»Faschismus ist eine unzulässig verallgemeinernde Bezeichnung, die von linksextremer Seite als innenpolitischer Kampfbegriff verwendet wird.« Diese Definition des Tagungsthemas findet man noch in einer 1982 vom damaligen CSU-Bundesminister des Innern, Friedrich Zimmermann (1925-2012), herausgegebenen Schrift über »Sicherheit in der Demokratie. Die Gefährdung des Rechtstaates durch Extremismus«. »Dies ist kein Einzelfall«, schreibt Wolfgang Wippermann (1945-2021), Professor für Neuere Geschichte am Fachbereich Geschichtswissenschaft der Freien Universität Berlin, »sondern die staatlich verordnete Sprachregelung in unserer Demokratie«. Auch im Verfassungsschutzbericht von 1988 heißt es, dass »Faschismus« dem »Wortgebrauch der Linksextremisten« entstamme, die ihn als »Kampfbegriff« benützten, um »freiheitliche Demokraten, die den Kommunismus richtigerweise ablehnen, in die Nähe des ›Faschismus‹ zu rücken« (zitiert in: Helga Grebing und Klaus Kinner (Hrsg.), Arbeiterbewegung und Faschismus, Essen 1990). Unfassbar ist auch das skandalöse Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2019, das der NPD zwar bescheinigte, dem Grundgesetz feindlich gegenüber zu stehen, aber gleichzeitig von einem Verbotsverfahren Abstand nahm, weil die NPD angeblich viel zu klein, unbedeutend und einflusslos sei. Da kann man dann gespannt sein, wie auf Basis einfacher Gesetzgebung ein Gericht zukünftig Neonazi-Beamten verhindern will. Auch der mediale Umgang mit Faschismus ist bis heute erschreckend verharmlosend bis naiv (Ulrich Schneider, Vom medialen Umgang mit dem Faschismus, in: Z., Zeitschrift Marxistischer Erneuerung, Nr. 72/2007, und Hannes Heer, Das Dritte Reich des Guido Knopp, Vom medialen Umgang mit der Nazivergangenheit, in: Z., Nr. 72/2007).
»Wer aber vom Kapitalismus nicht reden will, sollte auch vom Faschismus schweigen«, so Max Horkheimer, einer der größten deutschen Nachkriegsphilosophen (Max Horkheimer, Die Juden und Europa, in: Max Horkheimer Gesammelte Schriften, Bd. 4, Frankfurt a. M. 1988). Ohne Frage gibt es einen Zusammenhang zwischen dem tief widersprüchlichen, nicht nur zwischen Kapital und Arbeit sich konstituierenden Kapitalismus und Faschismus, ohne dass dabei der Faschismus die Grundlagen des Kapitalismus (Privateigentum an den Produktionsmitteln und das Recht auf Profit) aufheben müsste (Avraham Barkai, Das Wirtschaftssystem des Nationalsozialismus. Der historische und ideologische Hintergrund 1933-1936, Köln 1977). Dies macht den Faschismus so begehrenswert für Kapitalisten, um damit gleichzeitig »politisch-sozialistische Umtriebe und auch Gewerkschaften beseitigen zu können«. »Niemals werde ich mich von der Aufgabe entfernen, den Marxismus und seine Begleiterscheinungen aus Deutschland auszurotten, und niemals will ich hier zu einem Kompromiss bereit sein« (Hitler am 10.2.1933, zit. n. Rainer Rotermundt, Verkehrte Utopien. Nationalsozialismus, Neonazismus, neue Barbarei, Frankfurt a. M., 1980).
August Thalheimer (1884-1948) hatte bereits 1923 die ersten Ansätze seiner Faschismustheorie formuliert und vor allem den Zusammenhang zwischen der Klassenlage des Kleinbürgertums und den Strukturen und Inhalten der darauf aufbauenden faschistischen Ideologie beschrieben. Er entwickelte dann ein in seiner Voraussicht unübertroffenes Modell des »stufenweisen Faschisierungsprozesses« bürgerlich-parlamentarischer Demokratien, um diese Theorie ab 1929 auf die innenpolitische Entwicklung des Deutschen Reiches anzuwenden (August Thalheimer, Über den Faschismus, Berlin 1930). Faschismus im Kapitalismus hat aber eine Voraussetzung. Das System muss sich in einer schweren akuten Wirtschaftskrise befinden. Wächst das System, trotz aller Widersprüche, und lässt für die abhängig Beschäftigten eine preisbereinigte Lohnpartizipation an den Produktivitätssteigerungen sowie einen Sozialstaat zu, wirkt das System befriedend und der Faschismus hat keine Chance. »Die Wirtschaftskrise der Jahre 1929-1933 war der wohl entscheidendste Faktor für den Mitglieder- und Stimmenzuwachs der NSDAP in der Endphase der Weimarer Republik« (Avraham Barkai). Auch Karl Georg Zinn schreibt: »Die deutsche Katastrophe, die mit dem Ende der Weimarer Republik begann, wird niemals eine letztgültige, allumfassende Erklärung finden. Es steht aber außer Zweifel, dass die Massenarbeitslosigkeit mit ihrer materiellen und psychischen Verelendung breiter Schichten des deutschen Volkes den Nationalsozialisten zu der ›kritischen Wählermasse‹ verholfen hat, die dann die ›Machtergreifung‹ so leicht machte« (Karl Georg Zinn, Orthodoxie, Außenseiter und der Aufstieg des Faschismus, in: derselbe, Wie Reichtum Armut schafft, 4. Aufl., Köln 2006). Der Zulauf zur AfD hat auch heute in Deutschland, in der jüngsten Wirtschaftskrise und einer neoliberal »zerrissenen Republik« (Christoph Butterwegge), die entscheidende Ursache. Und es gibt eine zweite erschreckende Parallele: Das Versagen der sogenannten politischen Elite zum Ende der ersten deutschen indirekten (parlamentarischen) Demokratie. »Damals lagen etliche Vorschläge vor, wie der Massenarbeitslosigkeit erfolgreich begegnet werden könnte. Es standen sich zwei Lager gegenüber, wenn von den Vorstellungen der deutschen Kommunisten abgesehen wird: auf der einen Seite die ›Reformer‹, die als Außenseiter galten und keine öffentliche Breitenwirkung erreichten; auf der anderen Seite die Orthodoxie, zu der die große Mehrheit der Universitätsökonomen und der wirtschaftlichen Führungskräfte zählte. Die damalige Situation gleicht der gegenwärtigen fast konturenscharf. Die Orthodoxen leisteten der Brüningschen Deflationspolitik kräftig Schützenhilfe, so wie auch heute von den neoliberalistischen Mehrheitsökonomen Sparpolitik auf allen Ebenen – mit Ausnahme der höheren – gefordert wird. Im Unterschied zur Weimarer Endzeit sind die heutigen Vertreter der herrschenden Lehre jedoch weitaus umfassender ›vernetzt‹, verfügen über mehr Finanzmittel für ihre ideologische Propaganda, können sich auf ›Denkfabriken‹ und eine zahlreiche Lobby stützen« (Zinn). Dies hat gerade noch einmal deutlich die Studie des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung deutlich aufgezeigt (Dieter Plehwe, Moritz Neujeffski, Jürgen Nordmann. Schlecht beraten? Die wirtschaftspolitischen Beratungsgremien der Bundesregierung in der Kritik, Berlin, Frankfurt a. M. 2024).
Herbert Marcuse (1898-1979) erkannte schon 1934 Faschismusursachen in der dem Kapitalismus inhärenten Gesellschaftsstruktur (Herbert Marcuse, Der Kampf gegen den Liberalismus in der totalitären Staatsauffassung, Zeitschrift für Sozialforschung III/2, Paris 1934) und Arthur Rosenberg (1889-1943) sieht im Erhalt der feudalen autoritären Ideologien bis in die kapitalistische Ära hinein, die Basis für das Entstehen eines autoritären faschistischen Staates, mit dem das Kapital bestens leben kann (Arthur Rosenberg, Der Faschismus als Massenbewegung, Karlsbad 1934). An der Spitze des Staates steht der »Führer«. Alles wird ihm unterworfen und alle haben dem »Führer« zu gehorchen. Regiert wird mit Angst und Terror (Eugen Kogon (1903-1987). Der SS-Staat. Das System der deutschen Konzentrationslager, 1. Aufl., München 1946, 47. Aufl., München 2015). Der US-amerikanische Historiker Daniel Jonah Goldhagen verdeutlicht dies an der systematischen Vernichtung der Juden (Holocaust). Er fragt, »was die NS-Führung, ebenso wie die gewöhnlichen Deutschen zur Verfolgung und Vernichtung der Juden bewog?« Es war eine vorherrschende Kultur des in Deutschland vorliegenden »eliminatorischen Antisemitismus«, so Goldhagen. Er zeigt dies anhand der »Maschinerie der Vernichtung« durch »Polizeibataillone als Handlanger des Völkermords«, des Lebens in »Arbeits«lagern und durch »Todesmärsche: Bis zum bitteren Ende« (Daniel Jonah Goldhaben, Hitlers willige Vollstrecker. Ganz gewöhnliche Deutsche und der Holocaust, 3. Aufl. Berlin 1996).
Nach dem Zweiten Weltkrieg sind zum Faschismus und Kapitalismus besonders die Arbeiten von Reinhard Kühnl (Der Faschismus. Ursachen, Herrschaftsstruktur, Aktualität, Eine Einführung, 2. Aufl., Heilbronn 1983, derselbe, Gefahr von Rechs? Vergangenheit und Gegenwart der extremen Rechten, Heilbronn 1990) und Wolfgang Wippermann (Faschismustheorien, 2. Aufl., Darmstadt 1975) sowie Richard Saage (Faschismustheorien, München 1976) hervorzuheben. Faschismus, schreibt Kühnl, sei kein auf Deutschland begrenztes Problem. Nach dem Ersten Weltkrieg hätten sich in Europa neue Herrschaftssysteme herausgebildet. Wenn sie auch nicht in allen Ländern völlig gleich waren, so hätten sie doch die gleichen Merkmale in ihrer politischen Stoßrichtung, ihrer Ideologie und in ihrer Organisationsform. Bei einer Beibehaltung der bestehenden Eigentumsordnung, im Interesse des Kapitals, sollte ein autoritärer Staat die Arbeiterbewegung niederhalten. Denn wer die politische (staatliche) Demokratie akzeptierte, musste damit rechnen, dass dann auch die Demokratie im Betrieb und in der Wirtschaft verlangt werden würde. So wurde das Prinzip der Autorität in Wirtschaft und Staat eben nicht nur dadurch verwirklicht, dass die Arbeiterparteien und Gewerkschaften verboten, dass jeder Ansatz demokratischer Mitbestimmung in Staat und Wirtschaft vernichtet wurde; sondern auch dadurch, dass Zehntausende aus der Arbeiterbewegung in die Zuchthäuser und Konzentrationslager geworfen und Tausende ermordet wurden. Und es gilt, so Kühnl, bei den Faschisten das uneingeschränkte Führerprinzip (»Treue und Gehorsam bis in den Tod«) und dies in Verbindung mit einem reaktionären, völkischen und rassistischen Denken (samt Judenhass).
Zum heute aktuell in Deutschland wiedererstarkten Faschismus sei u. a. auf die Arbeiten von Christoph Butterwegge (Globalismus, Neoliberalismus und Rechtsextremismus, in: UTOPIEkreativ, Heft 1/2002) verwiesen. Er stellt den mit der AfD mittlerweile in die Parlamente eingezogenen Rechtsextremismus in den Kontext von Globalisierung und Neoliberalismus. Heutiger Faschismus sei aber nicht mehr derselbe wie zur Zeit des Nationalsozialismus bzw. Hitlerfaschismus (vgl. dazu auch Jürgen Kocka, Ursachen des Nationalsozialismus, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Beilage zur Wochenzeitung das Parlament, B25/80, 21. Juni 1980). Eine eiskalte, neoliberal und marktradikal ausgesteuerte Globalisierung schaffe in der Gegenwart massiv viele wirtschaftliche Verlierer, die aber keine sein wollen, so Butterwegge. Diese Stigmatisierten und von Angst Getriebenen würden von der »neuen Rechten« eingesammelt und vor ihren populistischen Propagandakarren einer rassistischen Ausgrenzungspolitik gespannt. Waren es bei den Hitler-Faschisten die Juden, sind es heute die »Asylanten« und »Arbeitsmigranten« mit denen Angst und ein Ethnisierungsprozess geschürt wird. Dabei erfolge, wie Butterwegge schreibt, eine Stigmatisierung »der Anderen«; mit der Konstituierung/Konturierung einer nationalen bzw. »Volksgemeinschaft«. Damit einher gehe eine »Kulturalisierung« der Politik, die nicht mehr auf materielle Interessen zurückgeführt, sondern auf die Wahrung kollektiver Identitäten reduziert werde. In diesem Kontext ist auch auf die Arbeiten von Wulf D. Hund, Rassismus und Antirassismus, Köln 2018 und von Cornelia Koppetsch, Rechtspopulismus als Protest. Die gefährdete Mitte in der globalen Moderne, Hamburg 2019 sowie auf Alexander Häusler (Hrsg.), Völkisch-autoritärer Populismus, Hamburg 2019 aufmerksam zu machen.
Es ist hochgradig gefährlich, in einem widersprüchlichen kapitalistischen System die arbeitende Bevölkerung nicht wirtschaftlich partizipieren zu lassen. Dies ist aber zunehmend, seit fast fünfzig Jahren, der Fall – nicht nur in Deutschland. Der von einer kleinen Herrschaftsschicht gewollte Umverteilungs-Neoliberalismus zur einseitigen Befriedigung von Kapitalinteressen hat den gesellschaftlichen Konsens aufgekündigt und alle gesellschaftlichen Bereiche mit einer Zerstörungswut überzogen und zu einer »Ich-Gesellschaft« gemacht. Das führt aber im Ergebnis zu einer immer größeren Verelendung breiter Bevölkerungskreise. Wenige werden reicher und reicher. Kommt es hier zu keinem radikalen Paradigmenwechsel muss die AfD auf die Machtübernahme nur warten, wie gegen Ende der Weimarer Republik die Faschisten auch nur warten mussten, bis man ihnen die Macht übertrug. Dabei gibt es eine Alternative. Die herrschende Politik müsste, ohne Wenn und Aber, eine links-keynesianistische Wirtschaftspolitik auf der Makroebene und auf der Mikroebene eine Wirtschaftsdemokratie umsetzen (Heinz-J. Bontrup, Arbeit, Kapital und Staat. Plädoyer für eine demokratische Wirtschaft, 6. Aufl., Köln 2021). Nur das will die herrschende Politik nicht – im Einklang mit Kapitaleignern und ihren Claqueuren in Wissenschaft und Medien. Sie beklagen nur die mittlerweile offenkundigen gesellschaftlichen faschistischen Wirkungen. Nach den Ursachen wird jedoch nicht gefragt. Diese würden Wahrheiten offenlegen, von denen Politik noch nie etwas hören wollte. Wahrheiten sind für bestehende Herrschaftssysteme, egal für welches, schon immer gefährlich gewesen.