Der Begriff »Künstliche Intelligenz« (KI) geistert während der letzten Jahre immer wieder durch die Medien, wird als Grundlage eines neuen Technologieschubes und damit erhofftem Wirtschaftswachstum gefeiert – ähnlich dem Siegeszug von Mikroelektronik und Handyindustrie vor einigen Jahrzehnten. Umstritten sind allerdings die sozialen Folgen, die aus solch einem Technologieschub resultieren dürften. Sehr wahrscheinlich ist ein mit dieser Technologie verbundener massiver Abbau von Arbeitsplätzen – hauptsächlich in Verwaltungen und in der Kulturindustrie.
Langfristig dürfte eine solche Entwicklung wieder einmal schaurige soziale Folgen haben, zumal KI-Systeme keine Entscheidungen auf Grundlage eigener Erfahrungen treffen, sondern ihnen eingegebene Algorithmen umsetzen. Widersprüche Betroffener dagegen laufen daher ins Leere. Bekannt ist auch die seit einigen Jahren massive Verwendung von KI in der Rüstungsindustrie – lebendige Soldaten werden zunehmend durch KI-gesteuerte Drohnen ersetzt. Und diese haben wohl kaum Probleme damit, Zivilisten umzubringen: Wenn das ihnen eingegebene Programm dies erfordert, tun sie es.
Durchaus lesens- und diskussionswert ist vor diesem Hintergrund das kürzlich erschienene Werk »Eine kurze Geschichte der künstlichen Intelligenz« von Michael Wildenhain. Der Autor ist allerdings kein Wissenschaftler, sondern Literat. Wie er ganz zu Anfang des eher schmalen Buches schreibt, geht es ihm auch nicht um eine umfassende Darstellung sämtlicher Themen, die bei der Diskussion um die KI eine Rolle spielen, sondern um die Möglichkeiten und Grenzen der neuen Technologie.
Bei der Schilderung von Ursprüngen der KI holt der Autor weit aus. Künstliche Geschöpfe tauchten zwar schon in sehr frühen Legenden und Überlieferungen auf – allerdings eher selten. Häufig thematisiert würden künstliche Geschöpfe erst mit dem Beginn des Industriezeitalters – also in der Anfangsphase der kapitalistischen Gesellschaft.
Wildenhain nennt als literarische Vorläufer der KI den Homunkulus im Teil II von Goethes »Faust« und das GESCHÖPF in Mary Shelleys Gruselroman »Frankenstein«. Den Begriff »Roboter« verwendete erstmals der tschechische Schriftsteller Karl Čapek in einem 1920 veröffentlichten Theaterstück. Die Literatur thematisierte also Produkte einer Entwicklung zu einer Zeit, als von deren Realisierung noch überhaupt keine Rede sein konnte.
Wie Wildenhain weiter schreibt, taucht der Begriff »Künstliche Intelligenz« erstmals im Jahre 1955 auf – in Vorbereitung einer Konferenz von Programmierern und Computerexperten. Finanzier dieser Konferenz war damals die Rockefeller Foundation. Gefördert wurde diese technische Entwicklung in der Folge aber nicht nur von privaten Stiftungen, sondern zunehmend auch von staatlichen Stellen – unter anderem vom US-Verteidigungsministerium.
Mehrere Kapitel des Buches beschreiben geistige Väter der digitalen Welt – beispielsweise Alan Turing und Marvin Minsk –, rufen in diesem Zusammenhang den Lesern moralische Konflikte zurück ins Gedächtnis, die in der Entwicklungsphase dieser neuen Technik intensiv diskutiert wurden, aber heute weitgehend in Vergessenheit geraten sind. Unter anderem wurde damals das Gehirn eines Menschen als informationsverarbeitender Prozessor beschrieben – heute sehen die meisten Wissenschaftler dies etwas anders.
Aus wissenschaftlichen Publikationen griffen solche Debatten auf Kunst und Literatur über – Wildenhain bezieht sich in seinem Buch mehrmals auf den dystopischen Film »Blade Runner« aus dem Jahre 1982 – in den 1990er Jahren hatte dieser Film Kultstatus.
Ausführlich schildert der Autor die schrittweise Entwicklung der neuen Technik und die Versuche, auf künstliche Weise Intelligenz zu generieren – also Maschinen zu Tätigkeiten befähigen, für die der Mensch Intelligenz benötigt.
Wildenhain, der sich unter anderem mit dem von Friedrich Engels formulierten dialektischen Grundgesetz auseinandersetzt, steht der Idee, Roboter könnten menschliche Intelligenz entwickeln und sich am Ende gegen ihren Schöpfer auflehnen, eher skeptisch gegenüber. Wie er schreibt, seien zwar Computerprogramme, »die auf die Vernichtung von Menschen abstellen, keinesfalls ausgeschlossen«. Solche Programme gingen jedoch »von Menschen, nicht von Maschinen aus«. Schon der Begriff KI sei an sich unsinnig. »Sowohl der Rohstoff, die Texte der Welt, als auch die Grundlage der Programmierung (…) stammen von Menschen. (…) Die Maschine verfügt ursprünglich über keinerlei Faktenwissen. Sie lebt, anders als der Mensch, nicht in der Welt.« Faktisch seien Computer oder Roboter lediglich »eine kunstfertige Ansammlung von Metallen und Kunststoff«.
Michael Wildenhain: Eine kurze Geschichte der künstlichen Intelligenz, Cotta, Stuttgart 2024, 120 S., 16 €.