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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Krieg oder Frieden?

Das ist die ent­schei­den­de Fra­ge unse­rer Zeit!

Bis zum Eklat im Wei­ßen Haus woll­te der ukrai­ni­sche Prä­si­dent Wolo­dym­yr Selen­skyj den Krieg fort­set­zen, »und zwar mit ame­ri­ka­ni­scher Unter­stüt­zung. Denn nur mit ame­ri­ka­ni­scher Unter­stüt­zung wür­de das über­haupt Sinn machen«, meint Gene­ral Kujat im Inter­view mit der Welt­wo­che. Wer »ein wenig Ein­blick in Stra­te­gie und Sicher­heits­po­li­tik hat«, dem müss­te klar sein, »dass die­ser Krieg nicht zu gewin­nen ist«. Harald Kujat hat das schon lan­ge vor­aus­ge­sagt, gegen einen media­len Main­stream von Gene­ra­len außer Dien­sten und ande­ren ver­meint­li­chen Exper­ten. Sie rede­ten »stär­ke­re« und »mehr« Waf­fen fürs Schlacht­feld her­bei, um die Ukrai­ne in die Offen­si­ve zu brin­gen. Ein ein­zi­ger grö­ße­rer Ver­such schei­ter­te jedoch, muss­te auf­grund von Waf­fen­un­gleich­heit schei­tern. Mas­sen­haf­ter Tod und ver­län­ger­tes Lei­den wur­de in Kauf genom­men. Im Grund­satz – und das ist von allen klu­gen Mili­tär­stra­te­gen vor­her­ge­sagt wor­den – war ein Krieg gegen das größ­te Land der Erde, mit mehr als drei­mal so vie­len Ein­woh­nern, einem viel grö­ße­ren Poten­zi­al an Sol­da­ten und Waf­fen und vor allem der stärk­sten Atom­waf­fen­macht der Erde, nicht zu gewin­nen. Feh­ler als gene­rel­le Unfä­hig­keit der rus­si­schen Armee zu inter­pre­tie­ren, erwie­sen sich als vor­über­ge­hend und als Fehl­ein­schät­zung. Kujats Äuße­run­gen dazu in Auszügen:

»Selen­skyj war ja bereit, etwa das, was jetzt wie­der auf der Tages­ord­nung steht, zuzu­ge­ste­hen in Ver­hand­lun­gen mit Russ­land. Er hat Ende März, Anfang April 2022 die Ver­hand­lun­gen mit Russ­land füh­ren las­sen, (sogar) durch sei­nen Frak­ti­ons­vor­sit­zen­den in der Rada (dem ukrai­ni­schen Par­la­ment). (…) Und er war bereit, auf die Kern­for­de­run­gen, um die es jetzt wie­der geht, näm­lich kei­ne Nato-Mit­glied­schaft, neu­tra­ler Sta­tus für die Ukrai­ne, kei­ne frem­den Trup­pen auf ukrai­ni­schem Ter­ri­to­ri­um, einzugehen.

Im Gegen­zug waren die Rus­sen bereit, ihre Streit­kräf­te aus der Ukrai­ne zurück­zu­zie­hen. Das ist ein Ergeb­nis, das heu­te über­haupt nicht mehr erreich­bar ist. Durch die Ent­wick­lung, die der Krieg genom­men hat, ist das vorbei. (…)

Nach­dem Selen­skyj vom Westen nicht bei den Ver­hand­lun­gen unter­stützt wur­de, son­dern im Gegen­teil, er deut­lich den Wider­stand auf west­li­cher Sei­te zu spü­ren bekom­men hat, ist es zu kei­ner Ver­ein­ba­rung mit Russ­land gekom­men. Dar­aus ist eine Erwar­tungs­hal­tung ent­stan­den, die zum Teil ja auch erfüllt wur­de, durch mas­si­ve finan­zi­el­le und mate­ri­el­le Unter­stüt­zung. Jedes Mal, wenn neue­re, moder­ne­re Waf­fen gelie­fert wur­den, hieß es immer, es ist ein ›Game Chan­ger‹. (…) Aber es war nie­mals eine Situa­ti­on da, in der die Ukrai­ne in der Lage gewe­sen wäre, die stra­te­gi­sche Lage zu ihren Gun­sten zu wenden.

Und noch etwas muss man anfü­gen: Trump hat gesagt, ›Sie spie­len mit dem Risi­ko eines drit­ten Welt­krie­ges‹. Das ist schon lan­ge die ame­ri­ka­ni­sche Posi­ti­on. Nicht erst seit Trump. Auch Biden hat immer wie­der gesagt, ›ich will einen drit­ten Welt­krieg ver­mei­den‹. Aber wir Euro­pä­er sind jetzt in der Situa­ti­on, ent­schei­den zu müs­sen. Und ich habe den Ein­druck, wir befin­den uns in einer ähn­li­chen Lage, wie wir uns im August 1914 befun­den haben. Wir müs­sen uns ent­schei­den. Es geht nicht dar­um, ob wir zu Selen­skyj hal­ten oder zu Trump. Es geht nicht um die Per­so­nen. Es geht um die Fra­ge, wäh­len wir Krieg oder wäh­len wir Frie­den? Das ist die ent­schei­den­de Fra­ge. Ich habe noch kei­nen euro­päi­schen Poli­ti­ker gehört, der ganz prä­zi­se sich dazu geäu­ßert hat, ob er wirk­lich bereit ist, mit Selen­skyj in den Krieg zu zie­hen und aus dem Krieg in der Ukrai­ne einen gro­ßen euro­päi­schen Krieg um die Ukrai­ne zu füh­ren. Aber wir müs­sen sehen, es geht nicht um die Per­so­nen. Ob die Per­so­nen nun rich­tig oder falsch sich ver­hal­ten, in der Sache. Was ihre Aus­sa­gen betrifft, hat Trump recht. Er hat gesagt, dass Selen­skyj offen­sicht­lich nicht zum Frie­den bereit ist, und die Tat­sa­chen spre­chen auch dafür.

Die Ame­ri­ka­ner haben die Ukrai­ne auf­ge­for­dert, Selen­skyj auf­ge­for­dert, das Dekret vom 6. Okto­ber 2022 zurück­zu­neh­men, in dem Selen­skyj damals Ver­hand­lun­gen mit Russ­land und ins­be­son­de­re mit Putin (per Gesetz) abge­lehnt hat. Das ist aber eine Vor­aus­set­zung dafür, dass es über­haupt zu Gesprä­chen kommt. Ich sehe kei­ne Anzei­chen dafür, dass er dazu bereit ist. Selen­skyj hat noch ein­mal betont, er will die­sen Krieg wei­ter­füh­ren, und er will uns dort hin­ein­zie­hen, und das ist das Risi­ko eines drit­ten Weltkrieges.

Wir müs­sen auf der ande­ren Sei­te aber sehen, die Ukrai­ne steht vor einer mili­tä­ri­schen Nie­der­la­ge. Und die­se mili­tä­ri­sche Nie­der­la­ge kann nur abge­wen­det wer­den durch einen Waf­fen­still­stand und durch Frie­dens­ver­hand­lun­gen. Und die­ses Ziel ver­folgt Trump. Des­halb wäre es eigent­lich unse­re Ver­pflich­tung, nicht nur weil es unser eng­ster Ver­bün­de­ter in der Nato ist, son­dern auch weil er den Weg zum Frie­den ebnet, einen Schul­ter­schluss mit Trump her­zu­stel­len und auf Selen­skyj ein­zu­wir­ken, dass er das Ange­bot (…) annimmt, die­sen Krieg zu been­den, bevor es zu einer kata­stro­pha­len Zer­stö­rung des Lan­des kommt. (…)

Vor allen Din­gen ist deut­lich gewor­den, von Anfang an, dass sich Selen­skyj der Unter­stüt­zung der Ver­ei­nig­ten Staa­ten schon damals nicht sicher war. Nun ver­sucht er, die Euro­pä­er noch stär­ker in die­se Unter­stüt­zer­rol­le hin­ein­zu­brin­gen. Aber ihm ist auch klar, das hat er mehr­fach geäu­ßert, und ich habe das selbst auch schon häu­fig gesagt, die Euro­pä­er kön­nen die Ame­ri­ka­ner nicht erset­zen. Sie kön­nen nicht aus­glei­chen – weder finan­zi­ell noch mate­ri­ell –, was die Ame­ri­ka­ner bis­her gelei­stet haben. Aber was noch viel wich­ti­ger ist, sie kön­nen bestimm­te Unter­stüt­zungs­lei­stun­gen, die nur die Ame­ri­ka­ner erbrin­gen kön­nen, nicht erbrin­gen. Und das sind Unter­stüt­zungs­lei­stun­gen, die ent­schei­dend sind für den Kriegs­ver­lauf. Und das bedeu­tet, wenn die Ver­ei­nig­ten Staa­ten jetzt die Unter­stüt­zung ein­stel­len soll­ten, weil Selen­skyj wei­ter nicht zur Ver­hand­lung bereit ist, wer­den die Euro­pä­er die­sen zwei­ten Teil nicht erbrin­gen können.

Das heißt, die Dau­er bis zur mili­tä­ri­schen Nie­der­la­ge der Ukrai­ne ver­kürzt sich. Der Nie­der­gang beschleu­nigt sich. Und wir Euro­pä­er über­neh­men dann die Ver­ant­wor­tung für die mili­tä­ri­sche Nie­der­la­ge der Ukrai­ne. Ich glau­be, das müs­sen wir uns vor Augen hal­ten. Und für alles, was danach kommt, von dem Zeit­punkt an, wo die Euro­pä­er sagen, ganz gleich, was die Ame­ri­ka­ner machen, wenn sie jetzt raus­ge­hen, ist das in Ord­nung, dann machen wir eben wei­ter. Von die­sem Augen­blick liegt die Ver­ant­wor­tung für die Zukunft der Ukrai­ne mili­tä­risch, poli­tisch, wirt­schaft­lich in unse­rer Hand.

Aber wie man­che Exper­ten auch in den letz­ten Tagen schon behaup­tet haben, er wür­de die Nato zer­trüm­mern, das sehe ich nicht. Ich bin der Über­zeu­gung, dass die Ame­ri­ka­ner ihr Enga­ge­ment in Euro­pa als Ver­bün­de­te in der Nato redu­zie­ren wer­den. Und im glei­chen Atem­zug ver­lan­gen sie, dass die Euro­pä­er dies durch Eigen­lei­stung kom­pen­sie­ren. Das heißt, Trump ver­folgt eine Poli­tik gegen­über Euro­pa des Dis­en­ga­ge­ments. Und zwar gegen­über Euro­pa ins­ge­samt, gegen­über der Nato auch, aber auch gegen­über Russ­land. Und das zeigt auch der Ver­hand­lungs­an­satz, soweit er jeden­falls jetzt bekannt ist, dass Trump bereit ist, Russ­land in der Ukrai­ne sozu­sa­gen eine Puf­fer­zo­ne, einen Cor­don sani­tär zuzugestehen.

Das ist etwas, was die Rus­sen seit Mit­te der 90er Jah­re immer wie­der gefor­dert haben. Mit der Begrün­dung eben, dass dies eine Zone sei, in der Span­nun­gen ent­ste­hen könn­ten, die sich aus­wei­ten, die zu einem Kon­flikt füh­ren könn­ten zwi­schen der Nato und Russ­land. Und das woll­ten sie vermeiden.

Dazu ist er bereit. Er ist auf der ande­ren Sei­te auch bereit, das Ver­hält­nis in Euro­pa gegen­über Russ­land zu sta­bi­li­sie­ren, also zu nor­ma­li­sie­ren, wür­de ich sagen. Das beginnt schon damit, dass jetzt wie­der Bot­schaf­ter aus­ge­tauscht werden.

Inso­fern ist die Befrie­dung des Ukrai­ne-Krie­ges nicht das eigent­li­che Ziel an sich, son­dern es ist sozu­sa­gen der Kor­ken auf einer Fla­sche. Und wenn der her­aus­ge­zo­gen wird, dann erge­ben sich Mög­lich­kei­ten, auf der Grund­la­ge des dann Erreich­ten eine sta­bi­le euro­päi­sche Sicher­heits­ar­chi­tek­tur auf­zu­bau­en, mit Russ­land zu einem nor­ma­len Ver­hält­nis zu kom­men, dann aber auch Rüstungs­kon­troll­maß­nah­men ein­zu­lei­ten, ver­trau­ens­vol­le mili­tä­ri­sche Maß­nah­men abzu­spre­chen, ähn­li­ches mehr. Ein sta­bi­ler euro­päi­scher Kon­ti­nent wür­de es Trump erlau­ben, sich dem zuzu­wen­den, was die eigent­li­che Her­aus­for­de­rung für die Ver­ei­nig­ten Staa­ten ist, näm­lich Chi­na, dem Staat, der als ein­zi­ger in der Lage ist, die Welt­macht­stel­lung der Ver­ei­nig­ten Staa­ten zu gefährden. (…)

Wer will eigent­lich als euro­päi­scher Poli­ti­ker gegen­über der Geschich­te ver­ant­wor­ten, dass er sich einem krieg­füh­ren­den Staat mit dem Ziel ange­schlos­sen hat, den Krieg fort­zu­set­zen, obwohl offen­sicht­lich und für jeder­mann klar war, dass die­ser Krieg nicht zu gewin­nen ist?«

Bear­bei­te­te Aus­zü­ge aus einem Inter­view, das die Welt­wo­che am 2. März 2025 mit Gene­ral a. D. Harald Kujat führ­te, in über­ar­bei­te­ter Form, doku­men­tiert unter: https://weltwoche.de/daily/trump-hat-recht-nato-general-harald-kujat-ueber-den-selenskyj-eklat-und-den-huehnerhaufen-in-europa/