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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Künstliche Intelligenz

Der Begriff »Künst­li­che Intel­li­genz« (KI) gei­stert wäh­rend der letz­ten Jah­re immer wie­der durch die Medi­en, wird als Grund­la­ge eines neu­en Tech­no­lo­gie­schu­bes und damit erhoff­tem Wirt­schafts­wachs­tum gefei­ert – ähn­lich dem Sie­ges­zug von Mikro­elek­tro­nik und Han­dy­in­du­strie vor eini­gen Jahr­zehn­ten. Umstrit­ten sind aller­dings die sozia­len Fol­gen, die aus solch einem Tech­no­lo­gie­schub resul­tie­ren dürf­ten. Sehr wahr­schein­lich ist ein mit die­ser Tech­no­lo­gie ver­bun­de­ner mas­si­ver Abbau von Arbeits­plät­zen – haupt­säch­lich in Ver­wal­tun­gen und in der Kulturindustrie.

Lang­fri­stig dürf­te eine sol­che Ent­wick­lung wie­der ein­mal schau­ri­ge sozia­le Fol­gen haben, zumal KI-Syste­me kei­ne Ent­schei­dun­gen auf Grund­la­ge eige­ner Erfah­run­gen tref­fen, son­dern ihnen ein­ge­ge­be­ne Algo­rith­men umset­zen. Wider­sprü­che Betrof­fe­ner dage­gen lau­fen daher ins Lee­re. Bekannt ist auch die seit eini­gen Jah­ren mas­si­ve Ver­wen­dung von KI in der Rüstungs­in­du­strie – leben­di­ge Sol­da­ten wer­den zuneh­mend durch KI-gesteu­er­te Droh­nen ersetzt. Und die­se haben wohl kaum Pro­ble­me damit, Zivi­li­sten umzu­brin­gen: Wenn das ihnen ein­ge­ge­be­ne Pro­gramm dies erfor­dert, tun sie es.

Durch­aus lesens- und dis­kus­si­ons­wert ist vor die­sem Hin­ter­grund das kürz­lich erschie­ne­ne Werk »Eine kur­ze Geschich­te der künst­li­chen Intel­li­genz« von Micha­el Wil­den­hain. Der Autor ist aller­dings kein Wis­sen­schaft­ler, son­dern Lite­rat. Wie er ganz zu Anfang des eher schma­len Buches schreibt, geht es ihm auch nicht um eine umfas­sen­de Dar­stel­lung sämt­li­cher The­men, die bei der Dis­kus­si­on um die KI eine Rol­le spie­len, son­dern um die Mög­lich­kei­ten und Gren­zen der neu­en Technologie.

Bei der Schil­de­rung von Ursprün­gen der KI holt der Autor weit aus. Künst­li­che Geschöp­fe tauch­ten zwar schon in sehr frü­hen Legen­den und Über­lie­fe­run­gen auf – aller­dings eher sel­ten. Häu­fig the­ma­ti­siert wür­den künst­li­che Geschöp­fe erst mit dem Beginn des Indu­strie­zeit­al­ters – also in der Anfangs­pha­se der kapi­ta­li­sti­schen Gesellschaft.

Wil­den­hain nennt als lite­ra­ri­sche Vor­läu­fer der KI den Homun­ku­lus im Teil II von Goe­thes »Faust« und das GESCHÖPF in Mary Shel­leys Gru­sel­ro­man »Fran­ken­stein«. Den Begriff »Robo­ter« ver­wen­de­te erst­mals der tsche­chi­sche Schrift­stel­ler Karl Čapek in einem 1920 ver­öf­fent­lich­ten Thea­ter­stück. Die Lite­ra­tur the­ma­ti­sier­te also Pro­duk­te einer Ent­wick­lung zu einer Zeit, als von deren Rea­li­sie­rung noch über­haupt kei­ne Rede sein konnte.

Wie Wil­den­hain wei­ter schreibt, taucht der Begriff »Künst­li­che Intel­li­genz« erst­mals im Jah­re 1955 auf – in Vor­be­rei­tung einer Kon­fe­renz von Pro­gram­mie­rern und Com­pu­ter­ex­per­ten. Finan­zier die­ser Kon­fe­renz war damals die Rocke­fel­ler Foun­da­ti­on. Geför­dert wur­de die­se tech­ni­sche Ent­wick­lung in der Fol­ge aber nicht nur von pri­va­ten Stif­tun­gen, son­dern zuneh­mend auch von staat­li­chen Stel­len – unter ande­rem vom US-Verteidigungsministerium.

Meh­re­re Kapi­tel des Buches beschrei­ben gei­sti­ge Väter der digi­ta­len Welt – bei­spiels­wei­se Alan Turing und Mar­vin Minsk –, rufen in die­sem Zusam­men­hang den Lesern mora­li­sche Kon­flik­te zurück ins Gedächt­nis, die in der Ent­wick­lungs­pha­se die­ser neu­en Tech­nik inten­siv dis­ku­tiert wur­den, aber heu­te weit­ge­hend in Ver­ges­sen­heit gera­ten sind. Unter ande­rem wur­de damals das Gehirn eines Men­schen als infor­ma­ti­ons­ver­ar­bei­ten­der Pro­zes­sor beschrie­ben – heu­te sehen die mei­sten Wis­sen­schaft­ler dies etwas anders.

Aus wis­sen­schaft­li­chen Publi­ka­tio­nen grif­fen sol­che Debat­ten auf Kunst und Lite­ra­tur über – Wil­den­hain bezieht sich in sei­nem Buch mehr­mals auf den dys­to­pi­schen Film »Bla­de Run­ner« aus dem Jah­re 1982 – in den 1990er Jah­ren hat­te die­ser Film Kultstatus.

Aus­führ­lich schil­dert der Autor die schritt­wei­se Ent­wick­lung der neu­en Tech­nik und die Ver­su­che, auf künst­li­che Wei­se Intel­li­genz zu gene­rie­ren – also Maschi­nen zu Tätig­kei­ten befä­hi­gen, für die der Mensch Intel­li­genz benötigt.

Wil­den­hain, der sich unter ande­rem mit dem von Fried­rich Engels for­mu­lier­ten dia­lek­ti­schen Grund­ge­setz aus­ein­an­der­setzt, steht der Idee, Robo­ter könn­ten mensch­li­che Intel­li­genz ent­wickeln und sich am Ende gegen ihren Schöp­fer auf­leh­nen, eher skep­tisch gegen­über. Wie er schreibt, sei­en zwar Com­pu­ter­pro­gram­me, »die auf die Ver­nich­tung von Men­schen abstel­len, kei­nes­falls aus­ge­schlos­sen«. Sol­che Pro­gram­me gin­gen jedoch »von Men­schen, nicht von Maschi­nen aus«. Schon der Begriff KI sei an sich unsin­nig. »Sowohl der Roh­stoff, die Tex­te der Welt, als auch die Grund­la­ge der Pro­gram­mie­rung (…) stam­men von Men­schen. (…) Die Maschi­ne ver­fügt ursprüng­lich über kei­ner­lei Fak­ten­wis­sen. Sie lebt, anders als der Mensch, nicht in der Welt.« Fak­tisch sei­en Com­pu­ter oder Robo­ter ledig­lich »eine kunst­fer­ti­ge Ansamm­lung von Metal­len und Kunststoff«.

Micha­el Wil­den­hain: Eine kur­ze Geschich­te der künst­li­chen Intel­li­genz, Cot­ta, Stutt­gart 2024, 120 S., 16 €.