Thomas Metscher, angesehener Philosoph und Literaturwissenschaftler, widmet sich in seinem neuen Buch der Kunst. Sie sei neben Wissenschaft und Philosophie ein drittes Grundelement des marxistischen Denkens. Von dieser Prämisse ausgehend, bearbeitet der Autor drei thematische Felder: (1.) den allgemeinen Kunstbegriff und die historische Konstitution des ästhetischen Gegenstands; (2.) das Verhältnis von Marxismus und Kunst, Künsten und Kunsttheorie; (3.) offene Fragen wie die des Verhältnisses von Ideologie und ästhetischer Wahrheit.
Der dritte Untersuchungsbereich ist neu und ergänzt die in einer früheren Auflage von 2012 veröffentlichten beiden ersten Kapitel. Diese lassen sich – wie es auch der Untertitel besagt – als »geschichtlicher Entwurf« lesen: Das Konzept umfasst begriffshistorische Erkenntnisse ebenso wie entwicklungsgeschichtliche Beobachtungen. Es versammelt weiterhin die Aussagen von Marx und Engels, um daraus die Konturen der Identität einer marxistischen Kunsttheorie für die Gegenwart und die Zukunft zu entwickeln.
Interessant ist es, zu verfolgen, wie Metscher sich mit dem widersprüchlichen Verhältnis des theoretischen Kunstverständnisses im Marxismus einerseits und dem Klassencharakter von Kunst im Kapitalismus andererseits auseinandersetzt. Bei der Lektüre dieser sehr dicht entwickelten Ausführungen werden gebührende Anstrengungen der Konzentration abverlangt. Umso erfrischender sind jene – viel zu wenigen – Passagen, in denen sich der Autor auf einzelne Beispiele in Bildender Kunst, Literatur und Musik bezieht.
Zu Recht verweist der Verfasser darauf, dass der Klassenkampf eine sprachlich-terminologische Seite hat, die nicht vom Gesamten dieses Kampfes zu trennen ist. U. a. daraus lasse sich ableiten, warum das von ihm an anderer Stelle entwickelte integrative Konzept des Marxismus (siehe »Integrativer Marxismus«, 2017) bisher nicht schon früher sich hat durchzusetzen vermocht. Kunst sei ebenso wie die Sprache nicht nur ambivalent, sondern oft völlig hilflos gegenüber ihrem Missbrauch.
Wie wahr! Schier zum Verzweifeln ist es, wenn wir feststellen müssen, wie Sprache, Bildkunst und Musik in der Leistungsgesellschaft zu Ausbeutungsinstrumenten pervertieren, in der Kommerzgesellschaft zu Marketing-vehikeln, in der Militärgesellschaft zum Feindbildproduzenten, in der Medien- und Kommunikationsgesellschaft zu Instrumenten der Täuschung, in der Hygienegesellschaft zum AHA-Kürzel.
Angesichts solcher Abartigkeiten führt das Buch von Thomas Metscher in dankenswerter und zu bewundernder Weise in die lichte Wirklichkeit der in der Kunst als Hoffnungsträger angelegten Utopie. Diese hat der Autor auch in zwei anderen seiner jüngsten Veröffentlichungen lesenswert ausgestaltet: in den theoretischen Studien mit dem Titel »Ästhetik, Kunst und Kunstprozess« (2013) und in seinen »Pariser Meditationen. Zu einer Ästhetik der Befreiung« (2019).
Thomas Metscher: Kunst. Ein geschichtlicher Entwurf. Zweite, erweiterte Auflage. Kassel: Mangroven Verlag 2020, 248 Seiten, 20 €.