Der kleine Luxus an einem Sommertag: Mit Schreibblock und einem Buch in meinem Lieblingscafé. Ein Stück Käsekuchen, ein Milchkaffee, Zigaretten. Ein paar Seiten lesen, dann die Vorübergehenden beobachten, die Gedanken treiben lassen, vielleicht ein paar Notizen machen und mir Geschichten ausdenken. Wer ist dieser Mann mit dem schicken Button-Down-Hemd und der dunkelroten Second-Hand-Weste, der mit einem kleinen Lächeln durch das Viertel schlendert? Der letzte Flaneur? Ein belesener Lebenskünstler? Und was bedrückt die ältere Frau im langen bunten 70er Jahre-Rock, die mit Blick auf den Boden über die Straße huscht und ihre viel zu warme Strickjacke fest über der Brust zusammenzieht?
Für meine Geschichten brauche ich beobachtete Realität und natürlich Einfühlungsvermögen und Fantasie, aber mir fehlt das Talent, mich literarisch in einen anderen Menschen zu verwandeln. Ich könnte keinen Roman schreiben, in der die Ich-Erzählerin eine schwarze Frau im Rollstuhl ist oder der Ich-Erzähler ein homosexueller Torwart. Zum Beispiel. Doch es gibt Autoren, die dank ihrer besonderen Fantasie und komplexen Wahrnehmung zur Erschaffung einer kulturell fremden Figur, zu einer Verwandlung fähig sind; denen es gelingt, durch diese Figur die Tiefen der menschlichen Seele zu erkunden und eine Resonanz im Metaphorischen zu erreichen. Die Literaturgeschichte beweist es. Gustave Flaubert war nicht Madame Bovary, die Lesbe Patricia Highsmith nicht der Hetero-Mann und Mörder Ripley, Mary Shelley nicht Frankenstein und die britische Schriftstellerin Jojo Moyes nicht der junge Will, der nach einem Motorradunfall querschnittsgelähmt im Rollstuhl sitzt. Und Philip Roth ist nicht der schwarze Professor, der in Der menschliche Makel als vermeintlich weißer Rassist seine Stelle verliert und schmerzhaft begreifen muss, dass er niemals als Weißer leben kann, obwohl er so aussieht. All diese Romanfiguren sind trotzdem glaubwürdig. Und gäbe es sie in der Realität, sie hätten sich wohl nicht so gut beschreiben können, wie ihre literarischen Biographen es konnten. So beweist die Literatur, wie ähnlich wir Menschen einander sind, trotz aller Unterschiede.
Doch solche Spiele mit Identitäten und Verwandlungen sind heute nicht mehr möglich. Wer es tut, macht sich sofort und undiskutierbar der »kulturellen Aneignung« schuldig. Kultur ist zur Kampfzone der bitterernsten »Identitätspolitik« geworden, die dafür sorgen soll, dass die spezifischen Bedürfnisse einer spezifischen Gruppe – Schwarze, Schwule, Transmenschen, Behinderte, also »Unterdrückte« aller Art – wahrgenommen und mit von allen anderen zu beachtenden spezifischen Regeln durchgesetzt werden. Egal wie klein die Gruppe ist. Eine Hetero-Frau darf keine Lesbe spielen, eine Hetero-Mann keinen Transmenschen, ein Weißer keinen Schwarzen, wie einst Orson Welles den Othello. Weiße Musiker dürfen keine Dreadlocks tragen oder Reggae spielen – Kulturelemente, die angeblich allein der »schwarzen Kultur« vorbehalten sind; eine weiße Übersetzerin darf nicht die Gedichte einer schwarzen Lyrikerin übersetzen. Eine Wissenschaftlerin soll nicht mehr behaupten, es gäbe nur zwei biologische Geschlechter. Ein deutscher Professor, Fachmann auf diesem Gebiet, soll nicht mehr über Kolonialismus lehren. Dior wird für die Nachahmung eines traditionellen chinesischen Rocks beschimpft, Models werden für das Tragen von Geisha-Frisuren kritisiert. Und Kinder sollen sich im Karneval nicht mehr als Eskimo oder tapfere »Indianer« verkleiden. Auch Mokassins oder Palästinensertücher sind heute nicht mehr erlaubt: »Kulturelle Aneignung!« Damit ist gemeint: DIE Täter dürfen nicht DIE Opfer spielen. DIE Täter dürfen keine Mode, keine Symbole DER Opfer tragen. DIE Täter dürfen nicht die Geschichte DER Opfer erzählen. Wobei die Zahl der Opfer ständig steigt: Je mehr zerbrechliche benachteiligte Identitäten sich (er)finden, desto mehr Täter werden identifiziert. Schon wer das wachsende Alphabet der sexuellen Identitäten nicht beherrscht (LGBTQIA+) kann nur ein Sexist, ein Diskriminierer, pardon, ein*e Diskriminierer*in sein. Wer heute also als weißer Literat eine schwarze Perspektive wählen möchte, wie Philip Roth es getan hat, braucht ein Pseudonym und eine fiktive Identität. Und darf sich auf keinen Fall erwischen lassen, um nicht im Shitstorm verbrannt zu werden.
Ich habe weiße deutsche Freunde, die anderen deutschen Weißen beibringen, wie man afrikanisch kocht. Tajine, Couscous, Taboulé, Falafel und Kebab aus Ländern wie Marokko, Tunesien und dem Libanon treffen auf Injera aus Äthiopien, Egusisuppe aus Nigeria und Jollof-Reis aus dem Senegal. Ein kulinarisches Fest. Eine sinnliche Freude. Aber leider ein böser Fall von »kultureller Aneignung«, so habe ich es vor einigen Tagen bei einer Lektüre im Netz gelernt. Meine Freunde kochen und lehren demnächst im Untergrund.
Ich möchte der aufgeregten Diskussion um Identitäten und »kulturelle Aneignung«, die wir uns hier übrigens aus den USA und Großbritannien angeeignet haben, noch ein bisher übersehenes Thema hinzufügen, das mir als Frau, also einem lebenslangen Opfer von männlichem Sexismus, auf den frisch lackierten Fingernägeln brennt: Was ist mit einem Mann, der plötzlich behauptet, eine Frau zu sein? Darf er das? Macht er sich nicht auf unverzeihliche Weise der kulturellen Aneignung schuldig? Hat dieser Mann je Monatsblutungen gehabt? Hat er Kinder geboren? Hat er einen Busen, eine Vagina, Wechseljahre? Hat er sich ein Leben lang gegen »toxische Männlichkeit« wehren müssen? Hat er erlebt, wie man als älter werdende Frau für Männer immer unsichtbarer wird? Was weiß er über den weiblichen Körper, über seine Lust und seine Leiden? Ist er plötzlich eine Frau, nur weil er sich als Frau fühlt, als Frau gesehen werden möchte?
Nach Ansicht des Kommunikationswissenschaftlers Richard A. Rogers, so lese ich bei einem weiteren Milchkaffee in meinem mitgebrachten Buch, gibt es verschiedene Formen der »kulturellen Aneignung«. Eine davon ist die »Kulturelle Ausnutzung«, was bedeutet: »Die Aneignung der Elemente einer untergeordneten Kultur durch die dominante Kultur ohne nennenswerte Reziprozität, Erlaubnis und/oder Kompensation.« (Ich musste das auch zweimal lesen!)
Sogenannte Linksidentitäre sind empört, wenn sich Bewohner aus Ländern einstiger Unterdrücker, Kolonisatoren und Wertexporteure Kulturelemente von vormalig oder gegenwärtig unterdrückten Minderheiten aneignen. Weiße sollen keine Schwarzen spielen, weil Weiße Schwarze diskriminiert, unterdrückt, ausgebeutet und versklavt haben. Und es leider immer noch tun. Aber Männer dürfen plötzlich behaupten, Frauen zu sein, sie dürfen sich als Frauen kleiden, obwohl Frauen von Männern diskriminiert, unterdrückt, ausgebeutet und versklavt werden?
Mein Vorwurf der »kulturellen Aneignung« ist hier natürlich nur ein Spiel. Eine bewusste Verdrehung der üblichen Perspektive. Ohne das Spiel mit Fantasie und Rollen und kulturellen Symbolen, ohne das Spiel mit alten und neuen Tabus, ohne Ironie und Selbstironie verliert unsere Gesellschaft ihren geistigen Sauerstoff.
Doch eine der wichtigsten Fragen der Kunst, die Frage »Was wäre, wenn …?« soll nicht mehr in Freiheit gestellt werden dürfen. Fantasie wird kastriert, die Menschen werden ins Gefängnis ihrer »Identität« gesperrt. Doch Kultur ist immer auch Kulturtransfer. Und wir alle partizipieren von diesem Transfer: sei es der Spracherwerb, der Erlebnis vielfältiger kulinarischer Genüsse, die von anderen Kulturen inspirierte Mode oder die Absolvierung eines Auslandssemesters.
Die Globalisierung hat zu einer vielfältigen Vernetzung von verschiedensten Individuen geführt, zu einer bunten Vermischung von Kulturelementen, an denen es keine Eigentumsrechte gibt. Exemplarisch dafür stehen Rasta-Zöpfe, für deren Tragen die Musikerin Ronja Maltzahn im März von »Fridays for Future« wieder ausgeladen wurde. Ihr Erscheinungsbild sei der »schwarzen Kultur« vorbehalten. Nur wenn sich Ronja Maltzahn die Haare abschneide, dürfe sie auftreten, wurde ihr mitgeteilt. Und ein Konzert der Mundart-Band Lauwarm im Juli in Bern wurde abgebrochen, weil sich die Zuschauer wegen der Dreadlocks einiger Musiker und wegen der teilweise gespielten jamaikanischen Reggae-Musik »unwohl« fühlten. Unwohl! Die Veranstalter entschuldigten sich gar: Man habe das Publikum vor den »schlechten Gefühlen« schützen müssen. Will man diese Art von Kulturterrorismus, von äußerst sensiblen Seelen angeblich im Sinne der Unterdrückten betrieben, überhaupt ernst nehmen, müsste man antworten, dass sich die ersten Darstellungen von Dreadlocks auf Wandbildern der Minoischen Kultur, der ältesten Hochkultur Europas finden; dass vor der spanischen Eroberung Mexikos in der aztekischen Kultur Mittelamerikas lange schimmelige Haare ein Erkennungszeichen der Priester waren; dass Dreadlocks auch in der islamischen Mystik, dem Sufismus verbreitet sind, und dass von Derwischen aller Ethnien und Hautfarben traditionell Dreadlocks getragen werden. Und dass deren heutige Verbreitung ihren Ursprung in der Rastafari-Bewegung der 1930iger Jahre hat. Mit der Kulturgeschichte der Dreadlocks könnte man ein ganzes Buch füllen. Bemerkenswert ist, dass weder die durch Dreadlocks bei weißen Musikern erschütterten Schreihälse noch die Angegriffenen auch nur einen Hauch von Wissen über die verschiedenen und uralten Ursprünge der Dreadlocks zu haben scheinen. Deutlich wird an diesem Beispiel, dass der Vorwurf der »kulturellen Aneignung« reflexartig erhoben wird, ohne sich mit den komplexen Differenzierungen einer sich ständig entwickelnden Kultur zu beschäftigen, mit dem Unterschied zwischen Aneignung und Austausch. Eine Interpretation von Kultur, die Kulturen jeweils feststehende und wesenhafte Eigenschaften zuschreibt, also eine »kulturelle Identität«, verwechselt die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Kultur mit dem Wesen eines Menschen. Und deckt sich hier mit den Positionen von Rechtsextremen, die angeblich wissen, wie DIE Ausländer ticken. Weiße wie schwarze Hautfarbe werden zur politischen Kategorie umgedeutet, zu einem Wesensmerkmal, als Beweis für einen in den Genen des Weißen liegenden Kolonialismus und für die genetisch festgelegte Rolle des Schwarzen als einem unterdrückten Menschen. So gesehen ist ein weißer Mensch nicht berechtigt, eine »nicht-weiße« Frisur oder Tracht zu tragen. Die Empörung über die Darstellung von Transmenschen durch heterosexuelle Schauspieler folgt dem gleichen Schema.
Ich befürchte, den woken, den »erwachten« Fürsprechern und Verteidigern marginalisierter Gruppen geht es auch um die Demonstration ihrer moralischen Überlegenheit, um die Zurschaustellung ihrer außergewöhnlichen Sensibilität für jede Diskriminierung. Doch für eine freie, liberale, demokratische Gesellschaft brauchen wir nicht noch mehr Sensibilität von noch mehr angeblichen Opfern. Wir brauchen nicht noch mehr stellvertretendes »Leiden« für DIE Opfer, sondern wir brauchen – wie es die Philosophin Svenja Flaßpöhler schreibt – mehr Resilienz, also jene Widerstandskraft, die den Abschied von der Opferrolle voraussetzt und aus Selbstreflexion, Nachdenklichkeit und Humor besteht.
Ich bin übrigens keine gequälte Frau. Kein Fall für #MeToo. Wenn unbedingt nötig, habe ich dem einen oder anderen männlichen Idioten für respektlose Übergriffigkeiten »in die Eier« getreten. Oder ihn einfach ausgelacht. Aber meist habe ich mich über Pfiffe auf der Straße, Kommentare zu meinen Beinen oder Blicke in mein Dekolleté gefreut. Warum habe ich (in jüngeren Jahren) Miniröcke bevorzugt, die Lippen rot geschminkt oder für den schwingenden Gang Schuhe mit hohen Absätzen getragen? Damit kein Mann hinschaut? Ich genieße das erotische Spiel zwischen Männern und Frauen, den Flirt, die kleinen (einvernehmlichen) Übergriffe. Und bin sicher, dass ich schon wieder gegen diverse Sprach- und Denkregeln verstoße. Dass ich jetzt wenigstens meine grundlegende Abscheu gegen sexuelle Nötigung jeder Art formulieren muss. Und gegen die Reduzierung der Frau auf ein Sexobjekt. Was hiermit geschehen sei. (So wie ich auch vor jeder Kritik an der Corona-Politik betonen muss, dass ich selbstverständlich keine rechtsradikale »Querdenkerin« bin – und vor jeder Kritik an den Verbrechen der Nato, dass ich Putins Angriffskrieg natürlich aufs Schärfste verurteile.)
Und noch ein Gedanke beim Blick auf die belebte Straße: Ich bin sicher, dass die Männer, die in Frauenkleidern und High Heels durch mein Viertel laufen, ebenfalls auf anerkennende männliche (und weibliche) Blicke hoffen.
Doch zurück zur Literatur: Die Welthaltigkeit von Literatur besteht darin, dass sie immer wieder darüber nachdenkt, was ist und was sein könnte, selbst wenn es empörend, verwerflich, dreckig, provokant sein sollte. Doch eifrig wird versucht, die Literatur stromlinienförmig auf Kurs zu bringen, auch die, die schon lange in unseren Bibliotheken lagert. »Cancel Kant« heißt eine aus den USA kommende und dort sehr populäre Forderung, da Kants Werk angeblich rassistisch sei. Was für eine dreiste Kampagne. Immanuel Kant (1724-1804), dieser »große Zerstörer im Reich der Gedanken«, wie Heine es formulierte, dessen Kritik der reinen Vernunft weltliche und göttliche Autoritäten vom Thron stürzte und durch einen universellen Humanismus ersetzte, war natürlich dennoch ein Kind seiner Zeit und machte manche frauenfeindliche, rassistische oder antisemitische Bemerkung. Aber sowieso geht es an den US-Universitäten beim Kampf gegen Kant gar nicht um einzelne Bemerkungen oder zeittypische Positionen. Der Vorwurf, dass der Mensch Kant ein Rassist war, dient der Beweisführung, dass Kants Universalismus in Wirklichkeit eine rassistische Ideologie für privilegierte weiße Männer ist: Sein aufgeklärter Humanismus sei nur eine Maske, hinter der die Mächtigen ungestört ausgrenzen und ausbeuten können. Also weg mit dem universellen Humanismus. Cancel Culture in Reinkultur. Und Kant ist nur ein Beispiel. Auch auf hiesigen Germanistenkongressen werden Forderungen erhoben, einzelne Klassiker komplett aus dem Kanon zu streichen. Zum Beispiel Kleist, in dessen Texten – gesehen durch den Gegenwartsfilter – ebenfalls Rassismus zu finden ist. In Kleists aus dem Jahre 1811(!) stammenden Novelle »Die Verlobung in St. Domingo« über einen Sklavenaufstand wird von »Negern« oder »Rasse« geredet und die Überlegenheit der Weißen als von Gott gegeben hingenommen. »Man glaubt, berechtigt zu sein«, schreibt der Schriftsteller Matthias Politycki in seinem Buch »Mein Abschied von Deutschland«, »Kunstwerke über alle historischen Zäsuren und kulturellen Grenzen hinweg nach den eigenen moralischen Maßstäben beurteilen und bearbeiten, im schlimmsten Fall aus dem Verkehr ziehen zu dürfen. – Hybris mit hegemonialer Ambition.«
Neben der immer häufiger geforderten rückwirkenden Bereinigung des abendländischen Bildungskanons soll in Zukunft auch darüber bestimmt werden, was überhaupt noch geschrieben und gedacht werden darf. Siehe den Rausschmiss von Monika Maron beim S. Fischer Verlag im Oktober 2020. Oder die Shitstorms gegen Auftritte von Uwe Tellkamp. Ihnen soll der Mund verboten werden. Und das natürlich wieder nur für die Verteidigung des Guten und Richtigen. Zudem hat man in der Literatur den »Sensitivity Reader« erfunden. Eine neue Berufsgruppe, die sich neuerdings zum Beispiel die Verlagsgruppe Random House leistet. So ein »Sensitivity Reader« wird gebucht, um ein fertiges Manuskript noch einmal unter dem Gesichtspunkt zu überprüfen, ob sich sensible Leser durch irgendeine Formulierung verletzt fühlen könnten, ob sich Trigger für woke-Empörung finden. Matthias Politycki: »Mit anderen Worten: Er (der ›Sensitivity Reader‹) soll dafür sorgen, dass ein woker Leser ausschließlich das von einem Buch erhält, was seiner woken Weltsicht entspricht.«
Waren Verlage nicht einst die Orte der Vielfalt? Sollten Verleger nicht eigentlich Freiheitskämpfer sein? Weil Polemik und Meinungsstreit unbedingt zu einer demokratischen Gesellschaft gehören. Franz Kafka formulierte es so: »Literatur soll ›die Axt für das gefrorene Meer ins uns‹ sein«. Der Sensitivity Reader, so Politycki, »sorgt nun dafür, dass das Meer gefroren bleibt«.
Doch Literatur, die sich absichert, ist überflüssig.
Die horizontale Zensur, ausgeübt durch uns selbst, ist umfassender und gefährlicher, als es jede vertikale Staatszensur je sein kann. Die kann man auf vielfältige Weise austricksen. Doch unsere selbst gezüchteten Zensoren, vor denen Verlage und öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten, Universitäten und Konzertveranstalter längst einknicken, treiben uns im Verbund mit der überall installierten Überwachungstechnologie in eine moderne Form der Diktatur. Ich erwarte schon die nächste Warn-App: »Achtung! Kontakt mit einer Person, die sich des Rassismus/der Transfeindlichkeit/des Gender-Verstoßes/der kulturellen Aneignung schuldig gemacht hat.“
Wie gut, dass ich immer noch kein Smartphone habe und lieber mit Buch und Notizblock in meinem Lieblingscafé sitze.