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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Künstlerbriefe

Seit es so ein­fach ist, auch ohne den kri­ti­schen Blick eines Ver­le­gers ein Buch zu schrei­ben und es noch dazu zu ver­öf­fent­li­chen, wenn man selbst genug Geld dafür ein­set­zen kann, boo­men die Lebens­er­in­ne­rung von mehr oder weni­ger pro­mi­nen­ten Per­sön­lich­kei­ten. Die Lesun­gen von Kul­tur­schaf­fen­den aller Art und hoch­ran­gi­gen Poli­ti­kern sind in der Regel Publi­kums­ma­gne­ten, auch weil man sich die Auf­deckung von Sen­sa­tio­nel­lem oder Inti­mem erhofft. Immer mehr aber ver­langt der Leser nach wirk­lich Authen­ti­schem, und das lie­fern vor allem Ver­öf­fent­li­chun­gen von Brie­fen und Tage­bü­chern. Davon sind in den letz­ten Jah­ren eini­ge ver­legt wor­den, zum Bei­spiel in renom­mier­ten Ver­la­gen Brie­fe und Tage­bü­cher von Ger­hard Alten­bourg, Johan­nes Bobrow­ski, Carl­fried­rich Claus, Elmar Faber, Wie­land För­ster, Franz Füh­mann, Chri­stoph Hein, Lothar Lang, erst jüngst von dem Lyri­ker Her­bert Sai­ler sowie vom Fern­seh­mo­de­ra­tor Rein­hold Beck­mann. In die­se Rei­he fügt sich von Man­fred Zol­ler »Kehr­wie­der 4 /​ Künst­ler­brie­fe nach Rostock, Dres­den, Ber­lin und Berg­fel­de« ein. Der 1947 gebo­re­ne, stu­dier­te und habi­li­tier­te Medi­zi­ner in dem Fach­ge­biet Ana­to­mie wech­sel­te 1979 in die Frei­be­ruf­lich­keit als Maler und nahm 1990 eine Lehr­tä­tig­keit an der Kunst­hoch­schu­le Ber­lin in Wei­ßen­see auf, in der es um die Ver­knüp­fung von Mor­pho­lo­gie und Ana­to­mie mit der bil­den­den Kunst ging, was schon für sich ein inter­es­san­tes Gebiet ist.

Sei­ne Brie­fe rei­chen von 1970 bis heu­te und betref­fen 57 Per­sön­lich­kei­ten, in erster Linie Künst­ler wie er, aber auch Schrift­stel­ler, Kunst­wis­sen­schaft­ler und Gale­ri­sten. Vie­le aus der Kunst­sze­ne im Osten Deutsch­lands bis 1989 und dar­über hin­aus bekann­te Namen tau­chen da auf, etwa Sabi­ne Curio, Man­fred Butz­mann, Die­ter Goltz­sche, Joa­chim John, Ger­hard Kett­ner, Harald Metz­kes, Wulff Sai­ler. Und gera­de die­se Brie­fe bis zum Ende der DDR sind das Beson­de­re die­ses Buches, sind sie ja wert­vol­le Zeit­zeu­gen­do­ku­men­te, zu denen man noch die unmit­tel­bar in der Wen­de­zeit geschrie­be­ne Kor­re­spon­denz zäh­len kann, wor­in die wider­sprüch­lich­sten Gefüh­le ange­sichts des Über­gangs in ein ande­res gesell­schaft­li­ches System zum Aus­druck kommen.

Man erfährt eini­ges über die Lebens­um­stän­de in der DDR, wenn etwa Joa­chim Hering 1975 schreibt, er sei ein »nicht schlecht ver­die­nen­der Selbst­stän­di­ger«. Ger­hard Kett­ner wie­der­um meint 1978, er »wäre ver­hun­gert (…) in dem Pro­zess der Erar­bei­tung der Geld­mit­tel, die man heu­te als Fami­lie mit Kin­dern braucht«. Auch Poli­tik wird vor­sich­tig ange­spro­chen. So berich­tet Hanns Schi­man­sky 1981 ver­schlüs­selt über sei­ne Zeit als Sol­dat. Beson­ders die Kul­tur­po­li­tik spielt eine Rol­le. 1974 gibt Wal­ter Goes an Zol­ler die Äuße­rung Jür­gen Webers wei­ter, »dass die Rei­he mit Dir wei­ter­ge­führt auch ein Stück ‹Poli­tik› sei und hof­fent­lich eini­ge Leu­te nach­denk­lich macht«. Die Bezirks­aus­stel­lung Rostock 1979 war für Schi­man­sky unver­blümt »das SCHRECKLICHSTE – Flei­scher­la­den!!! Jede Wurst ist da (…), dass man sich fast schämt, dabei zu sein.«. Egon Zim­pel spricht das Schick­sal der pri­va­ten »Gale­rie im Flur« in Erfurt an, 1978 wur­de sie eröff­net, 1981 amt­lich geschlos­sen. Der Bericht eines IM, der an der Schlie­ßung sei­nen Anteil hat­te, ist mit abge­druckt. Dage­gen­ge­setzt wer­den die Schwär­me­rei­en über die »West«-Reisen, bei denen man staunt, wer vor 1989 alles durf­te, ohne schon Rent­ner zu sein und ohne zu denen zu gehö­ren, die sich dem Staat anbie­der­ten: Schi­man­sky mit Klem­ke, Rose­le­ne Wil­lu­mat und Chri­sti­ne Per­then 1978 in West-Ber­lin, Joa­chim John 1984 in Süd­ame­ri­ka, Bri­git­te Küh­le­wind 1986 in Paris. Auch die Anre­gung durch die euro­päi­sche Kunst der alten und neu­en Mei­ster gab den Künst­lern im kul­tu­rell rela­tiv abge­kap­sel­ten Osten Deutsch­lands Halt, etwa bei Schi­man­sky 1978 Beck­mann, Matis­se oder Male­witsch. Ande­re aber zogen sich resi­gnie­rend auf sich selbst zurück. Wenn Joa­chim Hering 1975 »das Gefühl des Ver­sin­kens« in den Schlaf, das das höch­ste Glück dar­stellt, und 1984 das Haus als »inne­rer Halt, eine ech­te Blei­be des ‹Ichs›« emp­fun­den wird, spricht das von Flucht aus der gesell­schaft­li­chen Realität.

Im Vor­der­grund aber ste­hen in den Kor­re­spon­den­zen künst­le­ri­sche Fra­gen und Pro­ble­me, der Aus­tausch über Arbeits­wei­sen und phi­lo­so­phi­sche Hin­ter­grün­de. Das Buch ist aus ver­schie­de­nen Per­spek­ti­ven her­aus eine wah­re Fund­gru­be. Scha­de ist nur, dass ein für die wis­sen­schaft­li­che Arbeit hilf­rei­ches Per­so­nen­re­gi­ster fehlt. Ansatz­punk­te und Mate­ri­al für die wei­te­re For­schung ins­be­son­de­re über die Kunst im Osten Deutsch­lands zwi­schen 1970 und 1989 bie­tet das Buch reichlich.

Man­fred Zol­ler: Künst­ler­brie­fe nach Rostock, Dres­den, Ber­lin und Berg­fel­de, Mit­tel­deut­scher Ver­lag, Hal­le 2023, 256 S., s/w-Abb., 30 €.