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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Links blinken, rechts abbiegen

Sicher, die­ser Kalau­er ist schon stein­alt … Meist kommt er aufs Tapet, wenn man über jeman­den, der wet­ter­wen­disch ist, halb im Ernst und halb im Spaß urtei­len will. Doch gilt das auch in grö­ße­ren Zusam­men­hän­gen, etwa für poli­ti­sche Kräf­te? Blei­ben wir ein­fach bei den Zuschrei­bun­gen »links« und »rechts« – an wel­chen Kri­te­ri­en soll­te man dies fest­ma­chen? Reicht es, ganz all­ge­mein für die obe­ren 10 Pro­zent oder die unte­ren 90 Pro­zent einer Gesell­schaft zu sein? Oder ist es ent­schei­dend, ob sich eine poli­ti­sche Kraft mehr oder weni­ger den Sor­gen der »ein­fa­chen Bür­ger« wid­met? Geht es nur dar­um, im Kom­mu­na­len etwas für die Mehr­heit einer Gemein­de oder Stadt zu tun, oder müs­sen poli­ti­sche Kräf­te auch bis zum Geo­po­li­ti­schen hin wirk­sam wer­den – gera­de in den Zei­ten der Glo­ba­li­sie­rung? Was soll­te man für die Links-Rechts-Unter­schei­dung als Maß­stab neh­men: die Wahl­pro­gram­me der Par­tei­en oder – wenn sie an der Regie­rung sind – die Koali­ti­ons­ver­ein­ba­run­gen? Oder sind schon die Namen der Par­tei­en das wich­tig­ste Aushängeschild?

Gera­de die offi­zi­el­len Bezeich­nun­gen der Par­tei­en haben in der jün­ge­ren Geschich­te oft in die Irre geführt. In die­sem Sin­ne war die Bewil­li­gung der Kriegs­kre­di­te 1914 durch Sozi­al­de­mo­kra­ten schon eine Kata­stro­phe, aber die größ­te kam durch eine Par­tei, die die Begrif­fe »sozia­li­stisch« und »Arbei­ter« auch im Namen führ­te – die NSDAP. Also: Par­tei­na­men sind wohl nicht mehr als Schall und Rauch für die Links-Rechts-Bewertung.

Als Nicht-Poli­tik­wis­sen­schaft­ler, aber Gern-Auto­fah­rer streif­te mein Blick sehr vie­le Wahl­pla­ka­te zur EU-Wahl. Da las man vie­le Schlag­wor­te im Vor­bei­hu­schen wie »Deutsch­land ist stark, in Euro­pa sind wir stär­ker« sowie »In Frei­heit, in Sicher­heit, in Euro­pa«, »Bil­dung – erste Ver­tei­di­gungs­li­nie« und »Migra­ti­on – sel­ber steu­ern«. Und dann tau­chen Erin­ne­run­gen im Hin­ter­kopf auf: Waren die Ver­tre­ter sol­cher Flos­keln nicht auch vehe­men­te Rüstungs­lob­by­isten? Oder hat­ten ihre jewei­li­gen Par­tei­en nicht vie­le Jah­re die Ver­ant­wor­tung, um sol­che Ziel­stel­lun­gen durch­zu­set­zen? Klar, sol­che Schlag­wor­te kom­men bei vie­len Men­schen gut an… Aber wenn die­se poli­ti­schen Kräf­te es bis­her nicht bewäl­tigt haben – soll man sie dann für wei­te­re Jah­re des »Aus­sit­zens« noch ein­mal wählen?

Um wei­ter »in die Tie­fe« zu gehen, bie­ten sich die Par­tei- oder Wahl­pro­gram­me an. Aber bringt das wirk­lich etwas? Sind sol­che Pam­phle­te nicht zahn­lo­se Papier­ti­ger? Oder hat so eine all­ge­mei­ne Aus­sa­ge wie »sozia­le Gerech­tig­keit« etwa ver­hin­dert, dass für alle Bür­ger die Ener­gie­prei­se in die Höhe geschnellt sind? Oder was ist von einer angeb­li­chen Volks­par­tei zu hal­ten, wenn deren höch­ster Reprä­sen­tant sei­ne Ban­ken-Kon­tak­te ein­fach »ver­ges­sen« hat? Ist eine Umwelt-Par­tei noch ernst zu neh­men, wenn sie Ener­gie aus umwelt­schäd­li­chen Lager­stät­ten bevor­zugt, die dazu noch mit einem immensen ener­ge­ti­schen Auf­wand über einen Oze­an ver­schifft wer­den muss? Kann eine Regie­rungs­ko­ali­ti­on gegen rechts wet­tern, wenn sie selbst ande­re Staa­ten hofiert, die stark von rech­ten Kräf­ten durch­drun­gen sind, sogar Waf­fen dort­hin lie­fert – und das alles auf Kosten des Bun­des­haus­halts und ohne Beistands-Abkommen?

Gera­de in der aktu­el­len Medi­en-Pole­mik wird sicht­bar: Was von offi­zi­el­len Sei­ten als »rechts« abge­tan (oder ver­teu­felt?) wird, ist oft der Wider­stand dage­gen, dass die offi­zi­el­le Poli­tik rech­te Kräf­te hofiert – und wehe, wenn Max Muster­mann das hin­ter­fra­gen soll­te! Natür­lich steckt dahin­ter auch die Furcht der herr­schen­den »Bla­se«, dass abwei­chen­de Mei­nun­gen sie selbst schwä­chen bzw. die Unzu­frie­den­heit mit ihrer Poli­tik stei­gern könn­ten – dann wür­de ihr »Links-Blin­ken« durch­schau­bar wer­den! Und die Furcht wird grö­ßer, je stär­ker oppo­si­tio­nel­le Kräf­te auf­kom­men. Anfang der 2000er Jah­re und aus­ge­prägt zur Wahl 2009 waren die lin­ken Kräf­te der »Popanz«, aktu­ell ist es die AfD.

Das Erken­nen von »rechts« und »links« wird den Bür­gern also nicht leicht gemacht! Viel­leicht kann ein Bei­spiel hel­fen: Die Digi­ta­li­sie­rung soll vor­an­ge­bracht wer­den; so ziem­lich alle Par­tei­en haben es in ihren Doku­men­ten ste­hen. Dies ist auch ein Ziel im Sin­ne der Bür­ger, nur soll­ten auch die Rah­men­be­din­gun­gen im Sin­ne der Bür­ger sein, z. B. Unter­bin­den von Hass- und Hetz-Kom­men­ta­ren, kei­ne Daten-Wei­ter­ga­ben und kei­ne Lausch­an­grif­fe durch Geheim­dien­ste. Die­se Her­an­ge­hens­wei­se kann auch für ande­re Lebens- bzw. Poli­tik-Berei­che gel­ten, ob Ver­kehrs-Zukunft, Ener­gie­si­che­rung usw. Zusam­men­ge­fasst könn­te man sagen: Die Wei­ter­ent­wick­lung der Gesell­schaft för­dern – aber immer im Inter­es­se aller –, wäre lin­ke Politik!

Denkt man dies wei­ter, kommt man zu sol­chen Ziel­stel­lun­gen wie gerech­ten Löh­nen für alle (ein mitt­le­rer Ver­dienst muss eine Fami­lie ernäh­ren kön­nen), aus­rei­chen­der Gesund­heits­für­sor­ge (also nicht als Pro­fit­quel­le, son­dern mit Qua­li­tät und trotz­dem erschwing­lich für jeder­mann), guter Bil­dung, kul­tu­rel­len Ange­bo­ten für jeder­mann usw.

Aber ob dies unter den aktu­el­len gesell­schaft­li­chen Bedin­gun­gen durch­ge­setzt wer­den kann? Ich fürch­te nicht, solan­ge das Groß­ka­pi­tal das Sagen hat – ob durch Mono­po­lis­mus, Lob­by­is­mus bei den Regie­run­gen, durch Ver­schen­ken von Rüstungs-Mil­li­ar­den an frem­de Staa­ten oder mit kne­beln­den »Frei­han­dels-Ver­trä­gen« wie TTIP, die sogar Staats­haus­hal­te rui­nie­ren könn­ten. Dazu müss­ten auch die vie­len Finanz-Kon­struk­te, die sich Juri­sten und Ban­ker für das Groß­ka­pi­tal aus­den­ken, ein­ge­schränkt wer­den. Dies kann man nicht auf Basis von »Frei­wil­lig­keit« machen (ein belieb­tes Ablen­kungs­ma­nö­ver in den Zei­ten von CDU-geführ­ten Regie­rungs­pe­ri­oden), son­dern durch kla­re und ver­bind­li­che Vor­ga­ben sei­tens des Staa­tes – unum­kehr­bar und ohne Schlupflöcher!

Das wäre ein Prin­zip, um das Volks­ver­mö­gen von oben nach unten zu ver­tei­len. Denn mal ganz ehr­lich: So viel Kapi­tal, wie die obe­re Mil­li­on Men­schen besitzt, kann man nie­mals selbst ver­brau­chen – und die Wohl­tä­tig­kei­ten, die die­se Kli­en­tel »spen­det«, kann nicht dar­über hin­weg­täu­schen: Sie wol­len doch nur im »Wett­be­werb« mit ihres­glei­chen auf­trump­fen können …

Und es zeigt sich, dass die aktu­ell Regie­ren­den genau dies unter­stüt­zen – durch immer stär­ke­re Pri­va­ti­sie­rung, durch ihre glo­ba­le Roh­stoff-Poli­tik und ihr pro­tek­tio­ni­sti­sches Vor­ge­hen gegen »unlieb­sa­me« Handelspartner.

Hier wird ein näch­ster Aspekt augen­schein­lich: die Hal­tung unse­res rei­chen Lan­des bzw. des rei­chen Euro­pas zu den ärme­ren Regio­nen. Sicher gibt Euro­pa vie­len Ent­wick­lungs­län­dern Bei­hil­fen, sei es für Rad­we­ge, Imp­fun­gen und ähn­li­ches. Aber mal ganz ehr­lich: Sind dies nicht letzt­end­lich rela­tiv gerin­ge Sum­men von den 332.000 Mil­lio­nen des EU-Haus­halts? Für »die Welt« gibt Brüs­sel nur etwas mehr aus als für den inter­nen Appa­rat der EU selbst. Ande­rer­seits kon­trol­liert Frank­reich mit der CFA-Wäh­rung einen gro­ßen Teil West­afri­kas finan­zi­ell, sogar die Gold­re­ser­ven aus die­sen Staa­ten sind z. T. in Frank­reich depo­niert. Syri­en lei­det bis heu­te unter den Sank­tio­nen der west­li­chen »Wer­te-Gemein­schaft«. Groß­bri­tan­ni­en gibt die Gold­re­ser­ven von Vene­zue­la nicht her­aus. Die Men­schen in Kuba lei­den immer noch unter einer welt­wei­ten Blocka­de, mitt­ler­wei­le schon über 60 Jah­re! Kann man solch ein Vor­ge­hen als gerecht bezeich­nen? Auch unter einer sozi­al­de­mo­kra­tisch geführ­ten Regie­rung hat sich das nicht gebes­sert. Ja, es zeigt sich wie­der ein­mal: Vor einer Wahl haben die hie­si­gen eta­blier­ten Par­tei­en zwar häu­fig links geblinkt, sind aber nach einer Wahl meist stramm nach rechts abgebogen.

Und dafür soll­ten wir sie wiederwählen?