Der Buchverlag Der Morgen edierte 1966 und 1988 »Maud von Ossietzky erzählt«. Die Ausgabe aus dem Jahre 1988 begleitet mich bis heute. Es ist eine der Lektüren, die man nicht auf einen Zug durchliest, sondern die einem von Zeit zu Zeit »begegnen« – wenn man etwa den häuslichen Buchbestand durchforstet, weil man eine Information braucht – und in denen man sich dann festliest.
Es ist nicht eine überragende literarische oder sprachliche Qualität der Memoiren der Ehefrau Carl von Ossietzkys, sondern es ist das, was ehrlich und unprätentiös geschildert wird: die Geschichte einer Liebe und einer keinesfalls krisenfreien Ehe zwischen Menschen, die unterschiedlicher nicht sein konnten und sich doch glichen. Sonst hätten sie nicht miteinander leben und sich lieben können in den fast immer dunklen Jahren zwischen 1913 und dem 4. Mai 1938. Darum vielleicht sind die Schilderungen der Glücksmomente so bewegend.
Maud, Tochter eines englischen Offiziers, geboren 1888 in Indien, kam nach dem frühen Tod ihrer Eltern nach England, wo sie von einer Tante nach aristokratischen Regeln erzogen wurde. Dazu gehörte die Orientierung auf eine »gute Verheiratung«. Aber während eines Deutschlandaufenthalts verliebt sie sich in Ossietzky, man heiratet in England, wobei Ossietzky während der Trauzeremonie die Ringe aus der Hand fallen. Seinen Eltern hatte er den Zweck der Reise verschwiegen, was das Verhältnis zwischen ihnen und dem jungen Paar belastete.
Breiten Raum im Buch nimmt Die Weltbühne ein, für die Ossietzky seit 1926 die Leitartikel schrieb. Nach dem Tod von Siegfried Jacobsohn im gleichen Jahr wurde Ossietzky verantwortlicher Redakteur unter Tucholsky, dann bald, da jener wenig Lust dazu bezeigte, »Leiter« der Weltbühne. Die Blicke ins Innere der Redaktionsstuben gehören zum Interessantesten des Buches. Das Eheleben wurde aber nun von der Weltbühne bestimmt, reichlich Freizeit oder Urlaub gab es für das Paar nicht. Doch in der Arbeit erwuchs die Substanz des Lebens, die Maud von Ossietzky suchte. Sie ruhte und rastete nicht, bis sie nach dem Zweiten Weltkrieg die Zeitschrift wieder herausgeben konnte, wozu man im besetzten Berlin Lizenzen brauchte, und da sie sich mit ihren »Landsleuten«, den Engländern, nicht einigen konnte, erhält sie eine sowjetische. »Die Weltbühne erschien jetzt wieder, mein Leben hatte wieder einen Sinn bekommen.« So resümiert sie auf Seite 146, und in diesen schlichten Worten spiegeln sich der Stolz und der Wille einer Frau, die ihrem Mann Gefährtin und Kameradin war.
Im Buch teilt Maud von Ossietzky auch Briefe Carls oder Einträge im »Erinnerungsbuch« mit, welches das Ehepaar führte. Eines fällt auf: Sie ist immer die »liebste Maudie«, das »Sorgenkind«, das »liebe Kind«, die »Maus«, die »liebe, kleine Frau«. Nun war besonders die Floskel von der lieben, kleinen Frau noch in den fünfziger Jahren sehr im Schwange. Mein Vater redete in Briefen, die er ins Krankenhaus sandte, meine Mutter nur so an. Und offenbar hat es ihr behagt. Haben Männer damals gern den Beschützer ihrer Frauen herausgekehrt? Oder war es ein Versuch auch der Verkleinerung? Ein Foto auf Seite 145 zeigt die Herausgeber Maud von Ossietzky und Hans Leonhard 1948 in der Weltbühne-Redaktion, Berlin W 8, Mohrenstraße 36 – 37. Da sitzt eine selbstbewusste Frau, eine Chefin, im Sessel, offenbar ein Manuskript prüfend.
Das Buch Maud von Ossietzkys ist übrigens antiquarisch immer noch zu haben.