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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Links in der Friedensbewegung

Die Fra­ge, was heu­te unter lin­ken Orga­ni­sa­ti­ons­struk­tu­ren in der Frie­dens­be­we­gung ver­stan­den wer­den kann, lässt sich nur mit Hil­fe histo­ri­scher Betrach­tun­gen beantworten.

Die Ursprün­ge der Frie­dens­be­we­gung lie­gen im bür­ger­li­chen Pazi­fis­mus, der zu Beginn des 20. Jahr­hun­derts von Ber­tha von Sutt­ner ent­wickelt und geprägt wur­de, und im Anti­mi­li­ta­ris­mus der revo­lu­tio­nä­ren Arbei­ter­be­we­gung. Von einer lin­ken Frie­dens­be­we­gung kann man erst seit den Mas­sen­pro­te­sten der Arbei­ter­be­we­gung gegen die dro­hen­de Kriegs­ge­fahr vor 1914 spre­chen. Der fran­zö­si­sche Sozia­list Jean Jau­rés wird in die­sem Zusam­men­hang oft mit dem Satz zitiert: »Der Kapi­ta­lis­mus trägt den Krieg in sich wie die Wol­ke den Regen.« Über sein Ver­hält­nis zu Ber­tha von Sutt­ner ist fol­gen­des Zitat über­lie­fert: »Aber gera­de so muss man sein wie sie (Ber­tha von Sutt­ner), hart­näckig und zäh im Idea­lis­mus.« Dies zeugt von einer außer­or­dent­li­chen Wert­schät­zung über welt­an­schau­li­che Unter­schie­de hin­weg. Der Kampf für den Frie­den als uni­ver­sel­le Mensch­heits­auf­ga­be ist des­halb auch aus einem lin­ken Selbst­ver­ständ­nis her­aus immer ein Kampf um brei­te gesell­schaft­li­che Bünd­nis­se gewesen.

Neben der direk­ten Kapi­ta­lis­mus­kri­tik ist aus lin­ker Sicht der Inter­na­tio­na­lis­mus eine tra­gen­de Säu­le. Häu­fig zitiert wird dazu Che Gue­va­ra: »Soli­da­ri­tät ist die Zärt­lich­keit der Völ­ker«. Die­ses kann man auch heu­te noch als lin­kes Iden­ti­fi­ka­ti­ons­merk­mal und ein­deu­ti­ge Abgren­zung zu rech­ten Paro­len wie »Deutsch­land zuerst« ver­ste­hen. Aller­dings: »Soli­da­ri­tät der Völ­ker« war bereits Ende des 19. Jahr­hun­derts eine Kern­for­de­rung der dama­li­gen Welt­frie­dens­kon­gres­se und hat­te damit auch eine feste Ver­an­ke­rung bei den bür­ger­li­chen Frie­dens­kräf­ten. Und sie war eben­falls Aus­druck des Anti­ko­lo­nia­lis­mus der Frie­dens­be­we­gung und ihres Ver­ständ­nis­ses als Befrei­ungs­be­we­gung von Kolo­nia­lis­mus und Unterdrückung.

Der Kampf für Frie­den und Abrü­stung ent­wickel­te sich vor dem ersten Welt­krieg mas­sen­haft vor allem inner­halb der Arbei­ter­be­we­gung. Die Lin­ken in der SPD um Karl Lieb­knecht, Rosa Luxem­burg und Cla­ra Zet­kin mach­ten den Mili­ta­ris­mus zu einem Schwer­punkt der par­la­men­ta­ri­schen und außer­par­la­men­ta­ri­schen Arbeit. Bereits 1907 defi­nier­te Karl Lieb­knecht in sei­ner Schrift »Mili­ta­ris­mus und Anti­mi­li­ta­ris­mus« den Mili­ta­ris­mus als wesent­li­ches Macht­in­stru­ment des herr­schen­den Systems, das alle Berei­che des wirt­schaft­li­chen, sozia­len, poli­ti­schen und kul­tu­rel­len Lebens durch­dringt. Die­se Beschrei­bung trifft auch auf die aktu­el­len Ent­wick­lun­gen in Deutsch­land zu.

Im Mani­fest des Base­ler Kon­gres­ses der II. Inter­na­tio­na­le (1912) hieß es: »Die Pro­le­ta­ri­er emp­fin­den es als ein Ver­bre­chen, auf­ein­an­der zu schie­ßen zum Vor­teil des Pro­fits der Kapi­ta­li­sten, des Ehr­gei­zes der Dyna­stien oder zu höhe­rer Ehre diplo­ma­ti­scher Geheimverträge.«

Mas­si­ve Pro­te­ste gegen den dro­hen­den Welt­krieg im Juli 1914 konn­ten die­sen nicht ver­hin­dern, zumal sich SPD und Gewerk­schafts­füh­rung (ent­ge­gen allen vor­he­ri­gen Beschlüs­sen) auf einen »Burg­frie­den« ein­lie­ßen und in der Fol­ge auch die SPD-Reichs­tags­frak­ti­on. Inter­es­sant sind die erkenn­ba­ren Par­al­le­len zur heu­ti­gen Situa­ti­on. Im Juli 1914 erfolg­te bekannt­lich nach dem Atten­tat von Sara­je­wo die Kriegs­er­klä­rung von Öster­reich-Ungarn an Ser­bi­en, mit vol­ler Rücken­deckung aus Ber­lin. Ser­bi­ens Ver­bün­de­ter Russ­land beschloss dar­auf­hin eine Gene­ral­mo­bil­ma­chung. Die­ses war – wie histo­risch belegt ist – der will­kom­me­ne Anlass für die deut­sche Poli­tik, um Russ­land als Aggres­sor dar­zu­stel­len und von der eige­nen impe­ria­li­sti­schen Kriegs­wil­lig­keit abzu­len­ken. Damit konn­te die Kriegs­er­klä­rung an Russ­land als Ver­tei­di­gungs­krieg gegen das tyran­ni­sche rus­si­sche Zaren­reich dar­ge­stellt wer­den. Schließ­lich hat­te die deut­sche Sozi­al­de­mo­kra­tie von jeher im zari­sti­schen Russ­land eine Gefähr­dung der demo­kra­ti­schen Ent­wick­lung West­eu­ro­pas gese­hen. Der zuvor pro­pa­gier­te Klas­sen­stand­punkt »Arbei­ter schie­ßen nicht auf Arbei­ter« konn­te vor allem durch die­ses äuße­re Feind­bild gekippt wer­den, um sich der Kriegs­po­li­tik der herr­schen­den Klas­se nicht in den Weg zu stel­len. Zunächst nur Karl Lieb­knecht stell­te sich die­sem poli­ti­schen Oppor­tu­nis­mus als Ein­zel­ner in der SPD-Reichs­tags­frak­ti­on ent­ge­gen, nicht allein mit sei­ner Ableh­nung der Kriegs­kre­di­te, son­dern vor allem mit dem Titel eines 1915 ver­fass­ten Flug­blatts: »Der Haupt­feind steht im eige­nen Land.«

Ein wei­te­res wesent­li­ches Ele­ment der Frie­dens­be­we­gung ist der Anti­fa­schis­mus, des­sen Ver­ständ­nis bis heu­te meh­re­ren Wand­lun­gen unter­wor­fen war. Bereits 1924 defi­nier­te Geor­gi Dimitroff (zu jener Zeit Kom­in­tern-Ver­tre­ter in der Kom­mu­ni­sti­schen Par­tei Öster­reichs) den Faschis­mus als »ter­ro­ri­sti­sche Dik­ta­tur der am mei­sten reak­tio­nä­ren, chau­vi­ni­sti­schen und impe­ria­li­sti­schen Ele­men­te des Finanz­ka­pi­tals«. Damit ein­her­ge­hend wur­de bereits 1931 durch eine Schrift Leo Trotz­kis for­mu­liert: »Ein Sieg Hit­lers bedeu­tet: Krieg gegen die UdSSR.«. Nach dem Zwei­ten Welt­krieg ent­wickel­te sich eine Erin­ne­rungs­kul­tur basie­rend auf dem Schwur von Buchen­wald mit »Nie wie­der Faschis­mus – nie wie­der Krieg«. Die­se wur­de auch prä­gend für die deut­sche Frie­dens­be­we­gung und ihre Kam­pa­gnen, ange­fan­gen vom Kampf gegen die Wie­der­be­waff­nung über den »Kampf dem Atom­tod« in den 50er Jah­ren sowie den Oster­mär­schen in den 60er Jah­ren. Die­se Zeit war geprägt durch den Kal­ten Krieg und durch die sehr akti­ve, aber teil­wei­se auch mar­gi­na­li­sier­te Rol­le der Lin­ken in der Frie­dens­be­we­gung, wobei das 1956 erfolg­te KPD-Ver­bot von zen­tra­ler Bedeu­tung war. Bemer­kens­wert ist zu die­sem Zeit­raum aber, dass damit fast nie ideo­lo­gi­sche Distan­zie­rung und Aus­gren­zung von Kom­mu­ni­sten inner­halb der Frie­dens­be­we­gung ver­bun­den waren. Ein Bei­spiel dafür ist, dass der aus bür­ger­li­chen Krei­sen kom­men­de Mar­tin Niem­öl­ler als füh­ren­der Zeit­zeu­ge des anti­fa­schi­sti­schen Wider­stan­des 1966 in Mos­kau den »Inter­na­tio­na­len Lenin­preis für die Festi­gung des Frie­dens zwi­schen den Völ­kern« ent­ge­gen­nahm, trotz hef­ti­ger Kri­tik aus der deut­schen Poli­tik und Presse.

Damit kom­men wir zur eigent­li­chen Fra­ge: War­um sind die­se histo­ri­schen Bezü­ge für heu­ti­ge Sicht­wei­sen von beson­de­rer Relevanz?

Ver­gli­chen mit frü­he­ren Akti­vi­tä­ten und ein­sti­ger poli­ti­scher Brei­te – wie ins­be­son­de­re in den 80er Jah­ren des letz­ten Jahr­hun­derts – ist die Frie­dens­be­we­gung eine akti­ve Kraft, aber kei­ne gesell­schaft­li­che Mas­sen­be­we­gung. Zum Ver­ständ­nis der Ursa­chen kann man auf die The­sen von Prof. Rai­ner Maus­feld ver­wei­sen, wie z. B: in sei­nem frü­he­ren Buch »War­um schwei­gen die Läm­mer?«. Eine Kern­the­se von ihm ist, dass sozia­le Bewe­gun­gen mar­gi­na­li­siert wer­den kön­nen, indem man sie von ihren histo­ri­schen Wur­zeln abtrennt bzw. ent­kernt und damit leicht mani­pu­lier­bar macht. Die­ses zeigt sich aktu­ell vor allem anhand der gesell­schaft­li­chen Debat­te »gegen rechts« mit Fixie­rung auf die AfD. Die­se posi­tio­niert sich der­zeit im Bun­des­tag als Oppo­si­ti­ons­par­tei gegen die Kriegs­po­li­tik der Nato in der Ukrai­ne, ist aber pro­gram­ma­tisch stark mili­ta­ri­stisch geprägt. Mit Prot­ago­ni­sten die­ser Par­tei gibt es daher kaum Berüh­rungs­punk­te für die Frie­dens­be­we­gung – mit AfD-Wäh­lern aber sehr wohl.

Wenn die Haupt­auf­ga­be der Frie­dens­be­we­gung dar­in besteht, Men­schen zu über­zeu­gen und zu öffent­li­chem Pro­test gegen die eska­lie­ren­den Kriegs­vor­be­rei­tun­gen zu moti­vie­ren, dann müs­sen beson­ders all jene Men­schen ange­spro­chen wer­den, die die Gesamt­zu­sam­men­hän­ge noch nicht erkannt haben. Auch die, die aus falsch ver­stan­de­ner Frie­dens­sehn­sucht und emo­tio­nal durch­aus nach­voll­zieh­ba­ren Grün­den AfD wäh­len und unter­stüt­zen bzw. für eine Zusam­men­ar­beit mit die­ser mili­ta­ri­sti­schen Par­tei ein­tre­ten. Der »Haupt­feind im eige­nen Land« ist nicht die AfD, son­dern die mili­ta­ri­sti­sche Regie­rungs­po­li­tik, die kriegs­trei­ben­de soge­nann­te Mit­te der Gesell­schaft und die sie tra­gen­den öko­no­misch Mäch­ti­gen. Der Kampf gegen Ras­sis­mus in sei­nen all­täg­li­chen Erschei­nungs­for­men darf nicht den Blick auf den struk­tu­rel­len Ras­sis­mus des deut­schen Impe­ria­lis­mus ver­stel­len, dem bereits Ende des 19. Jahr­hun­derts – wie oben erwähnt – eine »Soli­da­ri­tät der Völ­ker« ent­ge­gen­ge­setzt wur­de. Wer vor­geb­lich gegen einen dro­hen­den Faschis­mus kämpft, muss auch des­sen histo­ri­sche Funk­ti­on ken­nen und auf sei­ne Klas­sen­di­men­si­on ver­wei­sen. Ein mora­li­sie­ren­der »Nazis raus«-Ruf hilft nicht wei­ter, ver­kennt die­se Pro­zes­se, den Kampf um kul­tu­rel­le Hege­mo­nie und stärkt letzt­lich die auto­ri­tä­ren Kräf­te in der Gesell­schaft. Des­halb braucht die Frie­dens­be­we­gung kei­ne ritua­li­sier­te »Abgren­zung gegen Rechts«.

Not­wen­dig sind daher Struk­tu­ren in der Frie­dens­be­we­gung, die sich von ihren histo­ri­schen Wur­zeln und Akti­vi­tä­ten her expli­zit als lin­ker, anti­mi­li­ta­ri­sti­scher und anti­ka­pi­ta­li­sti­scher Block ver­ste­hen. Anti­ka­pi­ta­lis­mus heißt, die Eigen­tums­fra­ge zu stel­len. Die­se ist vor dem Hin­ter­grund eines immer stär­ker wer­den­den mili­tä­risch-indu­stri­el­len Kom­ple­xes in Deutsch­land aktu­el­ler denn je, wie das Bei­spiel des Rüstungs­kon­zerns Rhein­me­tall zeigt.

Die kon­zep­tio­nell kla­ren Bekennt­nis­se müs­sen ergänzt wer­den durch eine Bünd­nis­po­li­tik, die von einem respekt­vol­len, nicht aus­gren­zen­den Umgang geprägt ist. Lin­ke Frie­dens­be­weg­te tre­ten für die sozia­len Inter­es­sen der gro­ßen Mehr­heit der Men­schen – natio­nal und inter­na­tio­nal – ein, wol­len die Eman­zi­pa­ti­on der Unter­drück­ten und Aus­ge­beu­te­ten und hal­ten es mit Karl Marx: »alle Ver­hält­nis­se umzu­wer­fen, in denen der Mensch ein ernied­rig­tes, ein geknech­te­tes, ein ver­las­se­nes, ein ver­ächt­li­ches Wesen ist«.

In Zei­ten des kul­tu­rel­len Nie­der­gangs hat des­halb »links« einen hohen auf­klä­re­ri­schen Wert, den es gegen die iden­ti­tä­re Ver­ball­hor­nung des Begriffs zu ver­tei­di­gen gilt und der den oben beschrie­be­nen Kern eines lin­ken Selbst­ver­ständ­nis­ses ent­hält, ein Ange­bot zum Ver­ste­hen und Ver­än­dern der Welt, das die Erkennt­nis ein­schließt, dass Men­schen Geschich­te machen.

Ausgabe 15.16/2024