Nicht nur Karl Kraus hat mein Hirn durchlüftet, Fenster geöffnet, damit die Welt sichtbar, erklärbar wird, auch Uwe Dick gehört dazu. Am 21.12.2022 wurde er 80 Jahre alt. Von denen, die wichtige und gute Literatur predigen, kaum erwähnt, ganz sicher in keiner der »Bestsellerlisten« zu finden, lohnt es sich, mit dem Werk dieses Autors Bekanntschaft zu machen. Wer das Glück hat – aber sicherlich nur noch selten, haben wird –, den Mann zu erleben, der sollte Uwe Dick zuhören. Sein Ein-Mann-Theaterstück »Der Öd« ist, wie viele andere seiner Werke, unbedingt lesbar und hörbar in dieser schrecklichen Zeit der Worthülshüstelei. Auf seiner Homepage (www.uwe-dick.de) kann man dem Sprech- und Schreibsteller begegnen. Kostprobe? Bitte: »Niemand entkommt seiner Deppoche. Auch die dümmsten Zeiten haben ihre führenden Philosophen, Journullisten pp.«
In einem Interview gefragt, ob die Werke von Karl Kraus, Nestroy, Lichtenberg, Jean Paul, Arno Schmidt, Ezra Pound, Chlebnikow oder Andrea Zanzotto seine Arbeit beeinflusst hätten, antwortete Dick: »Werke? Nein, aber Sätze. In einem Prozess von Spruch und Widerspruch, bis ihr Wie und ihr Was meiner Beobachtung standhalten, stimmig sind und – vielleicht – möglich als Universalien auch für andere Menschen (…) – prüfe ich, ob sich ihre verlockenden, brillanten, kühnen Worte in den Fährnissen und Ausnahmesituationen meines Lebens bewähren: Ungedeckte Wortschecks verachte ich; egal ob von Dichtern, Philosophen, Musikern, Malern, Wissenschaftlern oder von Mitmenschen des Alltags.«
An seinem Lebenswerk »Sauwaldprosa« arbeitet Uwe Dick schon bald 50 Jahre. Soeben ist die definitiv letzte und abgeschlossene Ausgabe dieses »Lebenslangwerkes« erschienen.
Auf die Frage, was nun LeserinLeser bei der »Sauwaldprosa« erwarte, gibt Uwe Dick Auskunft: »Das Lustprinzip im Oberstübchen. Die Autonomie der Wörter, konträr zum Journalismus der Aufgeregten und Blutgeilen (…). Wenn Geschichte im Kopf stattfindet (wo sonst?), gewinnen öffentliche und private Mythologien gleichen Status, will die Sprache sich, den ganzen Raum der Möglichkeiten (vernetzen, ist) also keine Ablauf-Mechanik linearen Dichtens und Trachtens. Und weil es in der ‚Sauwaldprosa‘ von jeder Zeile aus gleich weit zur nächsten Information (=Beobachtung, Metapher, Störung, Bewegungskurve, epigrammatische Dialektik, Sinngebung, Subversion des Fragens, Vokabelargwohn…) ist, mag jeder kreuz und querlesen, wie es ihm beliebt, sich verlieren und finden im Anderen, im (hie und da magischen) Realismus eines multiformen Kosmodramas der Mitleidenschaft. Inklusive kurzweiliger Aufspaltungskomödien.«
Die nun vorliegende Ausgabe ist die sechste und letzte Fortschrift dieses wohl einmaligen »Lebenslangwerkes«. Dies ist ganz sicher ein Buch, das die »Lippenbewegerleserinnen und Leser« überfordert. Dick untersucht Worte, überprüft die Wirkung und enthüllt oft die Inhaltslosigkeit eines ganzen »Wortschöpferlebens«. Das ist Wortwitz, da gibt es Wortschöpfungen und eine Sprache, die sich den kurzen Weg zur Wahrheit sucht. Entlarvend! Deswegen hier eine kleine Kostprobe: »Hitler, Stalin, Pinochet, Ceausescu … Was wären sie ohne ihre Handlanger und Kopfjäger? Ohne die vielen – streicheln Dackel, sammeln Briefmarken, (…) helfen auch mal bei ner Reifenpanne – netten Leute? Die ES ermöglichen. ES, dem jedes Volk nur ein Imperativ, eine Gehorchform ist. ES, das weiß: Der Staat ist groß, wir sind die Seinen. Und seine Ja-Schulen pauken ES ein: Die Mechanismen sind schuld, die Computer …, nicht die Personen. Doch in den Gesichtern – Soziologie der Anschauung – steht ES geschrieben: Die Menschen sind des Menschen Tod.«
Dieses Buch endlich zu lesen, dafür ist es nie zu früh und nur für jene zu spät, bei denen die Provinz den Kopf erreicht hat. Das Buch hat 666 Seiten, man kann auf Seite 302 anfangen oder auch die Seite 27 zuerst lesen. Jede Seite funkelt! »Verklemmte lachen nicht. Sie licheln. Wenn’s hochkommt, schaffen sie ein Löcheln.« Der »Sauwald« seiner Prosa hat sein Wachstum abgeschlossen und sollte tunlichst nicht nur beblättert, sondern gelesen werden, auch in Salzburg, Passau, Freilassing, Bad Reichenhall, Regensburg, aber auch in Mönchengladbach und Krefeld – den Niederrhein nicht zu vergessen und natürlich auch in Restrostdeutschland! Lesende WienerinnenWiener dürften bald begreifen wie schal ihr »Schmäh« gegenüber diesem Buch ist! »Unsa Schtaat isw a grouße Pyramidn. Und wea ganz drobn drin sein wui, dea muaß an kloan spitzn Kopf ham.«
LeserinLeser, machen sie der BuchhändlerinBuchhändler Ihres Vertrauens und sich selbst eine Freude, lesen Sie mehr Uwe Dick.
Uwe Dick, Sauwaldprosa, fadengehefteter Pappband, 666 S., 50 €.