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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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»La Fiamma«

Mini­ma­li­sti­sche Insze­nie­run­gen hat man eigent­lich schon satt. Die Per­so­na­ge trägt Gegen­warts­klei­dung, egal um wel­che Epo­che es geht. Requi­si­ten kom­men kaum noch vor. Hin­wei­se auf histo­ri­sche Kon­tex­te unterbleiben.

Eben­so stat­tet Regis­seur Chri­stof Loy mit sei­nem Team die Tableaus von Otto­ri­no Res­pighis (1879-1936) kolos­sa­ler Oper aus. Sie spielt in einem polier­ten Holz­ka­sten, der den Sän­gern zugleich Raum und Rah­men schafft. Doch zur gro­ßen Über­ra­schung: Gera­de mit die­sen Reduk­tio­nen ist Loy ein über­wäl­ti­gen­des Ergeb­nis gelun­gen. Ohne Kulis­sen drin­gen Hand­lungs­ort, Mosai­ken-Raven­na und der Exar­charts-Palast dem Zuschau­er kaum ins Bewusst­sein. Ledig­lich zwei Hexen­ver­bren­nun­gen sor­gen auf der Büh­ne für Dyna­mik. Die redu­zier­te Aus­stat­tung erlaubt dem Publi­kum hin­ge­gen, das anspruchs­vol­le Anlie­gen von Musik und Opern­li­bret­to kla­rer zu erfassen.

Um 700 wird Raven­na in Ita­li­en noch als byzan­ti­ni­sche Exkla­ve von Kon­stan­ti­no­pel aus regiert. Vor die­sem Hin­ter­grund läuft eine ver­wickel­te Hand­lung ab, die aus ver­schie­de­nen Epo­chen­ein­blicken zusam­men­ge­setzt ist. In den Über­ti­teln kann sie mit­ge­le­sen wer­den. Ihr Schöp­fer ist der Dra­ma­ti­ker und Libret­tist Clau­dio Guastalla.

Was ist aber an der Oper so span­nend? Zunächst der Titel »La Fiam­ma«, »Die Flam­me«. Am Ende des ersten Aktes tritt sie schon auf. Am Büh­nen­ho­ri­zont ist eine Rei­he flam­men­ar­tig zün­geln­der Glüh­bir­nen auf­ge­steckt. Dahin­ter brau­en sich gewal­ti­ge Rauch­wol­ken zusam­men. Beju­belt vom Volk, wird die als Hexe über­führ­te Agne­se di Cer­via verbrannt.

Am Ende des drit­ten Aktes kommt es zur zwei­ten Hexen­ver­bren­nung, dies­mal nur mit stür­mi­schen Rauch­wol­ken, ohne sicht­ba­re Flam­me. Dort­hin­ein läuft die Prot­ago­ni­stin Sil­va­na, auch sie ver­brennt. Zunächst ver­mu­tet man, das Anlie­gen rich­tet sich gegen Hexen­ver­bren­nun­gen wäh­rend der Inqui­si­ti­on. Doch dem Künst­ler Res­pighi geht es um ein ande­res gro­ßes Mensch­heits­dra­ma: uner­füll­ba­re Lie­be. Dafür setzt er als Meta­pher die Flam­me. Sie ist unlösch­bar, bis die von ihrer Lie­be ent­zün­de­te Sil­va­na dar­in selbst ver­brennt. Als Frau fühlt sie sich in die extrem­ste Außen­sei­ter­rol­le gedrängt. Plötz­li­che Ver­lust­schmer­zen ber­sten in ihrem Inne­ren. Die Flam­me, die lodern­de Unru­he, das Leuch­ten und Selbst­zer­stö­re­ri­sche ver­bo­te­ner Lie­be. Sil­va­na fin­det kei­nen Aus­weg mehr im Leben. Ihre uner­füll­ba­re Lie­be wird hier am Bei­spiel des Stief­mut­ter-Stief­sohn-Kon­flikts auf­ge­baut. Euri­pi­des, Dan­te, Shake­speare und Goe­the haben ihre Tra­gik gestal­tet und sie in die Welt­li­te­ra­tur entlassen.

Im ersten Akt sin­gen sticken­de Mäg­de die end­lo­se Lan­ge­wei­le bei Hof. In gleich­mä­ßi­gen Syn­ko­pen und mit Ele­men­ten der Pen­ta­to­nik ent­steht byzan­ti­ni­sche Matrix­struk­tur. Zugleich schreit Sil­va­na, orche­stral dra­ma­tisch gestei­gert, der Vor­ste­he­rin Eudo­s­sia ihren Pro­test ent­ge­gen. Die jun­ge Frau ist von ihrer armen Mut­ter an den Exar­chen, qua­si einen König, ver­kup­pelt wor­den. An der Sei­te die­ses alten Man­nes hat sich in ihre See­le das Elend ein­ge­ni­stet. Am Ende des Aktes wird die als Hexe ver­ur­teil­te Agne­se di Cer­via, orche­stral unter­stützt von einer hyste­ri­schen Volks­men­ge, der Lynch­ju­stiz aus­ge­lie­fert und ver­brannt. Das ist der erste Hin­weis auf den Tod Silvanas.

Im zwei­ten Akt ver­än­dert sich Sil­va­nas Lage grund­sätz­lich. Als ihr Stief­sohn, der jun­ge Donel­lo, in Raven­na ein­trifft, fal­len bei­de in Lie­be zuein­an­der. Zwi­schen engen Palast­wän­den ent­steht eine stei­le Lie­bes­be­zie­hung. Ihr gro­ßer Zau­ber liegt auch in der Stim­me des Lieb­ha­bers Donel­lo, beglei­tet von zärt­li­chen Kla­ri­net­ten­tö­nen und zwan­zig Geigen.

Im drit­ten Akt beglei­tet hin­schmel­zen­de Orche­ster­mu­sik das Auf und Ab der kör­per­li­chen Ver­ei­ni­gung Sil­va­nas mit Donel­lo. Sie baut sich orche­stral in schwei­fen­den Vibra­tio­nen und sinn­li­cher Tie­fe auf. Wie die bei­den sich begeg­nen und im Lie­bes­akt zuein­an­der fin­den, das endet mit einem Pau­ken­schlag und läuft ton­los aus. Das Orche­ster ver­stummt. Erst danach sin­gen die bei­den im Duett. Nach einer Wei­le ändert sich des­sen Duk­tus. Donel­lo ist abrupt vom schlech­ten Gewis­sen gegen­über sei­nem Vater erfasst wor­den. Er löst sich ruck­ar­tig aus der Umar­mung und läuft weg. Die Musik beglei­tet die­se Tren­nung mit schar­fen per­kus­si­ven Tönen. Trom­meln und gezupf­te Sai­ten erzeug­ten Pizzikatos.

Sil­va­na befrem­det Donel­los Abwen­dung von ihr. Sie sei bereit zu ster­ben, um bei ihm zu blei­ben. Die­se Wen­dung singt sie nüch­tern wie ein Rezi­ta­tiv im Ton­vo­ka­bu­lar Mon­te­ver­dis. Damit deu­tet sich in Wort und Gesang die ver­lo­re­ne Lie­be an. Ehe­bruch und Tod ihres Man­nes, der am Herz­in­farkt stirbt, wer­den Sil­va­na als Hexe­rei vor­ge­wor­fen. Auf ein­mal ist sie von allen iso­liert. Auch sie wird – nach einem Pro­zess – ver­brannt, wegen ihrer ehe­brü­chi­gen als ver­hext gedeu­te­ten Lie­be zu Donel­lo, auch die­ser Beschluss wird vom Volk beju­belt. Sie läuft in die Flam­me und ver­brennt. Res­pighio redet mit sei­ner Musik. Am Ende war das Publi­kum auf­ge­wühlt. Der Bei­fall frenetisch.

Her­vor­zu­he­ben ist der hohe Anspruch an Diri­gen­ten, Orche­ster, Sän­ger und Chö­re, der die­se Oper nur in gro­ßen Opern­häu­sern auf­führ­bar macht. Wes­we­gen sie in die Kate­go­rie der »Ope­ra Rara« ver­wie­sen ist. Car­lo Riz­zi, den Diri­gen­ten und künst­le­ri­schen Direk­tor die­ser vir­tu­el­len Insti­tu­ti­on, rei­zen Neu­ent­deckun­gen alter und ver­ges­se­ner Musi­ken, die außer­halb des Opern-Kanons ste­hen. Er liebt es, mit dem gesam­ten Orche­ster, jedem Instru­men­ta­li­sten und Sän­ger Ent­deckungs­rei­sen in Abgrün­de des Unbe­kann­ten zu wagen, damit allen Betei­lig­ten, auch dem Publi­kum, gänz­lich neue Her­an­ge­hens­wei­sen an Wer­ke zu ver­mit­teln, die kaum jemand kennt. Denn das Orche­ster umfasst allein hun­dert­zwan­zig Instru­men­ta­li­sten, mit zwei­und­acht­zig Sän­gern besetz­te zwei Chö­re sowie den Kin­der­chor der Deut­schen Oper. Die Musik als Aben­teu­er, dar­auf besteht Car­lo Rizzi.

Mit »La Fiam­ma«, sei­ner letz­ten Oper, hat­te Otto­ri­no Res­pighi »Il Melo­d­ram­ma ita­lia­no« längst aus dem 19. Jahr­hun­dert her­aus­ge­führt und im frü­hen 20. Jahr­hun­dert neu belebt. Denn der viel­sei­ti­ge Bolo­gne­ser Kom­po­nist bestieg die Büh­ne der musi­ka­li­schen Welt zum Zeit­punkt des Histo­ris­mus, so dass er über musi­ka­li­sche Sti­le aller Zei­ten frei ver­fü­gen konn­te. In dem »Mani­festo di musi­cis­ti ita­lia­ni per la tra­di­zio­ne dell’arte roman­ti­ca dell’800« lehnt er moder­ne Musik von vorn­her­ein ab. Der Neu­klas­si­zis­mus war sein Stil. Er lieb­te Gre­go­ria­nik, Pen­ta­to­nik, Mon­te­ver­di und den ita­lie­ni­schen Barock. In die­sen Sti­len kom­po­nier­te er oder füg­te sie ein. La Fiam­ma ist ein Monu­men­tal­kunst­werk, das in die Zeit des euro­päi­schen Neu­klas­si­zis­mus fällt. Beni­to Mus­so­li­ni hat­te das bis dahin pri­va­te Teat­ro Rea­le dell’Opera di Roma 1928 neu aus­stat­ten las­sen und zur Staats-Oper erho­ben. Auch war der Mini­ster­prä­si­dent von Res­pighis Sym­pho­ni­schen Dich­tun­gen, u. a. der »Tri­lo­gia roma­na« ein­ge­nom­men. Des­we­gen hat die Urauf­füh­rung von »La Fiam­ma« am 23.1.1934 auch in sei­ner Gegen­wart statt­ge­fun­den. Schon vor­her ist der Kom­po­nist als »Acca­de­mico d’Italia« mit der höch­sten Staats­aus­zeich­nung geehrt worden.

Hier ist auf den ver­brei­te­ten Irr­tum hin­zu­wei­sen, dass Kunst­wer­ke, die sti­li­stisch dem euro­päi­schen Neu­klas­si­zis­mus fol­gen, sei­en es sol­che der Archi­tek­tur, Male­rei oder Musik, oft in die Nähe faschi­sti­scher Ideo­lo­gie gestellt wer­den. Res­pighi hat die­sen in ganz Euro­pa ver­brei­te­ten Stil, einen Aus­läu­fer des Histo­ris­mus, benutzt, sich aber nie zur offi­zi­el­len Ideo­lo­gie bekannt. Für ihn war das Fas­zi­no­sum: Kunst steht mit sich selbst im Dialog.

Pre­mie­re war am 29. 9.2024 in der Deut­schen Oper an der Bismarckstraße.