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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Lebensschichten

Die Gen­re­zu­wei­sung Roman auf dem Buch­deckel erscheint nicht über­zeu­gend: Ich hat­te nicht immer das Gefühl, einen Roman zu lesen. Ande­rer­seits: Wie will man eine gro­ße Erzäh­lung über ein Leben nen­nen, über die Suche nach einem Platz dar­in? Zumal der Text unter den bekann­ten Mot­to-Wor­ten Shake­speares vom Leben als Schat­ten, vom Mär­chen, das ein Narr erzählt (also doch Roman!), steht. Pas­send erschie­ne mir Lebens­schich­ten-Essay. Aber damit wür­de man einem fas­zi­nie­ren­den lite­ra­ri­schen Erin­ne­rungs­an­satz die Wir­kung, ja viel­leicht die Chan­ce auf Wahr­neh­mung schmälern.

Auf­ge­tra­gen wer­den die num­me­rier­ten Remi­nis­zen­zen­schich­ten zwi­schen einem Sep­tem­ber­tag 1970, als die Nach­richt vom Tod des Musi­kers Jimi Hen­drix um die Welt lief, und 1988, mit einem Besuch der Haupt­fi­gur in der Sowjet­uni­on. Dass die­ser Prot­ago­nist Bernd Klap­p­roth heißt, muss man dem Wasch­zet­tel entnehmen.

Der »Zwi­schen­zeit­blues« ist der zwei­te Teil einer Tri­lo­gie, deren erster »Taschen­tuch­die­le« heißt. Natür­lich kann man bio­gra­fi­sches Schrei­ben auf drei Bän­de anle­gen, doch sind die Zusam­men­hän­ge nicht immer leicht her­zu­stel­len. So erschloss sich mir man­ches Detail im Buch erst durch die (nach­ge­hol­te) Lek­tü­re des ersten Teils. Der Ver­lag könn­te künf­tig poten­zi­el­len Lesern mit einer Zusam­men­fas­sung hel­fen, wenig­stens im Klappentext.

Es sind im Buch fes­seln­de Erin­ne­run­gen aus jenen Jah­ren, auch mit­rei­ßen­de Schil­de­run­gen des Lebens in einem inzwi­schen unter­ge­gan­ge­nen Land zu fin­den, etwa des »Beat-Auf­stan­des« in Leip­zig, Okto­ber 1965. Oder wie es dem Ich-Erzäh­ler gelang, am Tage, da der Rat der Stadt Leip­zig (wohl einer Anord­nung Ulb­richts fol­gend), die Uni­ver­si­täts­kir­che St. Pau­li spren­gen ließ, Schall­plat­ten der Beat­les und Rol­ling Stones zu ret­ten. Doch die »Staats­macht« wird des reni­ten­ten jun­gen Man­nes hab­haft, er kommt wegen »Pass­ver­ge­hens« (gemeint war damit der Ver­such, aus der DDR zu flie­hen) in den Knast. Die­ses bio­gra­fi­sche Detail wird zwei­mal erzählt. Die zwei­te Erzäh­lung, über­schrie­ben »Der Raum«, gehört zu den inten­siv­sten Stel­len im Buch. Atmo­sphä­risch dicht wird eine Situa­ti­on in einer Gefäng­nis­zel­le, die kör­per­lich und wohl auch see­li­sche Befrei­ung brin­gen soll, so erzählt, dass die Prot­ago­ni­sten einem vor Augen ste­hen, dass das Grau­en und die Scham den Leser selbst überkommen.

Natür­lich kann man sei­ne Lebens­schich­ten nicht durch­gän­gig so sezie­ren. Aber an eini­gen Stel­len wird etwas wort­ver­liebt erzählt, da wer­den für unbe­deu­ten­de Details drei Sät­ze bemüht, die dann hypo­tak­tisch auf­ge­bläht wer­den. Und es wirkt nicht über­zeu­gend, wenn »Zwei­fel, Skep­sis und Miss­trau­en« (Sei­te 221) sich im Erzäh­ler mel­den, als er offi­zi­el­le DDR-Berich­te liest.

Es wäre schön, wenn der drit­te Teil von Ger­hard Pötzschs wich­ti­gen Erin­ne­run­gen strin­gen­ter daherkäme.

War­um sind sie wich­tig? Weil sie ein wirk­sa­mes Mit­tel gegen die immer mehr anzu­tref­fen­de Ver­nied­li­chung der DDR-Ver­gan­gen­heit sind.

Ger­hard Pötzsch: Zwi­schen­zeit­blues, Mit­tel­deut­scher Ver­lag, 272 Sei­ten, 20 .