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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Linientreue

Quo vadis? In allen auch nur halb­wegs seriö­sen Medi­en kommt es in regel­mä­ßi­gen oder unre­gel­mä­ßi­gen Abstän­den immer wie­der zu Dis­kus­sio­nen über die »Aus­rich­tung« oder auch »nur« über die »rich­ti­ge« Posi­ti­on zu kon­kre­ten Fra­gen und Ent­wick­lun­gen. Das ist für »Pro­fi­le«, gar »Allein­stel­lungs­merk­ma­le« sicher nicht unwe­sent­lich. Es kann sogar hilf­reich sein, sofern es die Ver­bun­den­heit stärkt. Lei­der ent­fal­ten sol­che Selbst­ver­ge­wis­se­rungs­pro­zes­se aber stets eine gefähr­li­che Eigen­dy­na­mik, die dazu ver­führt, weit über das Ziel hin­aus­zu­schie­ßen und nicht mehr nur Rich­tung zu bestä­ti­gen, son­dern »Lini­en« zu suchen und im Zwei­fel sogar zu for­mu­lie­ren, die fort­an – gewis­ser­ma­ßen »haus­ver­bind­lich« – ein­zu­hal­ten sind. Mit sol­chen Lini­en wer­den also im Grun­de Tabu­zo­nen markiert.

Ein nur kur­so­ri­scher Blick in die Geschich­te (nicht nur die Geschich­te der Pres­se­frei­heit) soll­te dabei zu gro­ßer Vor­sicht mah­nen. Fast immer – das leh­ren auch eige­ne Erfah­run­gen des Ver­fas­sers – enden sol­che Ver­su­che und die dar­aus ent­ste­hen­den »Rege­lun­gen« nicht ledig­lich in einem Niveau­ver­lust, wie er etwa bei den öffent­lich-recht­li­chen Anstal­ten zu bekla­gen ist, son­dern in einer Art inner­be­trieb­li­chen Bür­ger­krieg, der das Medi­um selbst und alle dar­an Mit­ar­bei­ten­den beschä­digt. Man befin­det sich anschlie­ßend sofort akut ent­we­der im Angriffs- oder im Ver­tei­di­gungs­mo­dus, dar­über hin­aus in einem chro­ni­schen Beob­ach­tungs- und Kon­troll­zu­stand. Wer­den die Vor­ga­ben auch wirk­lich befolgt? Das Nicht­ein­hal­ten sol­cher »Lini­en« gilt den Einen von nun an als »Ver­rat«, den Ande­ren als »muti­ge Ver­tei­di­gung von Mei­nungs- und Pres­se­frei­heit«. Das eine wie das ande­re ist Unsinn, und die sich dar­an zwangs­läu­fig ent­zün­den­den Schar­müt­zel sind jeder Art von Jour­na­lis­mus abträglich.

Es braucht kei­ne klar vor­ge­zeich­ne­ten, abgren­zen­den und aus­gren­zen­den »Lini­en«. Anders­den­ken­de – auch und gera­de in den »eige­nen Rei­hen« –, solan­ge sie einen inter­sub­jek­ti­ven Gel­tungs­an­spruch hegen und argu­men­tie­ren, statt nur apo­dik­tisch behaup­ten, dür­fen und sol­len sich äußern. Ein all­ge­mei­ner Kon­sens über die poli­ti­sche, kul­tu­rel­le oder gesell­schaft­li­che Aus­rich­tung genügt voll­kom­men. Auf die­ser Grund­la­ge kann und soll dann auch gestrit­ten wer­den. Es ist doch klar, dass bei­spiels­wei­se eine Zei­tung wie die jun­ge Welt oder eine Zeit­schrift wie Ossietzky kei­ne AfD-Auf­ru­fe ver­öf­fent­li­chen, dass dort weder frem­den­feind­li­che Hand­lun­gen oder Äuße­run­gen begün­stigt noch ver­mehr­te Rüstungs­an­stren­gun­gen gefor­dert wer­den – so wenig wie Welt oder FAZ in abseh­ba­rer Zeit dem Finanz­ka­pi­ta­lis­mus den Krieg erklä­ren dürf­ten oder einen System­wech­sel her­bei­zu­schrei­ben ver­su­chen (obwohl die FAZ unter Schirr­ma­cher man­ches Mal nah dran war; es hat ihr gutgetan).

Nein, »Lini­en­treue«, in Wör­ter­bü­chern der deut­schen Spra­che stets – und völ­lig zurecht – mit den Attri­bu­ten »ange­passt«, »unkri­tisch«, »stramm« oder »kon­for­mi­stisch« ver­se­hen, ist der Tod jeder poli­ti­schen Publi­zi­stik. Das haben Kurt Tuchol­sky und Carl von Ossietzky eben­so gewusst wie der Grün­der die­ser Zeit­schrift, Eck­art Spoo. Bes­ser: Nie wie­der! Denn was aus vor­ge­ge­be­nen, klar ein­grenz­ba­ren Lini­en und der Ver­pflich­tung auf sie ent­ste­hen kann, ist nicht zuletzt auch histo­risch ver­brieft: Ab 1935 über­nahm die Reichs­pres­se­schu­le ganz offi­zi­ell die zen­tra­le Aus­bil­dung »lini­en­treu­er« Jour­na­li­sten. Und etwa in der­sel­ben Zeit erreich­ten auch die »Sta­lin­schen Säu­be­run­gen« gegen alle »Abweich­ler« von der »rei­nen Leh­re« ihren Höhe­punkt. Das Ergeb­nis bei­der Lini­en­kämp­fe soll­te für sich spre­chen – und gegen jed­we­des Linien-Diktat.