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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Links wo das Herz ist

Ein Gefühls­so­zia­list! Der zu wer­den, und zwar eine Art rebel­li­scher, dar­auf habe ihn sei­ne »Armuts­kind­heit« vor­be­rei­tet. So bekann­te der Schrift­stel­ler Leon­hard Frank (1882 bis 1961) in sei­ner als Roman ver­klei­de­ten Auto­bio­gra­fie »Links wo das Herz ist«. Was für Bezeich­nun­gen und Titel man dem Erfolgs­schrift­stel­ler der Wei­ma­rer Repu­blik (»Der Mensch ist gut«, »Karl und Anna«, »Die Räu­ber­ban­de«) auch anhef­te­te: Die­se selbst gewähl­te Eti­ket­te benennt ihn am tref­fend­sten. Denn was hier wie neben­hin gesagt klingt, das ist wohl das Ergeb­nis reif­li­cher Über­le­gung. Es genüg­te ihm, mit dem Her­zen links zu sein.

Was uns heu­te viel­leicht als aus­rei­chend und über­zeu­gend erscheint, war vor noch nicht lan­ger Zeit der einen Sei­te zu wenig und der ande­ren zu viel. Im Tone eines leh­rer­haf­ten Ver­wei­ses urteil­te das »Lexi­kon deutsch­spra­chi­ger Schrift­stel­ler« (VEB Biblio­gra­phi­sches Insti­tut Leip­zig, 1972, S. 274), zwar habe sich der Autor zu der Erkennt­nis durch­ge­run­gen, dass der Kapi­ta­lis­mus besei­tigt und der Sozia­lis­mus errich­tet wer­den müs­se, »ohne jedoch den Weg zum revo­lu­tio­när kämp­fen­den Pro­le­ta­ri­at zu finden«.

In Würz­burg wie­der­um, Leon­hard Franks gelieb­ter Hei­mat­stadt, wei­ger­te man sich 1962, die Stra­ße, in der er einst gewohnt hat­te, nach ihm zu benen­nen. Die Begrün­dun­gen der Ableh­nung durch die CSU-Frak­ti­on im Rat­haus waren: Frank habe einen Staats­preis der »Ost­zo­ne« und einen Ehren­dok­tor­ti­tel der Hum­boldt-Uni­ver­si­tät in Ost­ber­lin ange­nom­men. Der Ver­tre­ter einer Wäh­ler­ge­mein­schaft stieß sich dar­an, dass Frank in sei­ner Novel­le »Das Mäd­chen von Würz­burg« Bezü­ge zwi­schen einem Hexen­pro­zess und der Ver­fol­gung jüdi­scher Men­schen her­ge­stellt hat­te. Man kann sich das im Inter­net unter »BR Retro: Die Leon­hard-Frank-Affä­re in Würz­burg 1962« anse­hen und anhö­ren. Man hat auf­schluss­rei­che Minu­ten, und man liest »Links wo das Herz ist« sozu­sa­gen mit geschärf­ten Augen; begreift, wie aus Leben und Bio­gra­fie ein ganz selbst­ver­ständ­li­ches »Links­sein« entsteht.

Folgt man dem Lebens­lauf Leon­hard Franks, der im Roman den Namen Micha­el Vier­kant trägt (ein Alter Ego, das ihm ermög­licht, aus aukt­oria­ler Per­spek­ti­ve auch Din­ge zu erzäh­len, die er nicht erlebt hat), sieht man vor allem, dass es die unge­rech­te Ver­tei­lung der Güter ist, die sein Schrei­ben antrieb. Er hoff­te tat­säch­lich, in einer sozia­li­sti­schen Wirt­schafts­ord­nung kön­ne der Mensch gut sein. Hin­zu kom­men noch die in der Kind­heit erlit­te­nen Demü­ti­gun­gen; immer wie­der kehrt Leon­hard Frank, auch in ande­ren Wer­ken, zu sadi­sti­schen Leh­rer­fi­gu­ren zurück. Und als drit­te Trieb­kraft sei­nes Schaf­fens kann man wohl sei­nen Hass auf den Krieg, die Kriegs­trei­ber und ihre Phra­sen aus­ma­chen. In »Links wo das Herz ist« ereig­net sich eine schril­le Sze­ne: Ein Jour­na­list, spä­ter Redak­teur einer sozia­li­sti­schen (!) Zei­tung in Ber­lin, fei­er­te im Mai 1915 die Ver­sen­kung des Pas­sa­gier­schif­fes »Lusi­ta­nia« und den Tod von 1198 Pas­sa­gie­ren als »größ­te Hel­den­tat der Mensch­heits­ge­schich­te«. Der Pazi­fist Leon­hard Frank ver­ab­reicht dem Autor dafür eine Back­pfei­fe und muss Deutsch­land in Rich­tung Schweiz verlassen.

Ihm war das mög­lich, denn er war inzwi­schen ein erfolg­rei­cher und mit dem Fon­ta­ne-Preis 1914 geehr­ter Schrift­stel­ler. Plötz­lich war aus dem armen und hun­gern­den Bohe­mi­en ein Begü­ter­ter gewor­den. Frei­lich ver­stell­te ihm das nie den Blick für die kras­sen gesell­schaft­li­chen Unter­schie­de. Bei aller Bewun­de­rung für den wirt­schaft­li­chen Auf­schwung im Deutsch­land der 20er Jah­re über­sah er nicht, dass in Ber­lin hier die Bett­ler und dort die Damen, die Schmuck für 100 000 Mark mit sich schlepp­ten, »Lebens­tat­sa­chen« waren.

Natür­lich blieb Leon­hard Frank vor Irr­tü­mern nicht bewahrt, selbst wenn er mit­un­ter den Ton des­sen anschlägt, der immer alles schon vor­her gewusst hat. Auch erzählt er zum Bei­spiel behag­lich, dass sei­ne zwei­te Frau Ilo­na über den Tod Lenins bit­te­re Trä­nen ver­gos­sen und gesagt habe, dass jener ein guter Mensch gewe­sen sei. Die­ser Schrift­stel­ler, das darf man sagen, wur­de auch von den Frau­en gemacht, ange­fan­gen bei sei­ner Mut­ter, fort­ge­setzt von den Part­ne­rin­nen, die sein Leben teil­ten und präg­ten. Die­se Schil­de­run­gen neh­men im Roman einen brei­ten Raum ein und zei­gen, wie stark Ero­tik den Autor antrieb. Mit­un­ter wer­den dabei die Berei­che des Schwül­sti­gen gestreift.

Aber in der Haupt­sa­che liest man die Schil­de­rung eines har­ten, bit­te­ren, erfolg­rei­chen und nach Mög­lich­kei­ten des Wider­stands suchen­den Lebens, das in einer armen Würz­bur­ger Arbei­ter­fa­mi­lie begann. Sein Vater war Schrei­ner, er selbst ging zu einem Schlos­ser in die Leh­re, arbei­te­te als Chauf­feur, Anstrei­cher, Kli­nik­die­ner. Talen­tiert, aber mit­tel­los, begann er 1904 ein Kunst­stu­di­um in Mün­chen. 1910 zog er nach Ber­lin, ent­deck­te sei­ne erzäh­le­ri­sche Bega­bung und ver­fass­te sei­nen ersten Roman, »Die Räu­ber­ban­de«, für den er den Fon­ta­ne-Preis erhielt. Nach der Flucht in die Schweiz schrieb er Erzäh­lun­gen gegen den Krieg, die 1918 unter dem berühmt gewor­de­nen Titel »Der Mensch ist gut« erschie­nen. Von 1918 bis 1933 leb­te Leon­hard Frank wie­der in Berlin.

So ist »Links wo das Herz ist« eben­falls eine span­nen­de Geschich­te des zwan­zig­sten Jahr­hun­derts. Denn der ein­sti­ge Schlos­ser, der Maler wer­den woll­te, vor­über­ge­hend in der Mün­che­ner Bohe­me ver­kehr­te, ein bekann­ter und gut zu ver­kau­fen­der Schrift­stel­ler wur­de; der 1933, um sein Leben zu ret­ten, ein zwei­tes Mal in die Emi­gra­ti­on muss­te, die­ses Mal für fast sieb­zehn Jah­re (Die Sta­tio­nen sei­nes Exils waren u. a. Eng­land, Frank­reich, Por­tu­gal und zuletzt Hol­ly­wood und New York.), der 1950 in eine zer­bomb­te Hei­mat­stadt zurück­kehrt und fest­stel­len muss, dass zwölf Jah­re Nazi­herr­schaft genügt haben, um sei­nen Namen als Schrift­stel­ler fast aus­zu­til­gen, leb­te ein Leben, das die Stür­me der ersten Hälf­te jenes 20. Jahr­hun­derts in sich ent­hielt. Der Schau­spie­ler und Regis­seur Fritz Kort­ner schrieb über Leon­hard: »…ein Gen­tle­man, ela­stisch, mit wei­ßen Haa­ren, der in sei­nem lan­gen Leben alles gehabt hat: Hun­ger, Ent­beh­rung, Erfolg, Geld, Luxus, Frau­en, Autos und immer wie­der Arbeit.«

Trotz aller poli­ti­schen Stür­me, trotz aller Bedro­hun­gen und Ent­beh­run­gen – und dazu muss man wohl Gefühls­so­zia­list sein – schließt der 1952 erschie­ne­ne Roman »Links wo das Herz ist« nicht in Unter­gangs­stim­mung, son­dern mit dem Bekennt­nis des Glau­bens an neue Men­schen und eine bes­se­re Zukunft. Das inten­diert bei Leon­hard Frank das Bekennt­nis zur Lie­be und ihrer Kraft.

Es sind zwei Werk­ti­tel von Leon­hard Frank, die fast zu geflü­gel­ten Wor­ten wur­den, aber auch Spott und Hohn aus­lö­sten: »Der Mensch ist gut« und »Links wo das Herz ist«. Sol­che Titel zu wäh­len, erfor­dert Mut, weil sie jeman­den, der die Bücher in die Hand nimmt, vor eine Ent­schei­dung stel­len – gegen Resi­gna­ti­on und Träg­heit, für Zivil­cou­ra­ge und Soli­da­ri­tät. Genau das wird gebraucht in einer Zeit, wo so vie­les der Belie­big­keit anheim­ge­fal­len ist. Dass man sei­nen Leser auch »for­dern« muss, das lässt sich bei Leon­hard Frank ler­nen. Und ein »Gefühls­so­zia­lis­mus« wäre womög­lich auch eine beden­kens­wer­te Alter­na­ti­ve für unse­re zer­fah­re­ne und von Ban­gig­keit gepräg­te Gegenwart.

 Leon­hard Frank: Links wo das Herz ist. Roman. Auf­bau Digi­tal 2014. 7, 99 €

Ausgabe 15.16/2024