Nach coronabedingter Abstinenz ist es wieder möglich, unter den bekannten Auflagen Kunstausstellungen zu besuchen und lange vermisste Freunde wiederzusehen. So gab es ein unerwartetes, freudiges Treffen mit Ronald Paris im Schloss Biesdorf. Dort kann man seine Ausstellung »Bilder vom Sein« genießen. Eine großzügige Hängung erlaubt dem Besucher, die Kunstwerke ausgiebig zu betrachten. Arbeiten aus sechs Jahrzehnten umfasst die Ausstellung dieses herausragenden Malers und Graphikers; sein Lebenswerk besteht aus Gemälden, Graphiken, Zeichnungen, Glasmalereien und Gobelins sowie baugebundener Kunst; nur ein kleiner Teil davon kann gezeigt werden.
Ronald Paris ist vielseitig interessiert. Im Mittelpunkt seines Werkes steht der Mensch »mit seinen Taten, seinem Schrei, seinem Schmerz, dem Suchen und Hoffen«, wie die Kunstwissenschaftlerin Gerlinde Förster im Katalog formulierte. Faszinierend ist sein Erlebnis der Landschaft. Expressiv, in kräftigen Farben gibt er seine Eindrücke wieder. Zu seinen bevorzugten Zielen gehören die Länder im Mittelmeerraum. Die in kalten Farben gehaltene irländische Landschaft »Bere Island« steht den in warmen, kräftigen Farben gemalten Paysagen südländischer Gebiete gegenüber. Sein großformatiges Bild »Flamenco Andaluz« überträgt die Leidenschaft, das Temperament der Tänzer auf den Betrachter. Seinen meisterhaften Bildnissen gingen viele Skizzen voraus, um das Wesen der Porträtierten zu erfassen: Hanns Eisler, Heiner Müller, Inge Keller und andere.
Gestalten und Ereignisse aus der Mythologie sind für ihn zeitlos, von großer Aussagekraft auch für heute. »Die Schändung des Marsyas« zeigt die unvorstellbare Grausamkeit, zu der Menschen fähig sind. Ronald Paris mischt sich ein, bezieht Stellung – mit seinem Diptychon »Jüdisches Requiem – zu Isaak Babel: Die drei Welten«, mit seinem Gemälde »Charons Boote«, das dem Flüchtlingssterben auf dem Mittelmeer gewidmet ist, und anderen. Sehr bekannt sind seine monumentalen Bilder, darunter »Unser die Welt – trotz alledem«, gemalt für den abgerissenen Palast der Republik (eine Vorarbeit für dieses Werk ist in der Biesdorfer Ausstellung zu sehen), oder sein großes Wandbild »Triumph des Todes, Triumph des Lebens« im Foyer des Theaters in Schwedt. Der Kunstwissenschaftler Peter H. Feist nannte Paris »einen Bewahrer und Veränderer«. Der Besuch der Ausstellung bestätigt diese Erkenntnis.
Ins Café Mahlsdorf führte uns eine Ausstellung mit Gemälden des Letschiner Malers Harald K. Schulze, eine kleine Werkschau besonderer Art. Er war in der DDR Meisterschüler bei Walter Womacka und hatte gemeinsam mit dem Maler Clemens Gröszer und dem Bildhauer Rolf Biebl die Gruppe »Neon real« gegründet. Heute ist er Mitglied der Künstlergemeinschaft »Kg 849«, zu der elf Künstler vornehmlich aus dem südöstlichen Brandenburg gehören. Der kleine Raum des Cafés erlaubt nur sieben Gemälde. In zweien der Bilder taucht ein Clown als Metapher auf, der Antoine Watteaus Pierrot »Gilles« entlehnt ist: traurig, in starrer Haltung. Surrealistische Mittel nutzt er auch in seiner Arbeit »Nachtstadt II«. Die schöne Welt des Scheins wird bildhaft gemacht, alles glitzert. Erschreckend werden die Brutalität und Oberflächlichkeit vergnügungs- und drogensüchtiger Nachtschwärmer dargestellt. Ein Girl, gemalt als lebensgroße, blankpolierte, exakt geschminkte, hübsche Puppe auf einer Harley Davidson, posiert auf dem Gemälde »Harley-Braut«. Harald K. Schulze beherrscht sein malerisches Handwerk brillant; seine Kunst ist kritisch und voller Ironie. Wie vor veristischen Bildern von Otto Dix wird der Betrachter zwischen Bewunderung und Ablehnung hin- und hergerissen. Zum Kunstgenuss kann in diesem Café auch ein kulinarischer Genuss kommen.
Ein besonderes Erlebnis bietet die Exposition mit Gemälden des Malers Johannes Heisig auf Schloss Ribbeck im Havelland. Ein »Selbstporträt als Maler« empfängt den Besucher am Eingang, ein Bild voller kritischer Selbstbefragung, der Kopf mehrfach gespiegelt im Hintergrund. Ab 1980 hatte Johannes Heisig an der Hochschule für Bildende Künste in Dresden gelehrt und wurde schließlich als 27-Jähriger der jüngste Rektor der traditionsreichen Einrichtung. Die bedrückende Atmosphäre nach der »Wende«, die für viele katastrophale Veränderungen brachte, veranlasste ihn, 1991 sein Amt niederzulegen. Seitdem ist er freischaffend, lehrt jedoch nach wie vor an anderen Institutionen und lebt heute in Teetz bei Kyritz.
Seine Liebe zur Natur zeigt sich in prächtigen Stillleben und einfühlsam gemalten Landschaften. Ein Teil der Ausstellung hängt leider in einem schlecht beleuchteten Flur. Dennoch strahlen die Bilder ihre Kraft aus; sie sind furios gemalt. Sein Gemälde »Herbstfeuer« fällt besonders auf. Es stellt den Künstler mit seiner Lebensgefährtin dar. Beschützend halten sie sich an den Händen; im Hintergrund ein loderndes, alles überstrahlendes Herbstfeuer: ein doppeldeutiges Werk. Kleinformatige, schonungslos gemalte »Selbstbetrachtungen« verweisen auf das Suchen nach Selbsterkenntnis. 2020 entstand seine Arbeit »Osterlauf«; ein Mädchen mit Kopfhörern läuft durch einen frühlingshaften, lichtdurchfluteten Wald.
Fragen nach Vergangenheit und Gegenwart, Erinnerungen und das Aufspüren von Lösungen bestimmen viele Bildideen. Der Betrachter wird gefordert, das simultan Dargestellte zu ergründen. In seinem großartigen Gemälde »Waterloo Sunset« herrschen Chaos und Untergang, sehr konkret bezogen auf die Welt, in der wir jetzt leben; der Himmel brennt, eine schreiende Frau fällt auf – und man entdeckt ein sensibel, beinahe romantisch erfasstes Liebespaar als ein Zeichen für die Bewahrung von Menschlichkeit in einer wirren Zeit. Dieses und andere Bilder sind Werke eines Künstlers, der sich nicht zufriedengibt, der nicht müde wird, Missstände aufzudecken, der dem Meer von Beliebigkeiten und Dilettantismen in der aktuellen Kunstszene meisterhaftes Können und geistigen Anspruch entgegensetzt.
Ronald Paris: »Bilder vom Sein. Arbeiten aus sechs Jahrzehnten«, bis 14.8.2020, Schloss Biesdorf, Alt-Biesdorf 55, 12683 Berlin, geöffnet 10-18 Uhr, freitags 12-21 Uhr, dienstags geschlossen. Café Mahlsdorf: Bilder von Harald K. Schulze, bis 31.7.2020, Hönower Straße 65, 12623 Berlin, donnerstags bis sonntags 10-17 Uhr. Johannes Heisig, Malerei, bis 22.8.2020, Schlossgalerie, Schloss Ribbeck GmbH, Theodor-Fontane-Straße 10, 14641 Nauen OT Ribbeck, mittwochs bis sonntags 11-17 Uhr. Bei allen drei Ausstellungen ist der Eintritt frei.