Wenn ich tief hinabsteige zu den von den folgenden Jahrzehnten fast verschütteten Erinnerungen, höre ich wie aus weiter Ferne ein Klackern und Rasseln und sehe mich als jungen Mann, schemenhaft wie in einer außerkörperlichen Wahrnehmung, in der Ecke einer kleinen Gaststätte meines Heimatortes an einem Flipper stehen. Klingklang, lang ist es her, scheinen die Glocken des Automaten zu tönen. Nostalgie pur.
Der Schriftsteller Andreas Bernard, der an der staatlichen Leuphana-Universität Lüneburg Kulturwissenschaften lehrt, hat mit seinem Büchlein Der Trost der Flipper meine Erinnerungen geweckt. In seiner autobiografischen Erzählung dreht sich alles um die funkelnden Automaten und die Lust des Spielens.
Solche Flipper standen zwischen 1960 und 1990 in der Bundesrepublik in Gaststätten und Eckkneipen, in Bars und Spielsalons, in Ferienheimen und Jugendzentren. Flipper waren pure Unterhaltungsgeräte, deren Spielergebnis in Form von Punkten und Freispielen durch Übung und Geschick beeinflusst werden konnte. Das unterschied sie von den »einarmigen Banditen«, deren Name schon auf zweierlei hindeutet: dass sie zum Ingangsetzen nach dem Geldeinwurf einen Hebel hatten, den besagten einen Arm, und dass sie als Glücksspielgeräte wie Banditen die Spieler ausrauben konnten. Das Ergebnis dieser Geldspielgeräte konnte nicht beeinflusst werden, und die ständige Hoffnung auf einen Gewinn verschlang so manche Mark.
Vielleicht fragen Sie sich, was ist überhaupt ein Flipper? Vielleicht haben Sie ja noch nie von solch einem Gerät gehört oder eines gesehen, zum Beispiel, wenn Sie in der DDR aufgewachsen sind, wo diese Automaten verpönt waren? Daher jetzt kurz eine nüchterne Beschreibung: Bei allen Flippern wird nach einem Münzeinwurf eine Metallkugel zunächst auf eine schrägstehende Fläche katapultiert, von der sie in Richtung des Spielers hinabrollt. Je nachdem, in welche Öffnungen die Kugel dabei fällt bzw. welche Hindernisse sie dabei mit Klingklang berührt, sammelt der Spieler Punkte. Mit den namensgebenden Flipperhebeln lässt sich die Kugel auffangen und auf die Spielfläche zurückstoßen, wodurch die Punktezahl in die Höhe getrieben werden kann, bis zum Sieg in einem eventuellen Wettkampf, bis zu Freispielen oder bis zum Abbruch, zum Beispiel durch »Tilt«. Ist das Spiel beendet, stellen sich im aufragenden Kopfteil die Zahlenleisten oder -räder ratternd auf null zurück.
Die DDR stand übrigens mit ihrer Aversion gegen Flipperautomaten nicht allein. Die Geräte waren über mehrere Jahrzehnte hinweg auch in einigen Bundesstaaten in den USA verboten, zum Beispiel von 1942 bis 1976 in New York, mit Begründungen wie »Schulkinder würden um ihr Geld gebracht« oder »die Sittsamkeit der Jugend« würde gefährdet.
Von einer Gefährdung hat Bernard nichts bemerkt. Er hat seine ersten Erfahrungen als Elfjähriger in einem Münchner Jugendzentrum gesammelt, wo der Flipper in einer Ecke des Billardraums stand. Flipper waren anfangs meistens in Ecken von Lokalen oder in Durchgängen, zum Beispiel auf dem Weg zu den Toiletten, zu finden. Bernard beendete sein allererstes Spiel, er weiß es noch heute, als letzter in einer Vierer-Gruppe. Ein paar Tage danach aber, an einem Nachmittag, als die Räume noch fast leer waren, zeigte ihm ein erfahrener Spieler die Tricks und Kniffe, und so erhielt er seine Grundausbildung im Flippern. Es war der Beginn einer wunderbaren Freundschaft zwischen Mensch und Maschine.
Sie meinen, solch eine Freundschaft sei nicht möglich? 35 Jahre nach seiner Initiation in die Flipper-Welt entdeckte Bernard bei der Durchreise »in einer schmucklosen Kleinstadt in Ostwestfalen« eine Menschengruppe vor einer Lagerhalle. Hier fand an jenem Nachmittag ein Flipper-Turnier statt. Zu den Profis, die dort auftraten, gehörte, mit »ehrfürchtigen Blicken« begrüßt, »ein südländisch aussehender Spieler, auffallend hager, vielleicht Anfang dreißig«. Und dann geschah »etwas Außergewöhnliches«:
»Ich hatte vom ersten Moment an den Eindruck, dass er auf dem Gerät nicht spielte, sondern es hypnotisierte. Seine Fingerkuppen waren nur sanft mit den Knöpfen verbunden. Er schien sie eher zu streicheln als zu drücken, und der Flipper, dessen widerspenstige Schlagtürme und Banden den Gegner ein paar Sekunden zuvor noch zur Raserei getrieben hatten, wurde plötzlich ganz ruhig, als würde er von einer mysteriösen Kraft besänftigt. (…) Unter seinen Händen – nein, durch seine bloße Präsenz (denn die Knöpfe berührte er kaum, und gerüttelt hätte er das Gerät unter keinen Umständen) – wurde der Maschine Atem gleichmäßiger, ihre angespannten Nerven gelöster. Und die Zuschauer merkten, dass Mensch und Flipper hier wirklich verschmolzen, wobei die Bereitschaft dazu eher von der Maschine zu kommen schien, die spürte, dass sie jemand verstand, dass jemand gut zu ihr war.«
Und das alles geschah ohne KI oder die heute bei Gamern allgegenwärtige, an PC oder Konsole anschließbare VR-Brille. In dieser magischen Stunde hätten »Roboter von elektrischen Schafen träumen« können (Philip K. Dick). Als ich dies las, erinnerte ich mich plötzlich an den von Peter Townshend, dem Kopf der britischen Rockband The Who, geschriebenen Song Pinball Wizzard aus dem Jahr 1969, der von einem tauben, stummen und blinden Kind erzählt, das in einer Vergnügungshalle wie eine Statue vor einem Flipper steht, sicher nach purer Intuition spielt und für die Beobachter allmählich ein Teil der Maschine zu werden scheint. Über diesem Song liegt der gleiche Zauber, wie ihn Bernard 45 Jahre später »in einer schmucklosen Kleinstadt in Ostwestfalen« empfunden hat.
Andreas Bernard hat die Kapitel seines Buches strikt auf Flipper-Geräte ausgerichtet, so wie sie nach und nach auf den Markt kamen, mit Namen wie Monaco, Harlem Globetrotters, Pinball Champ ’82, Paragon, Earthshaker, Taxi, Star Trek: The Next Generation. Aber er wäre kein Kulturwissenschaftler, wenn er nicht den Blick über den Gegenstand seiner Beschreibung hinaus weiten würde, zum Beispiel auf Bücher und Filme oder TV-Serien, in denen Flipper eine Rolle spielen.
Und noch etwas ist ihm aufgefallen: »Seitdem die Flipper verschwunden sind, haben sich die Städte verwandelt. Sie sind gläserner geworden, durchsichtiger. Im Zentrum und an den Ausfallstraßen reihen sich Läden mit breiten Fensterfronten aneinander, Dönerbuden, Nagelstudios, Coffeeshops, Shisha-Bars, Asia-Bistros, Start-up-Büros – lauter Orte, die man zur Blütezeit der Flipper noch nicht kannte.« Zu jener Zeit hatten Schänken, Konditoreien oder Gaststätten Türen aus Holz und die Fenster waren von tabakrauchgelblichen Gardinen verhüllt, hinter denen kein Flipper zu erkennen war. »Höchstens die Metzgereien gewährten vollen Einblick ins Innere des Geschäfts.«
Wo kulturelle Phänomene wie das Flippern auftreten, sind Kulturphilosophen und Soziologen mit ihren Deutungen und sozialkritischen Analysen nicht weit. Schon Adorno hatte verkündet, dass »Freizeit an ihren Gegensatz gekettet« sei. Im vorletzten Kapitel weicht Bernard vom lockeren Erzählton ab ins Sachbuchmäßige, wenn er schreibt: «In den Vergnügungsformen kapitalistischer Gesellschaften, so die Grundannahme, spiegeln sich die Herrschaftsverhältnisse industrieller Arbeit. Schnell wurde ermittelt, dass ›Lohnabhängige sowie – in gewissem Abstand – Schüler und Studenten mit noch ungeklärtem Sozialstatus die weitaus meisten Spieler‹ stellen. Zur Blütezeit der Maschinen reichte das Spektrum politischer Flippertheorien weit: von ihrer Dämonisierung als Verstärker der Entfremdung bis zu ihrer Feier als Maschinen des Widerstands.«
In den 1990er Jahren dann der Schwanengesang. Es begann die Ära der Arcade-Automaten. Mit ihren Videospielen und Bildschirmen und ihrer Film-Ästhetik übertrumpften sie die anachronistisch gewordenen, bildschirmlosen Kästen aus Stahl und Glas. Selbst die DDR öffnete sich für solche Automaten. »Poly-Play« hieß der Star. Von 1986 bis 1989 wurden vor allem in Ferienheimen und öffentlichen Einrichtungen insgesamt 2000 solcher Geräte aufgestellt, für 22 000 Mark das Stück, produziert im VEB Polytechnik Karl-Marx-Stadt.
Aber auch die Video-Automaten hielten sich nicht lange. Flipper und Arcades fielen »im ausgehenden 20. Jahrhundert aus einer Welt, deren Erneuerung vor allem zwei Bereiche betrifft: die Umformung des öffentlichen Raumes und die Umformung der Arbeitswelt«. Videospiele auf Heimkonsolen, Smartphones und Tablets traten ihren bis heute anhaltenden Siegeszug an. Für Flipper und Videoautomaten aber hieß es: Game Over. Oder, um es mit Jean-Paul Sartre auf Französisch zu sagen: Les Jeux sont faits.
Nachbemerkung: Auch in der DDR gab es »einarmige Banditen«, einen zumindest. Dieser Münzautomat, ein West-Import, stand im Erholungsheim des Zentralkomitees der SED in Baabe auf Rügen, das am 2. Januar 1990 als Cliff-Hotel zu neuem Leben erwachte und heute als First Class Herberge firmiert. Allerdings konnte der »Bandit« nur mit Spielgeld gefüttert werden, vielleicht, um die Genossinnen und Genossen nicht in Versuchung zu führen, vielleicht aber auch, weil nicht genug West-Münzen zur Verfügung standen.
Andreas Bernard: Der Trost der Flipper, Klett-Cotta, Stuttgart 2024, 121 S., 20 €. – Bei einigen Angaben zur Flipper-Historie habe ich mir von Wikipedia helfen lassen.