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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Leitmedien im Kriegsmodus

Seit dem Beginn des rus­si­schen Angriffs­krie­ges gegen die Ukrai­ne befin­den sich die Leit­me­di­en in Deutsch­land in einem erschreckend ein­di­men­sio­nal-bel­li­zi­sti­schen Über­bie­tungs­wett­kampf, der fun­da­men­ta­le jour­na­li­sti­sche Grund­sät­ze ver­mis­sen lässt. Der Jour­na­lis­mus­for­scher Klaus Mei­er schreibt über die Funk­ti­on von Jour­na­lis­mus: »Jour­na­lis­mus recher­chiert, selek­tiert und prä­sen­tiert The­men, die neu, fak­tisch und rele­vant sind. Er stellt Öffent­lich­keit her, indem er die Gesell­schaft beob­ach­tet, die­se Beob­ach­tung über peri­odi­sche Medi­en einem Mas­sen­pu­bli­kum zur Ver­fü­gung stellt und dadurch eine gemein­sa­me Wirk­lich­keit kon­stru­iert. Die­se kon­stru­ier­te Wirk­lich­keit bie­tet Ori­en­tie­rung in einer kom­ple­xen Welt.« Mai­er beschreibt somit ein höchst dif­fe­ren­zier­tes jour­na­li­sti­sches Han­deln, das Recher­chie­ren, Selek­tie­ren und Prä­sen­tie­ren von The­men umfasst, um somit gesell­schaft­li­che Ori­en­tie­rung anzu­bie­ten. Die­sem Anspruch wer­den die Leit­me­di­en bei ihrer Bericht­erstat­tung über den Krieg in der Ukrai­ne ganz über­wie­gend nicht gerecht. Ste­reo­typ wird immer wie­der aufs Neue die Alter­na­tiv­lo­sig­keit einer mili­tä­ri­schen Lösung des Ukrai­ne­krie­ges her­bei­ge­schrie­ben, wäh­rend davon abwei­chen­de Mei­nun­gen wei­test­ge­hend igno­riert wer­den. Den neu­en Höhe­punkt im Ein-gro­ßer-Krieg-wird-kom­men-Kanon lei­stet sich der Spie­gel-Redak­teur Mar­kus Becker in sei­nem Leit­ar­ti­kel über den Nato-Jubi­lä­ums­gip­fel in Washing­ton. Schon die Über­schrift: »Der Westen muss klä­ren, ob er zum Krieg gegen Putin bereit ist«, irri­tiert, denn sie wirft unwei­ger­lich die Fra­ge auf, ob sich der Text tat­säch­lich an die geneig­te Spie­gel-Leser­schaft rich­tet, oder ob es sich nicht eher um ein Bewer­bungs­schrei­ben für einen Job in der Pres­se­ab­tei­lung von RHEINMETALL han­delt. Und auch der wei­te­re Text löst jene Zwei­fel nicht auf, wenn Becker über »eine unan­ge­neh­me Debat­te« sin­niert und sodann fest­stellt: »Denn wenn die Ukrai­ne eines Tages Teil der Nato ist – was angeb­lich nur eine Fra­ge der Zeit ist – und wenn es die übri­gen Mit­glieds­län­der ernst mei­nen mit der Abschreckungs­wir­kung ihres Bünd­nis­ses: Dann müss­ten sich die Alli­ier­ten lang­fri­stig auf einen Krieg gegen Russ­land vor­be­rei­ten, den sie aktu­ell unbe­dingt ver­mei­den wol­len.« Danach wirft er das Bünd­nis­ver­pflich­tungs-Dilem­ma einer zeit­na­hen Auf­nah­me der Ukrai­ne in die Nato auf, was er am Ende aber trotz aller Risi­ken befür­wor­tet: »Das wür­de nicht nur die Ukrai­ne lang­fri­stig vor einem wei­te­ren rus­si­schen Über­fall, vor tau­send­fa­chem Tod und unbe­schreib­li­chem Leid schüt­zen. Es wäre auch ein pro­ba­tes Mit­tel, Putins impe­ria­li­sti­schen Gelü­sten ein Ende zu berei­ten«, so Becker. Mit kei­nem ein­zi­gen Wort wer­den die Risi­ken eines solch epo­cha­len mili­tär­po­li­ti­schen Vor­ge­hens hin­sicht­lich der Fol­gen eines mög­li­chen Drit­ten Welt­krie­ges und des feh­len­den kol­lek­ti­ven Kon­sen­ses hier­zu inner­halb der Nato, inner­halb der EU und auch inner­halb der poli­ti­schen Land­schaft in Deutsch­land erwähnt. Und auch fin­det sich kein Wort über den Sinn und den Nut­zen von diplo­ma­ti­schen Bemü­hun­gen zur Been­di­gung des Ukrai­ne­krie­ges. Wes­halb schreibt eigent­lich in den Leit­me­di­en so gut wie nie­mand dar­über? Und war­um fehlt es an der so drin­gend not­wen­di­gen jour­na­li­sti­schen Bericht­erstat­tung über die an Wider­lich­keit nicht zu über­bie­ten­de Debat­te um die Not­wen­dig­keit von Kano­nen, anstel­le von But­ter? Dies­be­züg­lich warb Cle­mens Fuest, der Prä­si­dent des ifo-Insti­tuts, bereits vor einer Wei­le mit fol­gen­dem Spruch für höhe­re Mili­tär­aus­ga­ben: »Kano­nen und But­ter – das wäre schön, wenn das gin­ge. Aber das ist Schla­raf­fen­land. Das geht nicht. Son­dern Kano­nen ohne But­ter.« Kurz dar­auf sprang ihm Moritz Schul­a­rick, der Chef des Insti­tuts für Welt­wirt­schaft Kiel, zur Sei­te, der bei Spie­gel Online unter dem Titel »Wir müs­sen auf­rü­sten für den Wohl­stand« unter ande­rem »har­te Bud­get­ent­schei­dun­gen zwi­schen ›Kano­nen und But­ter‹« for­der­te. Und zuletzt schwa­dro­nier­te der Chef des Insti­tuts der deut­schen Wirt­schaft, Micha­el Hüt­her in der Welt: »Der Son­der­fonds für die Bun­des­wehr beträgt 100 Mil­li­ar­den Euro. Das reicht nicht aus (…) Wir benö­ti­gen eine Auf­stockung auf 250 bis 300 Mil­li­ar­den Euro. Nur so errei­chen wir eine kriegs­tüch­ti­ge Aus­stat­tung unse­rer Armee.« Wo blei­ben denn hier die Inve­sti­ga­tiv-Jour­na­li­sten, um ande­re Stim­men und Mei­nun­gen inner­halb unse­rer Gesell­schaft (und ins­be­son­de­re inner­halb der Anti-Putin-Alli­anz) ein­zu­fan­gen und dar­über zu berich­ten? Wann wol­len sie end­lich damit anfan­gen? »Die Pres­se hat auch die Auf­ga­be, das Gras zu mähen, das über etwas zu wach­sen droht«, schrieb der öster­rei­chi­sche Publi­zist Alfred Pol­gar. Davon soll­ten eigent­lich auch die Ver­ant­wort­li­chen unse­rer Leit­me­di­en bereits wäh­rend ihrer Aus­bil­dung gehört haben. Doch danach han­deln sie in ihrer Bericht­erstat­tung über den unheil­vol­len Krieg in der Ukrai­ne lei­der so gut wie (noch) gar nicht!