Am 7. Oktober fuhr ich mit dem Zug nach Südschweden, um meine dorthin ausgewanderte Tochter und meine Enkelin zu besuchen. Im Gepäck die Thüringer Landeszeitung, die ihren Politikteil mit dem ersten Jahrestag des Überfalls der Hamas auf Israel aufgemacht hatte. Unter der Überschrift »Jede Sekunde, die vergeht, kann die letzte ihres Lebens sein« nimmt der hochemotionale Bericht über die 101 Geiseln, die sich noch in der Gewalt der Hamas befinden, mehr als zwei Drittel der Seite ein. 10 Prozent des Textes widmen sich der Tatsache, dass sich israelische Studenten mit Antisemitismus an deutschen Universitäten konfrontiert sehen. Ca. 20 Prozent des Platzes wird den Menschen im Gazastreifen gewidmet. Ein Palästinenser schildert den Verlauf des 7. Oktobers und die Angst vor der Gegenreaktion Israels. Im Sommer steht er vor den Trümmern seines Hauses. Alle Artikel des Ressorts schildern die Gefühlslagen Betroffener.
Als ich meiner Tochter von dieser Tendenz in der heimischen Presse erzähle – die TLZ ist beileibe nicht das einzige Blatt, das so berichtet – schiebt sie mir die Zeitung NORRA SKÅNE (Nördliches Schonen) vom 7. Oktober über den Tisch, ihre Regionalzeitung. Wir erfahren, wie auch in anderen schwedischen Medien, eine völlig andere Art der Information. Unter der Überschrift: »Ein Jahr seit dem Hamasangriff – das ist das Kriegsjahr in Zahlen« zieht das Blatt eine Faktenbilanz. Der Terroranschlag der Hamas war der Beginn des Krieges zwischen Israel und der Hamas, der zehntausenden Palästinensern das Leben kostete. Nach Angaben des von der Hamas geführten Gesundheitsministeriums im Gaza, das in seinen Statistiken nicht zwischen Zivilisten und Hamaskämpfern unterscheidet, wurden im Krieg zwischen Israel und der Hamas im Gaza über 41.000 Menschen getötet und über 96.000 verletzt. Israelische Quellen behaupten stattdessen, dass 17.000 Hamasterroristen während des Krieges in Gaza getötet wurden, Zahlen über die getöteten Zivilisten werden nicht angegeben. Israel erklärt, dass der Grund für das Töten von Zivilisten darin liege, dass sich die Hamas in dicht besiedelten Gebieten unter Zivilisten verstecke.
Beim Angriff der Hamas auf Israel vor einem Jahr waren mehr als 1000 Menschen umgebracht worden, die allermeisten davon waren zivile Personen. Nach israelischen Angaben befinden sich heute noch 100 Geiseln in der Gewalt der Hamas. UN-Schätzungen besagen, dass mindestens 1,9 Millionen Menschen wegen des Krieges im Gaza fliehen mussten, mehr als 90 Prozent der gesamten Bevölkerung. 68 Prozent des Ackerlandes wurde durch den Krieg beschädigt. Die UN-Satellitenagentur UNASAT wertete im August Bilder aus, die zeigen, dass auch 68 Prozent der Straßen zerstört sind. Darüber hinaus wurde ein großer Teil der Krankenhäuser entweder vollständig zerstört oder beschädigt. Nach Informationen der WHO sind von einst 36 Krankenhäusern nur noch 17 funktionsfähig. Und die auch nur teilweise. Fast 90 Prozent der Schulgebäude in Gaza sind beschädigt oder ganz zerstört. 625.000 Schüler konnten ihre Ausbildung nicht fortsetzen, so der UN-Fonds für Ausbildung in Krisensituationen ECW.
Nach israelischen Angaben wurden 346 israelische Soldaten in Gaza oder an der israelischen Grenze seit Beginn der israelischen Bodenoperationen getötet und 2300 israelische Soldaten verwundet.
Regionale Printmedien zweier Länder, die völlig verschiedene Auffassungen darüber vertreten, worin ihr Auftrag besteht und was den Lesern an Gefühlen und Fakten zuzumuten ist, um sich eine eigene Meinung bilden zu können.