Die Genrezuweisung Roman auf dem Buchdeckel erscheint nicht überzeugend: Ich hatte nicht immer das Gefühl, einen Roman zu lesen. Andererseits: Wie will man eine große Erzählung über ein Leben nennen, über die Suche nach einem Platz darin? Zumal der Text unter den bekannten Motto-Worten Shakespeares vom Leben als Schatten, vom Märchen, das ein Narr erzählt (also doch Roman!), steht. Passend erschiene mir Lebensschichten-Essay. Aber damit würde man einem faszinierenden literarischen Erinnerungsansatz die Wirkung, ja vielleicht die Chance auf Wahrnehmung schmälern.
Aufgetragen werden die nummerierten Reminiszenzenschichten zwischen einem Septembertag 1970, als die Nachricht vom Tod des Musikers Jimi Hendrix um die Welt lief, und 1988, mit einem Besuch der Hauptfigur in der Sowjetunion. Dass dieser Protagonist Bernd Klapproth heißt, muss man dem Waschzettel entnehmen.
Der »Zwischenzeitblues« ist der zweite Teil einer Trilogie, deren erster »Taschentuchdiele« heißt. Natürlich kann man biografisches Schreiben auf drei Bände anlegen, doch sind die Zusammenhänge nicht immer leicht herzustellen. So erschloss sich mir manches Detail im Buch erst durch die (nachgeholte) Lektüre des ersten Teils. Der Verlag könnte künftig potenziellen Lesern mit einer Zusammenfassung helfen, wenigstens im Klappentext.
Es sind im Buch fesselnde Erinnerungen aus jenen Jahren, auch mitreißende Schilderungen des Lebens in einem inzwischen untergegangenen Land zu finden, etwa des »Beat-Aufstandes« in Leipzig, Oktober 1965. Oder wie es dem Ich-Erzähler gelang, am Tage, da der Rat der Stadt Leipzig (wohl einer Anordnung Ulbrichts folgend), die Universitätskirche St. Pauli sprengen ließ, Schallplatten der Beatles und Rolling Stones zu retten. Doch die »Staatsmacht« wird des renitenten jungen Mannes habhaft, er kommt wegen »Passvergehens« (gemeint war damit der Versuch, aus der DDR zu fliehen) in den Knast. Dieses biografische Detail wird zweimal erzählt. Die zweite Erzählung, überschrieben »Der Raum«, gehört zu den intensivsten Stellen im Buch. Atmosphärisch dicht wird eine Situation in einer Gefängniszelle, die körperlich und wohl auch seelische Befreiung bringen soll, so erzählt, dass die Protagonisten einem vor Augen stehen, dass das Grauen und die Scham den Leser selbst überkommen.
Natürlich kann man seine Lebensschichten nicht durchgängig so sezieren. Aber an einigen Stellen wird etwas wortverliebt erzählt, da werden für unbedeutende Details drei Sätze bemüht, die dann hypotaktisch aufgebläht werden. Und es wirkt nicht überzeugend, wenn »Zweifel, Skepsis und Misstrauen« (Seite 221) sich im Erzähler melden, als er offizielle DDR-Berichte liest.
Es wäre schön, wenn der dritte Teil von Gerhard Pötzschs wichtigen Erinnerungen stringenter daherkäme.
Warum sind sie wichtig? Weil sie ein wirksames Mittel gegen die immer mehr anzutreffende Verniedlichung der DDR-Vergangenheit sind.
Gerhard Pötzsch: Zwischenzeitblues, Mitteldeutscher Verlag, 272 Seiten, 20 €.