Am Tag der Deutschen Einheit haben die meinungsführenden Medien die Einheit der beiden deutschen Staaten nach dem Fall der Mauer zelebriert; die Aktionen der Friedensbewegung, die es an vielen Orten in Deutschland gab, fielen dabei weitgehend und nicht zum ersten Mal unter den Tisch. Die Friedenskräfte erinnerten an diesem Tag besonders auch an die Vorgabe des Einigungsvertrages, der zufolge sich die beteiligten Mächte für eine Friedensordnung in Europa einzusetzen haben, die die Sicherheitsinteressen aller Staaten, also auch Russlands, respektiert. Der Bruch dieser Verpflichtung ist das vermutlich entscheidende Element der Vorgeschichte des Krieges in der Ukraine, der zwar in der Tat einen Bruch internationalen Rechts darstellt, der aber alles andere als unprovoziert und überraschend erfolgt ist, auch wenn die transatlantischen Medien die Mär vom »imperialen« und »kaltblütigen Angriffskrieg« in die Gehirne der Menschen nachrichtenstündlich einträufeln.
Die Friedensbewegung an Rhein und Ruhr demonstrierte zum 10. Mal an der Kalkarer Nato-Drehscheibe für den modernen Krieg. Die dortige Strategieschmiede »Joint Air Power Competence Centre« (JAPCC) geht seit mindestens neun Jahren davon aus, dass in Staaten, die an der russischen Westgrenze entstanden sind, und die in die Nato-Expansion einbezogen sind, ein großer Krieg zu erwarten sei, der eine wirksame Mischung aus nuklearen und konventionellen Fähigkeiten erfordere, wie ihr Material der Jahreskonferenz 2014 auf den Seiten 70 und 141 es auf den Punkt bringt. Die Militärs ignorierten damals und seither die Tatsache, dass die Nato-Osterweiterung gegen die in mehreren internationalen Vertragstexten vorgeschriebene Friedensordnung in Europa verstößt.
Der Doppelstandort in der landschaftlich idyllisch gelegenen Gemeinde Kalkar und ihrer Nachbargemeinde Uedem zwischen dem Ruhrgebiet und den Benelux-Staaten beherbergt unter anderem die Strategieschmiede der Luftwaffe, das JAPCC, das Zentrum Luftoperation und auch den Gefechtsstand der Nato-Luftwaffe, der aktuell die Befehlsgewalt über sämtliche Luftoperationen der Nato in Europa innehat. »Für den multinationalen Gefechtstand in Kalkar bedeutet dieses (…), dass bis Anfang November die Verantwortung für die Luftoperationen der Nato am Niederrhein liegt. Aber die Frauen und Männer, die überwiegend durch das Zentrum Luftoperationen gestellt werden, sind für diesen herausfordernden Auftrag bestens ausgebildet.«
2017 schrieb die Neue Ruhr-Zeitung in einem Bericht über die Luftleitzentrale in Kalkar: »Wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass Kalkar zum Kriegs-Gefechtsstand wird? Der Presseoffizier: ›Die letzte Luftwaffen-Nato-Operation war die Luftraumüberwachung in Libyen.‹ Das war 2011. Wenn es ganz schlimm kommen sollte, etwa zu einem Konflikt mit Russland, (…) würde der Riesengefechtsstand der Nato im rheinland-pfälzischen Ramstein übernehmen. Dort stehen 3000 Soldaten parat für den Ernstfall.«
In Kalkar sind aktuell ca. 1600 Soldatinnen und Soldaten stationiert. Das Nato-Weltraumoperationszentrum in Kalkar/Uedem, dessen Bedeutung im High Tech-Krieg immer größer wird, befähigt die Nato-Kriegszentrale, militärische Operationen bis hin zu einem Luftkriegsgeschehen zwischen großen Teilen Afrikas, Westasiens und Europas zu kontrollieren, zu steuern und zu befehligen.
Das Geoinformationszentrum vor Ort liefert die geografischen Detail-Daten über die Oberfläche Osteuropas für Angriffswaffen, die nahe über der Erdoberfläche und damit unter dem Radar Angriffe in einem Krieg, der dann gegen Russland stattfinden würde, zielgenau in Bunker, Kommandozentralen und Raketensilos Russlands ausgeführt werden können.
Am 10.10.2023 begann in der Messe Essen eine erneute Strategietagung der Kalkarer Nato-Spitzenmilitärs, in der laut Vorbereitungsmanuskript auch wieder ein möglicher Einsatz von Kriegswaffen in einem Kampfgeschehen der Nato mit der Atommacht Russland vorbereitet wird.
Den diesjährigen Konferenzunterlagen zufolge geht es darum, wie im Kalten Krieg »den militärischen Vorteil der USA (…) aufrechtzuerhalten, indem der zahlenmäßige Vorteil der UdSSR (und nun aktuell Russlands, B. T.) bei konventionellen Streitkräften durch den Einsatz überlegener nuklearer Fähigkeiten ausgeglichen« werden kann (S. 84). Dabei geht es um ein operatives Konzept mit präzisen Waffen (S. 85), das den Atomkrieg, also den finalen Krieg der Menschheit, mit einkalkuliert.
Die Tagung findet vermutlich nicht ohne Grund in der Messe einer Großstadt wie Essen statt, da zu den Sponsoren Konzerne zählen, die in der Weltspitze der Nato-Hoch- und -Atom-Rüstung angesiedelt sind, darunter Lockheed Martin, General Atomics, Thales aus Frankreich, Airbus Defense, Neutron Star Systems und Sierra Nevada Corporation.
Solche Inhalte in den Unterlagen, der Nato-Konferenz, widersprechen dem § 26 Absatz 1 des Grundgesetzes: »Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, (…) sind verfassungswidrig. Sie sind unter Strafe zu stellen.«
Diese Strategiekonferenzen gefährden das Leben in unserer ökologisch und militärisch bedrohten Welt, und sie offenbaren die existenziellen Gefahren, die vom Militärisch-industriellen Komplex ausgehen, wie es bereits vor circa 60 Jahren US-Präsident Eisenhower ausdrückte – er verwies auf die Gefahren des »Zusammenspiels eines gewaltigen militärischen Establishments und einer Rüstungs-Großindustrie«, die er als »eine neue Erfahrung für Amerika« bezeichnete. Er warnte Regierungskreise: »Wir müssen uns davor hüten, dass der militärisch-industrielle Komplex unbefugt Einfluss ausübt, ob dies nun beabsichtigt oder unbeabsichtigt geschieht. Das Potential für den katastrophalen Anstieg unangebrachter Macht besteht und wird weiter bestehen.«