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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Kriegsschmiede Kalkar

Am Tag der Deut­schen Ein­heit haben die mei­nungs­füh­ren­den Medi­en die Ein­heit der bei­den deut­schen Staa­ten nach dem Fall der Mau­er zele­briert; die Aktio­nen der Frie­dens­be­we­gung, die es an vie­len Orten in Deutsch­land gab, fie­len dabei weit­ge­hend und nicht zum ersten Mal unter den Tisch. Die Frie­dens­kräf­te erin­ner­ten an die­sem Tag beson­ders auch an die Vor­ga­be des Eini­gungs­ver­tra­ges, der zufol­ge sich die betei­lig­ten Mäch­te für eine Frie­dens­ord­nung in Euro­pa ein­zu­set­zen haben, die die Sicher­heits­in­ter­es­sen aller Staa­ten, also auch Russ­lands, respek­tiert. Der Bruch die­ser Ver­pflich­tung ist das ver­mut­lich ent­schei­den­de Ele­ment der Vor­ge­schich­te des Krie­ges in der Ukrai­ne, der zwar in der Tat einen Bruch inter­na­tio­na­len Rechts dar­stellt, der aber alles ande­re als unpro­vo­ziert und über­ra­schend erfolgt ist, auch wenn die trans­at­lan­ti­schen Medi­en die Mär vom »impe­ria­len« und »kalt­blü­ti­gen Angriffs­krieg« in die Gehir­ne der Men­schen nach­rich­ten­stünd­lich einträufeln.

Die Frie­dens­be­we­gung an Rhein und Ruhr demon­strier­te zum 10. Mal an der Kal­ka­rer Nato-Dreh­schei­be für den moder­nen Krieg. Die dor­ti­ge Stra­te­gie­schmie­de »Joint Air Power Com­pe­tence Cent­re« (JAPCC) geht seit min­de­stens neun Jah­ren davon aus, dass in Staa­ten, die an der rus­si­schen West­gren­ze ent­stan­den sind, und die in die Nato-Expan­si­on ein­be­zo­gen sind, ein gro­ßer Krieg zu erwar­ten sei, der eine wirk­sa­me Mischung aus nuklea­ren und kon­ven­tio­nel­len Fähig­kei­ten erfor­de­re, wie ihr Mate­ri­al der Jah­res­kon­fe­renz 2014 auf den Sei­ten 70 und 141 es auf den Punkt bringt. Die Mili­tärs igno­rier­ten damals und seit­her die Tat­sa­che, dass die Nato-Ost­erwei­te­rung gegen die in meh­re­ren inter­na­tio­na­len Ver­trags­tex­ten vor­ge­schrie­be­ne Frie­dens­ord­nung in Euro­pa verstößt.

Der Dop­pel­stand­ort in der land­schaft­lich idyl­lisch gele­ge­nen Gemein­de Kal­kar und ihrer Nach­bar­ge­mein­de Uedem zwi­schen dem Ruhr­ge­biet und den Bene­lux-Staa­ten beher­bergt unter ande­rem die Stra­te­gie­schmie­de der Luft­waf­fe, das JAPCC, das Zen­trum Luft­ope­ra­ti­on und auch den Gefechts­stand der Nato-Luft­waf­fe, der aktu­ell die Befehls­ge­walt über sämt­li­che Luft­ope­ra­tio­nen der Nato in Euro­pa inne­hat. »Für den mul­ti­na­tio­na­len Gefechtstand in Kal­kar bedeu­tet die­ses (…), dass bis Anfang Novem­ber die Ver­ant­wor­tung für die Luft­ope­ra­tio­nen der Nato am Nie­der­rhein liegt. Aber die Frau­en und Män­ner, die über­wie­gend durch das Zen­trum Luft­ope­ra­tio­nen gestellt wer­den, sind für die­sen her­aus­for­dern­den Auf­trag bestens ausgebildet.«

2017 schrieb die Neue Ruhr-Zei­tung in einem Bericht über die Luft­leit­zen­tra­le in Kal­kar: »Wie hoch die Wahr­schein­lich­keit ist, dass Kal­kar zum Kriegs-Gefechts­stand wird? Der Pres­se­of­fi­zier: ›Die letz­te Luft­waf­fen-Nato-Ope­ra­ti­on war die Luft­raum­über­wa­chung in Liby­en.‹ Das war 2011. Wenn es ganz schlimm kom­men soll­te, etwa zu einem Kon­flikt mit Russ­land, (…) wür­de der Rie­sen­ge­fechts­stand der Nato im rhein­land-pfäl­zi­schen Ram­stein über­neh­men. Dort ste­hen 3000 Sol­da­ten parat für den Ernstfall.«

In Kal­kar sind aktu­ell ca. 1600 Sol­da­tin­nen und Sol­da­ten sta­tio­niert. Das Nato-Welt­raum­ope­ra­ti­ons­zen­trum in Kalkar/​Uedem, des­sen Bedeu­tung im High Tech-Krieg immer grö­ßer wird, befä­higt die Nato-Kriegs­zen­tra­le, mili­tä­ri­sche Ope­ra­tio­nen bis hin zu einem Luft­kriegs­ge­sche­hen zwi­schen gro­ßen Tei­len Afri­kas, West­asi­ens und Euro­pas zu kon­trol­lie­ren, zu steu­ern und zu befehligen.

Das Geo­in­for­ma­ti­ons­zen­trum vor Ort lie­fert die geo­gra­fi­schen Detail-Daten über die Ober­flä­che Ost­eu­ro­pas für Angriffs­waf­fen, die nahe über der Erd­ober­flä­che und damit unter dem Radar Angrif­fe in einem Krieg, der dann gegen Russ­land statt­fin­den wür­de, ziel­ge­nau in Bun­ker, Kom­man­do­zen­tra­len und Rake­ten­si­los Russ­lands aus­ge­führt wer­den können.

Am 10.10.2023 begann in der Mes­se Essen eine erneu­te Stra­te­gie­ta­gung der Kal­ka­rer Nato-Spit­zen­mi­li­tärs, in der laut Vor­be­rei­tungs­ma­nu­skript auch wie­der ein mög­li­cher Ein­satz von Kriegs­waf­fen in einem Kampf­ge­sche­hen der Nato mit der Atom­macht Russ­land vor­be­rei­tet wird.

Den dies­jäh­ri­gen Kon­fe­renz­un­ter­la­gen zufol­ge geht es dar­um, wie im Kal­ten Krieg »den mili­tä­ri­schen Vor­teil der USA (…) auf­recht­zu­er­hal­ten, indem der zah­len­mä­ßi­ge Vor­teil der UdSSR (und nun aktu­ell Russ­lands, B. T.) bei kon­ven­tio­nel­len Streit­kräf­ten durch den Ein­satz über­le­ge­ner nuklea­rer Fähig­kei­ten aus­ge­gli­chen« wer­den kann (S. 84). Dabei geht es um ein ope­ra­ti­ves Kon­zept mit prä­zi­sen Waf­fen (S. 85), das den Atom­krieg, also den fina­len Krieg der Mensch­heit, mit einkalkuliert.

Die Tagung fin­det ver­mut­lich nicht ohne Grund in der Mes­se einer Groß­stadt wie Essen statt, da zu den Spon­so­ren Kon­zer­ne zäh­len, die in der Welt­spit­ze der Nato-Hoch- und -Atom-Rüstung ange­sie­delt sind, dar­un­ter Lock­heed Mar­tin, Gene­ral Ato­mics, Tha­les aus Frank­reich, Air­bus Defen­se, Neu­tron Star Systems und Sier­ra Neva­da Corporation.

Sol­che Inhal­te in den Unter­la­gen, der Nato-Kon­fe­renz, wider­spre­chen dem § 26 Absatz 1 des Grund­ge­set­zes: »Hand­lun­gen, die geeig­net sind und in der Absicht vor­ge­nom­men wer­den, das fried­li­che Zusam­men­le­ben der Völ­ker zu stö­ren, (…) sind ver­fas­sungs­wid­rig. Sie sind unter Stra­fe zu stellen.«

Die­se Stra­te­gie­kon­fe­ren­zen gefähr­den das Leben in unse­rer öko­lo­gisch und mili­tä­risch bedroh­ten Welt, und sie offen­ba­ren die exi­sten­zi­el­len Gefah­ren, die vom Mili­tä­risch-indu­stri­el­len Kom­plex aus­ge­hen, wie es bereits vor cir­ca 60 Jah­ren US-Prä­si­dent Eisen­hower aus­drück­te – er ver­wies auf die Gefah­ren des »Zusam­men­spiels eines gewal­ti­gen mili­tä­ri­schen Estab­lish­ments und einer Rüstungs-Groß­in­du­strie«, die er als »eine neue Erfah­rung für Ame­ri­ka« bezeich­ne­te. Er warn­te Regie­rungs­krei­se: »Wir müs­sen uns davor hüten, dass der mili­tä­risch-indu­stri­el­le Kom­plex unbe­fugt Ein­fluss aus­übt, ob dies nun beab­sich­tigt oder unbe­ab­sich­tigt geschieht. Das Poten­ti­al für den kata­stro­pha­len Anstieg unan­ge­brach­ter Macht besteht und wird wei­ter bestehen.«