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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Literarische Spritztour um den Globus

Wir kön­nen nicht ruhig zu Hau­se sit­zen. Das liegt schein­bar in unse­rer Natur. Rei­sen ver­spricht neue Erfah­run­gen, pures Erle­ben. Seit Tau­sen­den von Jah­ren haben wir Men­schen die Welt erkun­det. Wir wol­len und müs­sen wohl rei­sen – manch­mal auch nur in Gedan­ken. Daher sind Rei­se­be­rich­te, die uns in die ent­le­gen­sten Win­kel der Erde ent­füh­ren, stets eine will­kom­me­ne Lektüre.

Eines der aben­teu­er­lich­sten und fan­ta­stisch­sten Rei­se­bü­cher, das vor genau 150 Jah­ren erschien, ist die Rei­se um die Welt in 80 Tagen des fran­zö­si­schen Schrift­stel­lers Jules Ver­ne (1828-1905). Am 2. Okto­ber 1872 begibt sich der eng­li­sche Gen­tle­man Phi­leas Fogg wie jeden Tag in den vor­neh­men Reform-Club, wo er sich bei sei­nem gelieb­ten Whist-Kar­ten­spiel die Zeit ver­treibt. In der Her­ren­run­de wet­tet er, dass er es schafft, die Welt in 80 Tagen zu umrun­den (d. h. in 1920 Stun­den oder 115.200 Minu­ten). Ein Ding der Unmög­lich­keit, das ihm kei­ner der Club­mit­glie­der zutraut. Doch ein eng­li­scher Gen­tle­man macht kei­nen Spaß. Fogg, der seit Jah­ren Lon­don nicht ver­las­sen hat, beharrt auf der Wet­te und setzt stol­ze 20.000 Pfund ein – immer­hin die Hälf­te sei­nes Ver­mö­gens. Die ande­re Hälf­te benö­tigt er für die Durch­füh­rung der Welt­rei­se. Soll­te er die Wet­te ver­lie­ren, wäre das sein finan­zi­el­ler Ruin. Um die Wet­te aber zu gewin­nen, muss er am 21. Dezem­ber 1872 spä­te­stens um 20.45 Uhr wie­der im Club sein.

Ehe sich Phi­leas Fogg auf den gewag­ten Wett­lauf gegen die Zeit quer über den Glo­bus begibt, führt der Gen­tle­man selbst­ver­ständ­lich das Kar­ten­spiel zu Ende. Daheim packt er in Win­des­ei­le eine Rei­se­ta­sche mit dem Aller­nö­tig­sten und besteigt noch am Abend mit sei­nem fran­zö­si­schen Die­ner Jean Pas­se­par­tout, den er erst vor ein paar Stun­den ein­ge­stellt hat, den Zug nach Dover. Von dort set­zen die bei­den mit der Fäh­re nach Frank­reich über, dann geht es mit dem Zug über Paris nach Brin­di­si, wo sie das Dampf­schiff über Aden nach Bom­bay durch den Suez­ka­nal bestei­gen. Die wei­te­ren Sta­tio­nen sind Alla­ha­bad, Kal­kut­ta, Sin­ga­pur, Hong­kong, Shang­hai, Yoko­ha­ma, San Fran­cis­co, New York, Queen­stown, Dub­lin und Liverpool.

Da es sich um einen Aben­teu­er­ro­man han­delt, gibt es natür­lich jede Men­ge Kom­pli­ka­tio­nen. Ab Suez hef­tet sich der Geheim­agent (Inspek­tor von Scot­land-Yard) Fix an ihre Fer­sen. Durch sei­ne über­stürz­te Abrei­se in Lon­don und mit einem Rei­se­sack vol­ler Bar­geld gerät Fogg in den Ver­dacht, der gesuch­te Bank­räu­ber zu sein, der die Bank of Eng­land um 55.000 Pfund erleich­tert hat. Der dienst­eif­ri­ge Fix hält Foggs Wet­te für ein geschick­tes Ablen­kungs­ma­nö­ver. Da aber an den ein­zel­nen Rei­se­sta­tio­nen kein Haft­be­fehl aus Lon­don ein­trifft, kann er die Wei­ter­rei­se von Fogg und sei­nem Die­ner nie ver­hin­dern. Also reist er ihnen wei­ter heim­lich nach.

In Indi­en stellt sich dann her­aus, dass an der brand­neu­en Eisen­bahn­brücke, die Fogg in sei­ner Rei­se­rou­te hat­te, trotz Fer­tig­mel­dung in den Gazet­ten immer noch gebaut wird. (Auch damals gab es schon Fake News.) Kurz­ent­schlos­sen sat­telt er auf einen Ele­fan­ten­rücken um und ret­tet neben­bei mit sei­nem Die­ner die jun­ge Prin­zes­sin Aou­da, die Wit­we eines Rajahs, vor dem Schei­ter­hau­fen. Fogg lädt die indi­sche Schön­heit ein, ihn auf dem Rest der Welt­rei­se zu beglei­ten. Wäh­rend sich die Pazi­fik-Über­fahrt mit einem Post­schiff ohne nen­nens­wer­ten Zwi­schen­fall gestal­tet (der Stil­le Oze­an recht­fer­tigt sei­nen Namen), bringt die Durch­que­rung des ame­ri­ka­ni­schen Kon­ti­nents immer wie­der Zeit­ver­zug, denn die Paci­fic-Bahn wird ent­we­der von Büf­fel­her­den oder von bewaff­ne­ten Sioux-India­nern auf­ge­hal­ten. Als schließ­lich New York erreicht ist, das näch­ste Mal­heur: Das Post­schiff nach Liver­pool ist bereits vor 45 Minu­ten abge­fah­ren. Für viel Geld bucht Fogg einen klei­nen Damp­fer, und als mit­ten im Atlan­tik die Koh­le knapp wird, lässt er das höl­zer­ne Ober­deck ver­feu­ern. Ange­kom­men in Liver­pool schlägt jedoch Fixens Stun­de: Der voll­streck­ba­re Haft­be­fehl ist end­lich ein­ge­trof­fen, und Fogg sitzt im Gefäng­nis. Erst nach Stun­den stellt sich her­aus, dass der gesuch­te Bank­räu­ber bereits ver­haf­tet ist. Trotz Char­terns eines Son­der­zu­ges erreicht Fogg Lon­don nur mit Ver­spä­tung. Fünf Minu­ten feh­len. Doch am näch­sten Tag stellt sich her­aus, sie hat­ten bei der Erd­um­run­dung in öst­li­cher Rich­tung einen Tag hin­zu­ge­won­nen. Das hat­te der sonst so akri­bi­sche Fogg ein­fach über­se­hen. Die Wet­te ist doch noch gewon­nen, und am Ende hei­ra­ten Phi­leas Fogg und Aou­da, die sich wäh­rend der Rei­se ver­liebt haben.

Die Rei­se um die Welt in 80 Tagen gehört zu Ver­nes popu­lär­sten Roma­nen. Er erschien im Herbst 1872 unter dem Titel Le tour du mon­de en quat­re-ving­ts jours als Fort­set­zungs­rei­he in der Tages­zei­tung Le Temps. Das Erschei­nungs­da­tum der ein­zel­nen Fol­gen war dabei weit­ge­hend iden­tisch mit den Rei­see­tap­pen der fik­ti­ven Rei­se­grup­pe. Als voll­stän­di­ges Buch wur­de die Geschich­te am 30. Janu­ar 1873 im Pari­ser Ver­lag von Pierre-Jules Het­zel her­aus­ge­ge­ben, der auch Vic­tor Hugo, Hono­ré de Bal­zac und Émi­le Zola publi­zier­te. Zu Leb­zei­ten Ver­nes erreich­te der Roman immer­hin eine Auf­la­ge von über 100.000 Exem­pla­ren. Zwei Jah­re spä­ter erschien dann die erste deutsch­spra­chi­ge Aus­ga­be. Rea­li­stisch wur­de die spek­ta­ku­lä­re Rei­se erst dank der Öff­nung des Suez­ka­nals im Novem­ber 1869, was eine Umrun­dung des afri­ka­ni­schen Kon­ti­nents erspar­te, und neu­er Eisen­bahn­li­ni­en in den USA, die die Rei­se­zeit erheb­lich ver­kürz­ten. In sei­nem Früh­werk, u.a. Die Rei­se zum Mit­tel­punkt der Erde (1865) oder Rei­se zum Mond (1870), ver­ar­bei­te­te Ver­ne den wis­sen­schaft­lich-tech­ni­schen Fort­schritts­glau­ben sei­ner Zeit. In sei­ner zwei­ten Schaf­fens­pe­ri­ode, zu der auch Rei­se um die Welt in 80 Tagen gehört, tau­chen dage­gen auch sozia­le und gesell­schafts­kri­ti­sche Aspek­te auf.

Laut der UNESCO-Daten­bank »Index Trans­la­ti­o­num« ist der tech­nik­be­gei­ster­te Jules Ver­ne der am zweit­häu­fig­sten über­setz­te Schrift­stel­ler der Welt. Bei sei­nem Roman bezog er sich auf den US-ame­ri­ka­ni­schen Kauf­mann und Autor Fran­cis Train (1829-1904), der es bereits 1870 geschafft hat­te, die Erde in 80 Tagen zu umrun­den. Er soll übri­gens dar­über sehr ver­är­gert gewe­sen sein, dass Ver­ne sei­nen Roman­hel­den nicht nach ihm benannt hat. Trotz­dem (oder gera­de des­we­gen) hat er die Erde spä­ter noch drei­mal umrun­det; 1892 sogar in sech­zig Tagen. Die amü­san­te und sati­risch-humo­ri­sti­sche Beschrei­bung des Uto­pi­sten Jules Ver­ne hat auch spä­ter vie­le Rei­sen­de zur Nach­ah­mung der Phi­leas Fogg-Rei­se­rou­te inspiriert.

Neben den zahl­lo­sen Über­set­zun­gen wur­de der Roman auch mehr­fach ver­filmt (u. a. 1956 mit David Niven, immer­hin fünf Oscars). 2021 erschien eine moder­ne fran­zö­sisch-deutsch-ita­lie­ni­sche Seri­en­ad­ap­ti­on in acht Fol­gen, die auch die patri­ar­cha­len, euro­päi­schen und kolo­nia­len Ansich­ten der Epo­che sicht­bar macht und damit den Klas­si­ker dem Zeit­geist anpasst. Neben der Gesell­schafts­kri­tik ist auch das The­ma Ras­sis­mus stän­dig prä­sent; ihm begeg­net der schwar­ze und selbst­be­wuss­te Die­ner Pas­se­par­tout (Ibra­him Koma) auf Schritt und Tritt. Er nimmt eine Schlüs­sel­rol­le in der Neu­ver­fil­mung ein. Weni­ger selbst­be­wusst dage­gen ist Phi­leas Fogg (David Ten­n­ant), viel­mehr ein Gen­tle­man, der anfangs von Selbst­zwei­feln geplagt wird, aber im Lau­fe der wage­mu­ti­gen Rei­se über sich hin­aus­wächst. Die wohl stärk­ste Ände­rung zu Jules Ver­nes Lite­ra­tur­klas­si­ker aber ist die Figur der jun­gen und frü­heman­zi­pier­ten Jour­na­li­stin Abi­ga­il Fix (dar­ge­stellt von der deut­schen Film­schau­spie­le­rin Leo­nie Benesch), die als Frau die Rei­se­grup­pe berei­chert und an der Welt­rei­se teilnimmt.