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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Lebenslangwerk

Nicht nur Karl Kraus hat mein Hirn durch­lüf­tet, Fen­ster geöff­net, damit die Welt sicht­bar, erklär­bar wird, auch Uwe Dick gehört dazu. Am 21.12.2022 wur­de er 80 Jah­re alt. Von denen, die wich­ti­ge und gute Lite­ra­tur pre­di­gen, kaum erwähnt, ganz sicher in kei­ner der »Best­sel­ler­li­sten« zu fin­den, lohnt es sich, mit dem Werk die­ses Autors Bekannt­schaft zu machen. Wer das Glück hat – aber sicher­lich nur noch sel­ten, haben wird –, den Mann zu erle­ben, der soll­te Uwe Dick zuhö­ren. Sein Ein-Mann-Thea­ter­stück »Der Öd« ist, wie vie­le ande­re sei­ner Wer­ke, unbe­dingt les­bar und hör­bar in die­ser schreck­li­chen Zeit der Wort­hüls­hü­ste­lei. Auf sei­ner Home­page (www.uwe-dick.de) kann man dem Sprech- und Schreib­stel­ler begeg­nen. Kost­pro­be? Bit­te: »Nie­mand ent­kommt sei­ner Dep­po­che. Auch die dümm­sten Zei­ten haben ihre füh­ren­den Phi­lo­so­phen, Jour­nul­li­sten pp.«

In einem Inter­view gefragt, ob die Wer­ke von Karl Kraus, Nestroy, Lich­ten­berg, Jean Paul, Arno Schmidt, Ezra Pound, Chleb­ni­kow oder Andrea Zan­zot­to sei­ne Arbeit beein­flusst hät­ten, ant­wor­te­te Dick: »Wer­ke? Nein, aber Sät­ze. In einem Pro­zess von Spruch und Wider­spruch, bis ihr Wie und ihr Was mei­ner Beob­ach­tung stand­hal­ten, stim­mig sind und – viel­leicht – mög­lich als Uni­ver­sa­li­en auch für ande­re Men­schen (…) – prü­fe ich, ob sich ihre ver­locken­den, bril­lan­ten, küh­nen Wor­te in den Fähr­nis­sen und Aus­nah­me­si­tua­tio­nen mei­nes Lebens bewäh­ren: Unge­deck­te Wort­schecks ver­ach­te ich; egal ob von Dich­tern, Phi­lo­so­phen, Musi­kern, Malern, Wis­sen­schaft­lern oder von Mit­men­schen des Alltags.«

An sei­nem Lebens­werk »Sau­wald­pro­sa« arbei­tet Uwe Dick schon bald 50 Jah­re. Soeben ist die defi­ni­tiv letz­te und abge­schlos­se­ne Aus­ga­be die­ses »Lebens­lang­wer­kes« erschienen.

Auf die Fra­ge, was nun Leser­in­Le­ser bei der »Sau­wald­pro­sa« erwar­te, gibt Uwe Dick Aus­kunft: »Das Lust­prin­zip im Ober­stüb­chen. Die Auto­no­mie der Wör­ter, kon­trär zum Jour­na­lis­mus der Auf­ge­reg­ten und Blut­gei­len (…). Wenn Geschich­te im Kopf statt­fin­det (wo sonst?), gewin­nen öffent­li­che und pri­va­te Mytho­lo­gien glei­chen Sta­tus, will die Spra­che sich, den gan­zen Raum der Mög­lich­kei­ten (ver­net­zen, ist) also kei­ne Ablauf-Mecha­nik linea­ren Dich­tens und Trach­tens. Und weil es in der ‚Sau­wald­pro­sa‘ von jeder Zei­le aus gleich weit zur näch­sten Infor­ma­ti­on (=Beob­ach­tung, Meta­pher, Stö­rung, Bewe­gungs­kur­ve, epi­gram­ma­ti­sche Dia­lek­tik, Sinn­ge­bung, Sub­ver­si­on des Fra­gens, Voka­bel­ar­g­wohn…) ist, mag jeder kreuz und quer­le­sen, wie es ihm beliebt, sich ver­lie­ren und fin­den im Ande­ren, im (hie und da magi­schen) Rea­lis­mus eines mul­ti­for­men Kos­modra­mas der Mit­lei­den­schaft. Inklu­si­ve kurz­wei­li­ger Aufspaltungskomödien.«

Die nun vor­lie­gen­de Aus­ga­be ist die sech­ste und letz­te Fort­schrift die­ses wohl ein­ma­li­gen »Lebens­lang­wer­kes«. Dies ist ganz sicher ein Buch, das die »Lip­pen­be­we­ger­le­se­rin­nen und Leser« über­for­dert. Dick unter­sucht Wor­te, über­prüft die Wir­kung und ent­hüllt oft die Inhalts­lo­sig­keit eines gan­zen »Wort­schöp­fer­le­bens«. Das ist Wort­witz, da gibt es Wort­schöp­fun­gen und eine Spra­che, die sich den kur­zen Weg zur Wahr­heit sucht. Ent­lar­vend! Des­we­gen hier eine klei­ne Kost­pro­be: »Hit­ler, Sta­lin, Pino­chet, Ceau­ses­cu … Was wären sie ohne ihre Hand­lan­ger und Kopf­jä­ger? Ohne die vie­len – strei­cheln Dackel, sam­meln Brief­mar­ken, (…) hel­fen auch mal bei ner Rei­fen­pan­ne – net­ten Leu­te? Die ES ermög­li­chen. ES, dem jedes Volk nur ein Impe­ra­tiv, eine Gehorch­form ist. ES, das weiß: Der Staat ist groß, wir sind die Sei­nen. Und sei­ne Ja-Schu­len pau­ken ES ein: Die Mecha­nis­men sind schuld, die Com­pu­ter …, nicht die Per­so­nen. Doch in den Gesich­tern – Sozio­lo­gie der Anschau­ung – steht ES geschrie­ben: Die Men­schen sind des Men­schen Tod.«

Die­ses Buch end­lich zu lesen, dafür ist es nie zu früh und nur für jene zu spät, bei denen die Pro­vinz den Kopf erreicht hat. Das Buch hat 666 Sei­ten, man kann auf Sei­te 302 anfan­gen oder auch die Sei­te 27 zuerst lesen. Jede Sei­te fun­kelt! »Ver­klemm­te lachen nicht. Sie licheln. Wenn’s hoch­kommt, schaf­fen sie ein Löcheln.« Der »Sau­wald« sei­ner Pro­sa hat sein Wachs­tum abge­schlos­sen und soll­te tun­lichst nicht nur beblät­tert, son­dern gele­sen wer­den, auch in Salz­burg, Pas­sau, Frei­las­sing, Bad Rei­chen­hall, Regens­burg, aber auch in Mön­chen­glad­bach und Kre­feld – den Nie­der­rhein nicht zu ver­ges­sen und natür­lich auch in Res­trost­deutsch­land! Lesen­de Wie­ne­rin­nen­Wie­ner dürf­ten bald begrei­fen wie schal ihr »Schmäh« gegen­über die­sem Buch ist! »Unsa Schtaat isw a grou­ße Pyra­midn. Und wea ganz drobn drin sein wui, dea muaß an klo­an spitzn Kopf ham.«

Leser­in­Le­ser, machen sie der Buch­händ­le­rin­Buch­händ­ler Ihres Ver­trau­ens und sich selbst eine Freu­de, lesen Sie mehr Uwe Dick.

Uwe Dick, Sau­wald­pro­sa, faden­ge­hef­te­ter Papp­band, 666 S., 50 €.