Das ist die entscheidende Frage unserer Zeit!
Bis zum Eklat im Weißen Haus wollte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj den Krieg fortsetzen, »und zwar mit amerikanischer Unterstützung. Denn nur mit amerikanischer Unterstützung würde das überhaupt Sinn machen«, meint General Kujat im Interview mit der Weltwoche. Wer »ein wenig Einblick in Strategie und Sicherheitspolitik hat«, dem müsste klar sein, »dass dieser Krieg nicht zu gewinnen ist«. Harald Kujat hat das schon lange vorausgesagt, gegen einen medialen Mainstream von Generalen außer Diensten und anderen vermeintlichen Experten. Sie redeten »stärkere« und »mehr« Waffen fürs Schlachtfeld herbei, um die Ukraine in die Offensive zu bringen. Ein einziger größerer Versuch scheiterte jedoch, musste aufgrund von Waffenungleichheit scheitern. Massenhafter Tod und verlängertes Leiden wurde in Kauf genommen. Im Grundsatz – und das ist von allen klugen Militärstrategen vorhergesagt worden – war ein Krieg gegen das größte Land der Erde, mit mehr als dreimal so vielen Einwohnern, einem viel größeren Potenzial an Soldaten und Waffen und vor allem der stärksten Atomwaffenmacht der Erde, nicht zu gewinnen. Fehler als generelle Unfähigkeit der russischen Armee zu interpretieren, erwiesen sich als vorübergehend und als Fehleinschätzung. Kujats Äußerungen dazu in Auszügen:
»Selenskyj war ja bereit, etwa das, was jetzt wieder auf der Tagesordnung steht, zuzugestehen in Verhandlungen mit Russland. Er hat Ende März, Anfang April 2022 die Verhandlungen mit Russland führen lassen, (sogar) durch seinen Fraktionsvorsitzenden in der Rada (dem ukrainischen Parlament). (…) Und er war bereit, auf die Kernforderungen, um die es jetzt wieder geht, nämlich keine Nato-Mitgliedschaft, neutraler Status für die Ukraine, keine fremden Truppen auf ukrainischem Territorium, einzugehen.
Im Gegenzug waren die Russen bereit, ihre Streitkräfte aus der Ukraine zurückzuziehen. Das ist ein Ergebnis, das heute überhaupt nicht mehr erreichbar ist. Durch die Entwicklung, die der Krieg genommen hat, ist das vorbei. (…)
Nachdem Selenskyj vom Westen nicht bei den Verhandlungen unterstützt wurde, sondern im Gegenteil, er deutlich den Widerstand auf westlicher Seite zu spüren bekommen hat, ist es zu keiner Vereinbarung mit Russland gekommen. Daraus ist eine Erwartungshaltung entstanden, die zum Teil ja auch erfüllt wurde, durch massive finanzielle und materielle Unterstützung. Jedes Mal, wenn neuere, modernere Waffen geliefert wurden, hieß es immer, es ist ein ›Game Changer‹. (…) Aber es war niemals eine Situation da, in der die Ukraine in der Lage gewesen wäre, die strategische Lage zu ihren Gunsten zu wenden.
Und noch etwas muss man anfügen: Trump hat gesagt, ›Sie spielen mit dem Risiko eines dritten Weltkrieges‹. Das ist schon lange die amerikanische Position. Nicht erst seit Trump. Auch Biden hat immer wieder gesagt, ›ich will einen dritten Weltkrieg vermeiden‹. Aber wir Europäer sind jetzt in der Situation, entscheiden zu müssen. Und ich habe den Eindruck, wir befinden uns in einer ähnlichen Lage, wie wir uns im August 1914 befunden haben. Wir müssen uns entscheiden. Es geht nicht darum, ob wir zu Selenskyj halten oder zu Trump. Es geht nicht um die Personen. Es geht um die Frage, wählen wir Krieg oder wählen wir Frieden? Das ist die entscheidende Frage. Ich habe noch keinen europäischen Politiker gehört, der ganz präzise sich dazu geäußert hat, ob er wirklich bereit ist, mit Selenskyj in den Krieg zu ziehen und aus dem Krieg in der Ukraine einen großen europäischen Krieg um die Ukraine zu führen. Aber wir müssen sehen, es geht nicht um die Personen. Ob die Personen nun richtig oder falsch sich verhalten, in der Sache. Was ihre Aussagen betrifft, hat Trump recht. Er hat gesagt, dass Selenskyj offensichtlich nicht zum Frieden bereit ist, und die Tatsachen sprechen auch dafür.
Die Amerikaner haben die Ukraine aufgefordert, Selenskyj aufgefordert, das Dekret vom 6. Oktober 2022 zurückzunehmen, in dem Selenskyj damals Verhandlungen mit Russland und insbesondere mit Putin (per Gesetz) abgelehnt hat. Das ist aber eine Voraussetzung dafür, dass es überhaupt zu Gesprächen kommt. Ich sehe keine Anzeichen dafür, dass er dazu bereit ist. Selenskyj hat noch einmal betont, er will diesen Krieg weiterführen, und er will uns dort hineinziehen, und das ist das Risiko eines dritten Weltkrieges.
Wir müssen auf der anderen Seite aber sehen, die Ukraine steht vor einer militärischen Niederlage. Und diese militärische Niederlage kann nur abgewendet werden durch einen Waffenstillstand und durch Friedensverhandlungen. Und dieses Ziel verfolgt Trump. Deshalb wäre es eigentlich unsere Verpflichtung, nicht nur weil es unser engster Verbündeter in der Nato ist, sondern auch weil er den Weg zum Frieden ebnet, einen Schulterschluss mit Trump herzustellen und auf Selenskyj einzuwirken, dass er das Angebot (…) annimmt, diesen Krieg zu beenden, bevor es zu einer katastrophalen Zerstörung des Landes kommt. (…)
Vor allen Dingen ist deutlich geworden, von Anfang an, dass sich Selenskyj der Unterstützung der Vereinigten Staaten schon damals nicht sicher war. Nun versucht er, die Europäer noch stärker in diese Unterstützerrolle hineinzubringen. Aber ihm ist auch klar, das hat er mehrfach geäußert, und ich habe das selbst auch schon häufig gesagt, die Europäer können die Amerikaner nicht ersetzen. Sie können nicht ausgleichen – weder finanziell noch materiell –, was die Amerikaner bisher geleistet haben. Aber was noch viel wichtiger ist, sie können bestimmte Unterstützungsleistungen, die nur die Amerikaner erbringen können, nicht erbringen. Und das sind Unterstützungsleistungen, die entscheidend sind für den Kriegsverlauf. Und das bedeutet, wenn die Vereinigten Staaten jetzt die Unterstützung einstellen sollten, weil Selenskyj weiter nicht zur Verhandlung bereit ist, werden die Europäer diesen zweiten Teil nicht erbringen können.
Das heißt, die Dauer bis zur militärischen Niederlage der Ukraine verkürzt sich. Der Niedergang beschleunigt sich. Und wir Europäer übernehmen dann die Verantwortung für die militärische Niederlage der Ukraine. Ich glaube, das müssen wir uns vor Augen halten. Und für alles, was danach kommt, von dem Zeitpunkt an, wo die Europäer sagen, ganz gleich, was die Amerikaner machen, wenn sie jetzt rausgehen, ist das in Ordnung, dann machen wir eben weiter. Von diesem Augenblick liegt die Verantwortung für die Zukunft der Ukraine militärisch, politisch, wirtschaftlich in unserer Hand.
Aber wie manche Experten auch in den letzten Tagen schon behauptet haben, er würde die Nato zertrümmern, das sehe ich nicht. Ich bin der Überzeugung, dass die Amerikaner ihr Engagement in Europa als Verbündete in der Nato reduzieren werden. Und im gleichen Atemzug verlangen sie, dass die Europäer dies durch Eigenleistung kompensieren. Das heißt, Trump verfolgt eine Politik gegenüber Europa des Disengagements. Und zwar gegenüber Europa insgesamt, gegenüber der Nato auch, aber auch gegenüber Russland. Und das zeigt auch der Verhandlungsansatz, soweit er jedenfalls jetzt bekannt ist, dass Trump bereit ist, Russland in der Ukraine sozusagen eine Pufferzone, einen Cordon sanitär zuzugestehen.
Das ist etwas, was die Russen seit Mitte der 90er Jahre immer wieder gefordert haben. Mit der Begründung eben, dass dies eine Zone sei, in der Spannungen entstehen könnten, die sich ausweiten, die zu einem Konflikt führen könnten zwischen der Nato und Russland. Und das wollten sie vermeiden.
Dazu ist er bereit. Er ist auf der anderen Seite auch bereit, das Verhältnis in Europa gegenüber Russland zu stabilisieren, also zu normalisieren, würde ich sagen. Das beginnt schon damit, dass jetzt wieder Botschafter ausgetauscht werden.
Insofern ist die Befriedung des Ukraine-Krieges nicht das eigentliche Ziel an sich, sondern es ist sozusagen der Korken auf einer Flasche. Und wenn der herausgezogen wird, dann ergeben sich Möglichkeiten, auf der Grundlage des dann Erreichten eine stabile europäische Sicherheitsarchitektur aufzubauen, mit Russland zu einem normalen Verhältnis zu kommen, dann aber auch Rüstungskontrollmaßnahmen einzuleiten, vertrauensvolle militärische Maßnahmen abzusprechen, ähnliches mehr. Ein stabiler europäischer Kontinent würde es Trump erlauben, sich dem zuzuwenden, was die eigentliche Herausforderung für die Vereinigten Staaten ist, nämlich China, dem Staat, der als einziger in der Lage ist, die Weltmachtstellung der Vereinigten Staaten zu gefährden. (…)
Wer will eigentlich als europäischer Politiker gegenüber der Geschichte verantworten, dass er sich einem kriegführenden Staat mit dem Ziel angeschlossen hat, den Krieg fortzusetzen, obwohl offensichtlich und für jedermann klar war, dass dieser Krieg nicht zu gewinnen ist?«
Bearbeitete Auszüge aus einem Interview, das die Weltwoche am 2. März 2025 mit General a. D. Harald Kujat führte, in überarbeiteter Form, dokumentiert unter: https://weltwoche.de/daily/trump-hat-recht-nato-general-harald-kujat-ueber-den-selenskyj-eklat-und-den-huehnerhaufen-in-europa/