Ein Gefühlssozialist! Der zu werden, und zwar eine Art rebellischer, darauf habe ihn seine »Armutskindheit« vorbereitet. So bekannte der Schriftsteller Leonhard Frank (1882 bis 1961) in seiner als Roman verkleideten Autobiografie »Links wo das Herz ist«. Was für Bezeichnungen und Titel man dem Erfolgsschriftsteller der Weimarer Republik (»Der Mensch ist gut«, »Karl und Anna«, »Die Räuberbande«) auch anheftete: Diese selbst gewählte Etikette benennt ihn am treffendsten. Denn was hier wie nebenhin gesagt klingt, das ist wohl das Ergebnis reiflicher Überlegung. Es genügte ihm, mit dem Herzen links zu sein.
Was uns heute vielleicht als ausreichend und überzeugend erscheint, war vor noch nicht langer Zeit der einen Seite zu wenig und der anderen zu viel. Im Tone eines lehrerhaften Verweises urteilte das »Lexikon deutschsprachiger Schriftsteller« (VEB Bibliographisches Institut Leipzig, 1972, S. 274), zwar habe sich der Autor zu der Erkenntnis durchgerungen, dass der Kapitalismus beseitigt und der Sozialismus errichtet werden müsse, »ohne jedoch den Weg zum revolutionär kämpfenden Proletariat zu finden«.
In Würzburg wiederum, Leonhard Franks geliebter Heimatstadt, weigerte man sich 1962, die Straße, in der er einst gewohnt hatte, nach ihm zu benennen. Die Begründungen der Ablehnung durch die CSU-Fraktion im Rathaus waren: Frank habe einen Staatspreis der »Ostzone« und einen Ehrendoktortitel der Humboldt-Universität in Ostberlin angenommen. Der Vertreter einer Wählergemeinschaft stieß sich daran, dass Frank in seiner Novelle »Das Mädchen von Würzburg« Bezüge zwischen einem Hexenprozess und der Verfolgung jüdischer Menschen hergestellt hatte. Man kann sich das im Internet unter »BR Retro: Die Leonhard-Frank-Affäre in Würzburg 1962« ansehen und anhören. Man hat aufschlussreiche Minuten, und man liest »Links wo das Herz ist« sozusagen mit geschärften Augen; begreift, wie aus Leben und Biografie ein ganz selbstverständliches »Linkssein« entsteht.
Folgt man dem Lebenslauf Leonhard Franks, der im Roman den Namen Michael Vierkant trägt (ein Alter Ego, das ihm ermöglicht, aus auktorialer Perspektive auch Dinge zu erzählen, die er nicht erlebt hat), sieht man vor allem, dass es die ungerechte Verteilung der Güter ist, die sein Schreiben antrieb. Er hoffte tatsächlich, in einer sozialistischen Wirtschaftsordnung könne der Mensch gut sein. Hinzu kommen noch die in der Kindheit erlittenen Demütigungen; immer wieder kehrt Leonhard Frank, auch in anderen Werken, zu sadistischen Lehrerfiguren zurück. Und als dritte Triebkraft seines Schaffens kann man wohl seinen Hass auf den Krieg, die Kriegstreiber und ihre Phrasen ausmachen. In »Links wo das Herz ist« ereignet sich eine schrille Szene: Ein Journalist, später Redakteur einer sozialistischen (!) Zeitung in Berlin, feierte im Mai 1915 die Versenkung des Passagierschiffes »Lusitania« und den Tod von 1198 Passagieren als »größte Heldentat der Menschheitsgeschichte«. Der Pazifist Leonhard Frank verabreicht dem Autor dafür eine Backpfeife und muss Deutschland in Richtung Schweiz verlassen.
Ihm war das möglich, denn er war inzwischen ein erfolgreicher und mit dem Fontane-Preis 1914 geehrter Schriftsteller. Plötzlich war aus dem armen und hungernden Bohemien ein Begüterter geworden. Freilich verstellte ihm das nie den Blick für die krassen gesellschaftlichen Unterschiede. Bei aller Bewunderung für den wirtschaftlichen Aufschwung im Deutschland der 20er Jahre übersah er nicht, dass in Berlin hier die Bettler und dort die Damen, die Schmuck für 100 000 Mark mit sich schleppten, »Lebenstatsachen« waren.
Natürlich blieb Leonhard Frank vor Irrtümern nicht bewahrt, selbst wenn er mitunter den Ton dessen anschlägt, der immer alles schon vorher gewusst hat. Auch erzählt er zum Beispiel behaglich, dass seine zweite Frau Ilona über den Tod Lenins bittere Tränen vergossen und gesagt habe, dass jener ein guter Mensch gewesen sei. Dieser Schriftsteller, das darf man sagen, wurde auch von den Frauen gemacht, angefangen bei seiner Mutter, fortgesetzt von den Partnerinnen, die sein Leben teilten und prägten. Diese Schilderungen nehmen im Roman einen breiten Raum ein und zeigen, wie stark Erotik den Autor antrieb. Mitunter werden dabei die Bereiche des Schwülstigen gestreift.
Aber in der Hauptsache liest man die Schilderung eines harten, bitteren, erfolgreichen und nach Möglichkeiten des Widerstands suchenden Lebens, das in einer armen Würzburger Arbeiterfamilie begann. Sein Vater war Schreiner, er selbst ging zu einem Schlosser in die Lehre, arbeitete als Chauffeur, Anstreicher, Klinikdiener. Talentiert, aber mittellos, begann er 1904 ein Kunststudium in München. 1910 zog er nach Berlin, entdeckte seine erzählerische Begabung und verfasste seinen ersten Roman, »Die Räuberbande«, für den er den Fontane-Preis erhielt. Nach der Flucht in die Schweiz schrieb er Erzählungen gegen den Krieg, die 1918 unter dem berühmt gewordenen Titel »Der Mensch ist gut« erschienen. Von 1918 bis 1933 lebte Leonhard Frank wieder in Berlin.
So ist »Links wo das Herz ist« ebenfalls eine spannende Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts. Denn der einstige Schlosser, der Maler werden wollte, vorübergehend in der Münchener Boheme verkehrte, ein bekannter und gut zu verkaufender Schriftsteller wurde; der 1933, um sein Leben zu retten, ein zweites Mal in die Emigration musste, dieses Mal für fast siebzehn Jahre (Die Stationen seines Exils waren u. a. England, Frankreich, Portugal und zuletzt Hollywood und New York.), der 1950 in eine zerbombte Heimatstadt zurückkehrt und feststellen muss, dass zwölf Jahre Naziherrschaft genügt haben, um seinen Namen als Schriftsteller fast auszutilgen, lebte ein Leben, das die Stürme der ersten Hälfte jenes 20. Jahrhunderts in sich enthielt. Der Schauspieler und Regisseur Fritz Kortner schrieb über Leonhard: »…ein Gentleman, elastisch, mit weißen Haaren, der in seinem langen Leben alles gehabt hat: Hunger, Entbehrung, Erfolg, Geld, Luxus, Frauen, Autos und immer wieder Arbeit.«
Trotz aller politischen Stürme, trotz aller Bedrohungen und Entbehrungen – und dazu muss man wohl Gefühlssozialist sein – schließt der 1952 erschienene Roman »Links wo das Herz ist« nicht in Untergangsstimmung, sondern mit dem Bekenntnis des Glaubens an neue Menschen und eine bessere Zukunft. Das intendiert bei Leonhard Frank das Bekenntnis zur Liebe und ihrer Kraft.
Es sind zwei Werktitel von Leonhard Frank, die fast zu geflügelten Worten wurden, aber auch Spott und Hohn auslösten: »Der Mensch ist gut« und »Links wo das Herz ist«. Solche Titel zu wählen, erfordert Mut, weil sie jemanden, der die Bücher in die Hand nimmt, vor eine Entscheidung stellen – gegen Resignation und Trägheit, für Zivilcourage und Solidarität. Genau das wird gebraucht in einer Zeit, wo so vieles der Beliebigkeit anheimgefallen ist. Dass man seinen Leser auch »fordern« muss, das lässt sich bei Leonhard Frank lernen. Und ein »Gefühlssozialismus« wäre womöglich auch eine bedenkenswerte Alternative für unsere zerfahrene und von Bangigkeit geprägte Gegenwart.
Leonhard Frank: Links wo das Herz ist. Roman. Aufbau Digital 2014. 7, 99 €