Minimalistische Inszenierungen hat man eigentlich schon satt. Die Personage trägt Gegenwartskleidung, egal um welche Epoche es geht. Requisiten kommen kaum noch vor. Hinweise auf historische Kontexte unterbleiben.
Ebenso stattet Regisseur Christof Loy mit seinem Team die Tableaus von Ottorino Respighis (1879-1936) kolossaler Oper aus. Sie spielt in einem polierten Holzkasten, der den Sängern zugleich Raum und Rahmen schafft. Doch zur großen Überraschung: Gerade mit diesen Reduktionen ist Loy ein überwältigendes Ergebnis gelungen. Ohne Kulissen dringen Handlungsort, Mosaiken-Ravenna und der Exarcharts-Palast dem Zuschauer kaum ins Bewusstsein. Lediglich zwei Hexenverbrennungen sorgen auf der Bühne für Dynamik. Die reduzierte Ausstattung erlaubt dem Publikum hingegen, das anspruchsvolle Anliegen von Musik und Opernlibretto klarer zu erfassen.
Um 700 wird Ravenna in Italien noch als byzantinische Exklave von Konstantinopel aus regiert. Vor diesem Hintergrund läuft eine verwickelte Handlung ab, die aus verschiedenen Epocheneinblicken zusammengesetzt ist. In den Übertiteln kann sie mitgelesen werden. Ihr Schöpfer ist der Dramatiker und Librettist Claudio Guastalla.
Was ist aber an der Oper so spannend? Zunächst der Titel »La Fiamma«, »Die Flamme«. Am Ende des ersten Aktes tritt sie schon auf. Am Bühnenhorizont ist eine Reihe flammenartig züngelnder Glühbirnen aufgesteckt. Dahinter brauen sich gewaltige Rauchwolken zusammen. Bejubelt vom Volk, wird die als Hexe überführte Agnese di Cervia verbrannt.
Am Ende des dritten Aktes kommt es zur zweiten Hexenverbrennung, diesmal nur mit stürmischen Rauchwolken, ohne sichtbare Flamme. Dorthinein läuft die Protagonistin Silvana, auch sie verbrennt. Zunächst vermutet man, das Anliegen richtet sich gegen Hexenverbrennungen während der Inquisition. Doch dem Künstler Respighi geht es um ein anderes großes Menschheitsdrama: unerfüllbare Liebe. Dafür setzt er als Metapher die Flamme. Sie ist unlöschbar, bis die von ihrer Liebe entzündete Silvana darin selbst verbrennt. Als Frau fühlt sie sich in die extremste Außenseiterrolle gedrängt. Plötzliche Verlustschmerzen bersten in ihrem Inneren. Die Flamme, die lodernde Unruhe, das Leuchten und Selbstzerstörerische verbotener Liebe. Silvana findet keinen Ausweg mehr im Leben. Ihre unerfüllbare Liebe wird hier am Beispiel des Stiefmutter-Stiefsohn-Konflikts aufgebaut. Euripides, Dante, Shakespeare und Goethe haben ihre Tragik gestaltet und sie in die Weltliteratur entlassen.
Im ersten Akt singen stickende Mägde die endlose Langeweile bei Hof. In gleichmäßigen Synkopen und mit Elementen der Pentatonik entsteht byzantinische Matrixstruktur. Zugleich schreit Silvana, orchestral dramatisch gesteigert, der Vorsteherin Eudossia ihren Protest entgegen. Die junge Frau ist von ihrer armen Mutter an den Exarchen, quasi einen König, verkuppelt worden. An der Seite dieses alten Mannes hat sich in ihre Seele das Elend eingenistet. Am Ende des Aktes wird die als Hexe verurteilte Agnese di Cervia, orchestral unterstützt von einer hysterischen Volksmenge, der Lynchjustiz ausgeliefert und verbrannt. Das ist der erste Hinweis auf den Tod Silvanas.
Im zweiten Akt verändert sich Silvanas Lage grundsätzlich. Als ihr Stiefsohn, der junge Donello, in Ravenna eintrifft, fallen beide in Liebe zueinander. Zwischen engen Palastwänden entsteht eine steile Liebesbeziehung. Ihr großer Zauber liegt auch in der Stimme des Liebhabers Donello, begleitet von zärtlichen Klarinettentönen und zwanzig Geigen.
Im dritten Akt begleitet hinschmelzende Orchestermusik das Auf und Ab der körperlichen Vereinigung Silvanas mit Donello. Sie baut sich orchestral in schweifenden Vibrationen und sinnlicher Tiefe auf. Wie die beiden sich begegnen und im Liebesakt zueinander finden, das endet mit einem Paukenschlag und läuft tonlos aus. Das Orchester verstummt. Erst danach singen die beiden im Duett. Nach einer Weile ändert sich dessen Duktus. Donello ist abrupt vom schlechten Gewissen gegenüber seinem Vater erfasst worden. Er löst sich ruckartig aus der Umarmung und läuft weg. Die Musik begleitet diese Trennung mit scharfen perkussiven Tönen. Trommeln und gezupfte Saiten erzeugten Pizzikatos.
Silvana befremdet Donellos Abwendung von ihr. Sie sei bereit zu sterben, um bei ihm zu bleiben. Diese Wendung singt sie nüchtern wie ein Rezitativ im Tonvokabular Monteverdis. Damit deutet sich in Wort und Gesang die verlorene Liebe an. Ehebruch und Tod ihres Mannes, der am Herzinfarkt stirbt, werden Silvana als Hexerei vorgeworfen. Auf einmal ist sie von allen isoliert. Auch sie wird – nach einem Prozess – verbrannt, wegen ihrer ehebrüchigen als verhext gedeuteten Liebe zu Donello, auch dieser Beschluss wird vom Volk bejubelt. Sie läuft in die Flamme und verbrennt. Respighio redet mit seiner Musik. Am Ende war das Publikum aufgewühlt. Der Beifall frenetisch.
Hervorzuheben ist der hohe Anspruch an Dirigenten, Orchester, Sänger und Chöre, der diese Oper nur in großen Opernhäusern aufführbar macht. Weswegen sie in die Kategorie der »Opera Rara« verwiesen ist. Carlo Rizzi, den Dirigenten und künstlerischen Direktor dieser virtuellen Institution, reizen Neuentdeckungen alter und vergessener Musiken, die außerhalb des Opern-Kanons stehen. Er liebt es, mit dem gesamten Orchester, jedem Instrumentalisten und Sänger Entdeckungsreisen in Abgründe des Unbekannten zu wagen, damit allen Beteiligten, auch dem Publikum, gänzlich neue Herangehensweisen an Werke zu vermitteln, die kaum jemand kennt. Denn das Orchester umfasst allein hundertzwanzig Instrumentalisten, mit zweiundachtzig Sängern besetzte zwei Chöre sowie den Kinderchor der Deutschen Oper. Die Musik als Abenteuer, darauf besteht Carlo Rizzi.
Mit »La Fiamma«, seiner letzten Oper, hatte Ottorino Respighi »Il Melodramma italiano« längst aus dem 19. Jahrhundert herausgeführt und im frühen 20. Jahrhundert neu belebt. Denn der vielseitige Bologneser Komponist bestieg die Bühne der musikalischen Welt zum Zeitpunkt des Historismus, so dass er über musikalische Stile aller Zeiten frei verfügen konnte. In dem »Manifesto di musicisti italiani per la tradizione dell’arte romantica dell’800« lehnt er moderne Musik von vornherein ab. Der Neuklassizismus war sein Stil. Er liebte Gregorianik, Pentatonik, Monteverdi und den italienischen Barock. In diesen Stilen komponierte er oder fügte sie ein. La Fiamma ist ein Monumentalkunstwerk, das in die Zeit des europäischen Neuklassizismus fällt. Benito Mussolini hatte das bis dahin private Teatro Reale dell’Opera di Roma 1928 neu ausstatten lassen und zur Staats-Oper erhoben. Auch war der Ministerpräsident von Respighis Symphonischen Dichtungen, u. a. der »Trilogia romana« eingenommen. Deswegen hat die Uraufführung von »La Fiamma« am 23.1.1934 auch in seiner Gegenwart stattgefunden. Schon vorher ist der Komponist als »Accademico d’Italia« mit der höchsten Staatsauszeichnung geehrt worden.
Hier ist auf den verbreiteten Irrtum hinzuweisen, dass Kunstwerke, die stilistisch dem europäischen Neuklassizismus folgen, seien es solche der Architektur, Malerei oder Musik, oft in die Nähe faschistischer Ideologie gestellt werden. Respighi hat diesen in ganz Europa verbreiteten Stil, einen Ausläufer des Historismus, benutzt, sich aber nie zur offiziellen Ideologie bekannt. Für ihn war das Faszinosum: Kunst steht mit sich selbst im Dialog.
Premiere war am 29. 9.2024 in der Deutschen Oper an der Bismarckstraße.