
»Ich verbinde Sie weiter – ich bin nicht zuständig.«
»XYZ-Abteilung 4711.«
»Mein Name ist …«
»Es tut mir sehr leid, Herr …, aber der Chef ist in Urlaub. Ich habe leider keine Zugangsberechtigung zum Infosystem, ich kann Ihnen keine Auskunft geben.«
»Sind Sie, Herr XYZ, denn als Stellvertreter des Chefs nicht zugangsberechtigt?«
»Tut mir leid, ich bin nicht der Abteilungsleiterstellvertreter, ich bin hier nur Sachbearbeiter und habe keinen Zugang.«
»Wo ist denn der Abteilungsleiterstellvertreter? Herr XYZ?«
»Tut mir leid, der ist krank!«
Bei meinem letzten Besuch in Salzburg im Schnelltestzentrum für Antigen-Test auf SARS-CoV-2 habe ich meine Impfterminproblemgeschichte erzählt. Meinte einer der freundlichen Helfer: »No lossn eana bei uns in Östarreich impfn!«
»Wer außer den Politikern, die sie begehen, beklagt die Dummheiten in der Politik? Sind die Gescheitheiten in der Politik gescheitert?« Das fragte Karl Kraus vor langer Zeit. Antwort: Ja!