Kunst und Kommerz – was ist schlimm daran? Künstler müssen schließlich auch leben, egal in welchen Gesellschaftsverhältnissen. Dem Mitteldeutschen Verlag Halle kommt nun das Verdienst zu, wieder ein Stück DDR-Geschichte an die Öffentlichkeit gebracht zu haben. Unter dem Titel »Der Staatliche Kunsthandel in der DDR – Ein Kunstmarkt mit Plan?« hat er die Dissertation der seit 2004 freiberuflichen Hallenser Publizistin und Kuratorin Christin Müller-Wenzel veröffentlicht. Was vom Thema her erst einmal etwas despektierlich anmutet, entpuppt sich durchaus als eine positive Aufrechnung. »Plan« bezieht sich in dieser Arbeit einmal auf die Verkaufserfolge, besonders auch im NSW (Nichtsozialistisches Wirtschaftsgebiet). Da sieht die Bilanz am Ende der nicht ganz stetigen Entwicklung von 1955, als der Kunsthandel noch über die HO (Handelsorganisation) ging, bis 1990, als er in die ihn abwickelnde, von 1990 bis 1993 bestehende Art-Union GmbH überging, glänzend aus. Davon profitierten die Künstler besonders ab 1974 mit Gründung des VEH Bildende Kunst und Antiquitäten. 1989 zählte der Verband Bildender Künstler der DDR etwa 6000 Mitglieder. Aber es ging nicht nur darum, ihnen ihre Arbeit frei von finanziellen Zwängen zu ermöglichen. Der Pferdefuß waren ideologische Zwänge, welche sich pauschal mit dem Begriff »Sozialistischer Realismus« auf einen Nenner bringen lassen.
Es soll hier einmal nur von der bildenden Kunst die Rede sein, nicht auch von Antiquitäten, Numismatik. Philatelie, Volkskunst, Kunstgewerbe und anderem, was durch die Hände des Staatlichen Kunsthandels ging und in der Dissertation ebenso untersucht wird. Die bildende Kunst hatte einen Erziehungs- und Bildungsauftrag zu erfüllen, dem nicht jeder Künstler, aber auch nicht jeder Leiter einer Galerie beziehungsweise Verkaufsstelle des Staatlichen Kunsthandels gerecht werden wollte. Da kam es bei manchen zumeist kenntnisreichen Akteuren zu Konflikten, wenn ihnen nicht der Spagat gelang zwischen ihren eigenen, durch Qualitätsmaßstäbe geprägten Kunstinteressen und den durch das Ministerium für Kultur und den Verband bildender Künstler vorgegebenen sowie vom Ministerium für Staatssicherheit überwachten inhaltlichen sowie formalen Anforderungen an die Kunst. Es kam zu äußerst bedauerlichen Vorgängen, wie Entlassungen, Schließungen von Ausstellungen und Verweigerungen von Katalogtexten. Prominentes Beispiel bietet die Galerie Arkade in Berlin unter Leitung von Klaus Werner (1940-2010). Die Autorin spart das nicht aus, muss aber immer wieder feststellen, dass sich Akteure der über das ganze Land verstreuten Einrichtungen trickreich Freiräume verschafften. Zwar übten auch die Bezirke Kontrolle aus, aber der Hauptdruck lag auf den Verkaufsstellen in den großen Städten. Ein zweiter Spagat war nötig, um die Verkaufspläne zu erfüllen. Für innovative und experimentelle Kunst gibt es auch heute nicht so viele Interessenten wie für gefällige Werke, mit denen man die häuslichen Wände schmücken kann. Es mussten also in den Verkaufs-, Auktions- und Ausstellungsprogrammen Zugeständnisse gemacht werden, um beide Leistungen akrobatisch zu meistern.
Die Dissertation beleuchtet das Thema Staatlicher Kunsthandel von allen Seiten, angefangen von seinen Vorläufereinrichtungen, den Verkaufsgenossenschaften bildender Künstler und den staatlicherseits misstrauisch beäugten, mindestens 43 privaten Galerien über die Kleinen Galerien des Kulturbunds bis hin zu Schließungen und Privatisierungen nach 1990. Sie liefert, wie man das von einem Kompendium – so der Untertitel – erwartet, reichlich statistisches Material aus Quellen- und Literaturstudium. Auch Zeitzeugen wurden befragt. Zum Schluss gewinnt der Leser das Bild eines vielfältigen, reichen Kulturlebens in der DDR, das durch Ausstellungen, Auktionen, Lesungen, Diskussionen, kunstwissenschaftlich fundierte Publikationen und die Möglichkeiten kostengünstigen Kunsterwerbs eine breite Massen von Menschen erreicht hat: Schüler, Studenten, Werktätige in den Betrieben, Intellektuelle, Künstler.
Von Anfang an waren fast all die Künstler dabei, die sich um den Sozialistischen Realismus nicht scherten und besonders in den 60er Jahren unter der Formalismus-Debatte zu leiden hatten, so die alte Generation, wie Albert Wigand, Willy Wolff, Hermann Glöckner, Hans Jüchser, Albert Ebert, die mittlere Generation, wie Gerhard Altenbourg, Carlfriedrich Claus und Max Uhlig, sowie viele junge, damals noch namenlose Künstler, die sowieso machten, was sie wollten, und immer wieder individuell neue gestalterische und inhaltliche Akzente setzten. Mancher Kunsthändler und Galerist half sich, indem er sie in Gruppenpräsentationen schmuggelte. Jede der 42 bis 1989 entstandenen Galerien der Gegenwartskunst des Staatlichen Kunsthandels entwickelte, so geht es aus der Dissertation hervor, ihr individuelles Profil und Niveau.
Eine zweite Erkenntnis aus diesem Kompendium sollten die Scharfmacher aus dem westlichen Teil unserer Bundesrepublik in ihre Köpfe hineinlassen, nämlich diejenigen, die schon zu Zeiten des Kalten Krieges behaupteten und nach 1990 noch einmal in Siegermanier bekräftigten, im Osten hätte es keine Kunst gegeben. Eine zweite Seite des Staatlichen Kunsthandels machte nämlich ausgerechnet mit dieser »Nicht-Kunst«, zu deren Vertretern neben Altenbourg und Claus auch die sogenannten Staatskünstler Willi Sitte, Bernhard Heisig, Werner Tübke und Wolfgang Mattheuer gehörten, harte Devisen. Gleichzeitig versuchte die DDR damit, so Müller-Wenzel in der Einführung, im NSW »das Bild einer freien und qualitativ hochentwickelten sozialistischen Kunst zu vermitteln«. Beides ist offensichtlich zumindest partiell gelungen, was zum Beispiel die Ankäufe und Präsentationen von in der DDR entstandener Kunst beweisen, etwa durch den Trumpf-Schokoladenfabrikanten Peter Ludwig (1925-1996) in Aachen, der in den 70er, 80er Jahren, so ist bei Müller-Wenzel zu lesen, mehrere hundert Arbeiten von 264 Künstlern, darunter Altenbourg und Uhlig genauso wie etwa Heisig und Tübke, erworben hat, den Galeristen Dieter Brusberg (1935-2015) in Hannover, später Berlin, die Galerie Döbele in Ravensburg, später Stuttgart und von 1995 bis 2019 Dresden, und die Galerie Alvensleben in München.
Die fleißig zusammengetragenen Fakten bieten als Kompendium eine Bereicherung in der Kunstgeschichtsschreibung der DDR. Allerdings darf die an der Universität Marburg entstandene Dissertation nicht unkritisch gelesen werden. Davon abgesehen, dass geschickt satzweise verteilte und nicht als Zitat gekennzeichnete wortwörtliche Abschriften zu finden sind, wird auch ungeprüft auf Literatur zugegriffen, die bereits in vielen Teilen widerlegt ist, etwa auf das Buch von Offner/Schroeder, »Eingegrenzt – Ausgegrenzt. Bildende Kunst und Parteiherrschaft in der DDR 1961-1989«. Andererseits fehlen wirklich wichtige, das Thema betreffende Arbeiten, wie die öffentlich zugängliche Dissertation von Sabine Tauscher, »Zwischen Ideologie und Kommerz. Der Kunstmarkt der DDR am Beispiel der Gegenwartskunst des Staatlichen Kunsthandels 1974-1990«.
So penibel auch der Anmerkungsapparat ist, gibt es aus der Lamäng heraus einfach falsche Behauptungen. Die Trumpf-Produkte waren in den 80er Jahren in der DDR eben nicht nur im Intershop erhältlich, sondern auch in gewöhnlichen Kaufhallen (S. 529), und wenn die Autorin unter dem Siegel der Wahrheit kundtut, dass Michael Morgner und Max Uhlig keine Ausreisegenehmigungen für den Besuch ihrer eigenen Ausstellungseröffnungen im Westen erhielten, »weil dem Staatlichen Kunsthandel damit die Möglichkeit gegeben wurde, Druck auf die Künstlerschaft auszuüben und diese einzuschüchtern« (S. 529), so kann ich zumindest für Max Uhlig beweisen, dass das schlichtweg nicht stimmt. Der Dresdner Künstler gehörte nämlich zu den vielen Berufskollegen, die zumindest ab den 80er Jahren eine intensive Reisetätigkeit in den »Westen« pflegten. In einem mir vorliegenden Brief an Lothar Lang schreibt Uhlig am 17.IX.87: »Ich arbeite für ein paar Wochen in Schleswig-Holstein (bin ab 5.X. wieder in Dresden erreichbar, allerdings nur einige Tage, weil ich dann in München in einer guten Galerie meine Malereiausstellung zu hängen habe).«