Seit dem Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine befinden sich die Leitmedien in Deutschland in einem erschreckend eindimensional-bellizistischen Überbietungswettkampf, der fundamentale journalistische Grundsätze vermissen lässt. Der Journalismusforscher Klaus Meier schreibt über die Funktion von Journalismus: »Journalismus recherchiert, selektiert und präsentiert Themen, die neu, faktisch und relevant sind. Er stellt Öffentlichkeit her, indem er die Gesellschaft beobachtet, diese Beobachtung über periodische Medien einem Massenpublikum zur Verfügung stellt und dadurch eine gemeinsame Wirklichkeit konstruiert. Diese konstruierte Wirklichkeit bietet Orientierung in einer komplexen Welt.« Maier beschreibt somit ein höchst differenziertes journalistisches Handeln, das Recherchieren, Selektieren und Präsentieren von Themen umfasst, um somit gesellschaftliche Orientierung anzubieten. Diesem Anspruch werden die Leitmedien bei ihrer Berichterstattung über den Krieg in der Ukraine ganz überwiegend nicht gerecht. Stereotyp wird immer wieder aufs Neue die Alternativlosigkeit einer militärischen Lösung des Ukrainekrieges herbeigeschrieben, während davon abweichende Meinungen weitestgehend ignoriert werden. Den neuen Höhepunkt im Ein-großer-Krieg-wird-kommen-Kanon leistet sich der Spiegel-Redakteur Markus Becker in seinem Leitartikel über den Nato-Jubiläumsgipfel in Washington. Schon die Überschrift: »Der Westen muss klären, ob er zum Krieg gegen Putin bereit ist«, irritiert, denn sie wirft unweigerlich die Frage auf, ob sich der Text tatsächlich an die geneigte Spiegel-Leserschaft richtet, oder ob es sich nicht eher um ein Bewerbungsschreiben für einen Job in der Presseabteilung von RHEINMETALL handelt. Und auch der weitere Text löst jene Zweifel nicht auf, wenn Becker über »eine unangenehme Debatte« sinniert und sodann feststellt: »Denn wenn die Ukraine eines Tages Teil der Nato ist – was angeblich nur eine Frage der Zeit ist – und wenn es die übrigen Mitgliedsländer ernst meinen mit der Abschreckungswirkung ihres Bündnisses: Dann müssten sich die Alliierten langfristig auf einen Krieg gegen Russland vorbereiten, den sie aktuell unbedingt vermeiden wollen.« Danach wirft er das Bündnisverpflichtungs-Dilemma einer zeitnahen Aufnahme der Ukraine in die Nato auf, was er am Ende aber trotz aller Risiken befürwortet: »Das würde nicht nur die Ukraine langfristig vor einem weiteren russischen Überfall, vor tausendfachem Tod und unbeschreiblichem Leid schützen. Es wäre auch ein probates Mittel, Putins imperialistischen Gelüsten ein Ende zu bereiten«, so Becker. Mit keinem einzigen Wort werden die Risiken eines solch epochalen militärpolitischen Vorgehens hinsichtlich der Folgen eines möglichen Dritten Weltkrieges und des fehlenden kollektiven Konsenses hierzu innerhalb der Nato, innerhalb der EU und auch innerhalb der politischen Landschaft in Deutschland erwähnt. Und auch findet sich kein Wort über den Sinn und den Nutzen von diplomatischen Bemühungen zur Beendigung des Ukrainekrieges. Weshalb schreibt eigentlich in den Leitmedien so gut wie niemand darüber? Und warum fehlt es an der so dringend notwendigen journalistischen Berichterstattung über die an Widerlichkeit nicht zu überbietende Debatte um die Notwendigkeit von Kanonen, anstelle von Butter? Diesbezüglich warb Clemens Fuest, der Präsident des ifo-Instituts, bereits vor einer Weile mit folgendem Spruch für höhere Militärausgaben: »Kanonen und Butter – das wäre schön, wenn das ginge. Aber das ist Schlaraffenland. Das geht nicht. Sondern Kanonen ohne Butter.« Kurz darauf sprang ihm Moritz Schularick, der Chef des Instituts für Weltwirtschaft Kiel, zur Seite, der bei Spiegel Online unter dem Titel »Wir müssen aufrüsten für den Wohlstand« unter anderem »harte Budgetentscheidungen zwischen ›Kanonen und Butter‹« forderte. Und zuletzt schwadronierte der Chef des Instituts der deutschen Wirtschaft, Michael Hüther in der Welt: »Der Sonderfonds für die Bundeswehr beträgt 100 Milliarden Euro. Das reicht nicht aus (…) Wir benötigen eine Aufstockung auf 250 bis 300 Milliarden Euro. Nur so erreichen wir eine kriegstüchtige Ausstattung unserer Armee.« Wo bleiben denn hier die Investigativ-Journalisten, um andere Stimmen und Meinungen innerhalb unserer Gesellschaft (und insbesondere innerhalb der Anti-Putin-Allianz) einzufangen und darüber zu berichten? Wann wollen sie endlich damit anfangen? »Die Presse hat auch die Aufgabe, das Gras zu mähen, das über etwas zu wachsen droht«, schrieb der österreichische Publizist Alfred Polgar. Davon sollten eigentlich auch die Verantwortlichen unserer Leitmedien bereits während ihrer Ausbildung gehört haben. Doch danach handeln sie in ihrer Berichterstattung über den unheilvollen Krieg in der Ukraine leider so gut wie (noch) gar nicht!