Skip to content

Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

Menu
Menu

Krieg als Beruf

Gab es Krie­ge schon immer? Eher nicht. Zumin­dest unter­schie­den sich bewaff­ne­te Aus­ein­an­der­set­zun­gen zwi­schen Ange­hö­ri­gen vor­mo­dern leben­der Völ­ker­schaf­ten und Zivi­li­sa­tio­nen, die zumeist als Moti­va­ti­on ganz gewöhn­li­chen Raub oder aber simp­len Streit um die Nut­zung von Natur­res­sour­cen hat­ten, ganz wesent­lich von den moder­nen Krie­gen. Solch frü­he Aus­ein­an­der­set­zun­gen soll­te man natür­lich weder ver­schwei­gen noch idea­li­sie­ren. Die frü­hen bewaff­net aus­ge­tra­ge­nen Strei­tig­kei­ten waren von ihren Aus­wir­kun­gen her mit unse­ren moder­nen Krie­gen aber kaum vergleichbar.

Das Mili­tär als tra­gen­de Kraft der­zei­tig toben­der Krie­ge bil­de­te sich jeden­falls in sei­ner jet­zi­gen Gestalt erst wäh­rend der letz­ten Jahr­hun­der­te her­aus. Und es unter­schei­det sich wesent­lich von den Bau­ern- und Bür­ger­mi­li­zen sowie Abtei­lun­gen adli­ger Rit­ter des euro­päi­schen Hoch­mit­tel­al­ters. An die Stel­le des zeit­wei­se rekru­tier­ten Hand­wer­kers oder Agrar­pro­du­zen­ten und des adli­gen Schla­ge­tots trat nun der bezahl­te Berufs­söld­ner, der für Geld alles tat, was der jewei­li­ge Kriegs­herr von ihm ver­lang­te. Bei die­sen Emp­fän­gern von Sold han­del­te es sich tat­säch­lich um die ersten moder­nen Lohn­ar­bei­ter, die ihr Leben voll­stän­dig durch Geld­ein­kom­men bestrit­ten und auch bestrei­ten muss­ten. Und bei den frü­hen Kriegs­her­ren, die die­se Söld­ner­hau­fen anführ­ten und bezahl­ten, han­del­te es sich um die ersten Vor­läu­fer der ent­ste­hen­den Kapi­ta­li­sten­klas­se. Denn die­se neue Art von Kriegs­füh­rung gehorch­te einer eher simp­len, aber über­zeu­gen­den Logik: Der Gewinn – bei­spiels­wei­se in Gestalt von Beu­te – soll­te nach Mög­lich­keit grö­ßer sein als die Sum­me der Kriegs­ko­sten. Die end­gül­ti­ge Durch­set­zung die­ser Logik mar­kiert den Trenn­strich zwi­schen vor­mo­der­nen Aus­ein­an­der­set­zun­gen und moder­nem Krieg.

Ermög­licht und beför­dert wur­de die Ent­wick­lung hin zum mili­tä­ri­schen Spe­zia­li­sten­tum durch Tech­no­lo­gie­schü­be. Gin­gen im Früh­mit­tel­al­ter die feind­li­chen Kämp­fer noch mit hand­ge­schmie­de­ten Schwer­tern und Spie­ßen auf­ein­an­der los und such­ten sich mit pri­mi­ti­ven Har­ni­schen und Rüstun­gen vor den Waf­fen der Gegen­sei­te zu schüt­zen, so kam es nun zur Ent­wick­lung von kom­pli­zier­te­ren Fernwaffen.

Wann die Arm­brust als neu­ar­ti­ge Distanz­waf­fe erfun­den und erst­mals benutzt wur­de, ist unter Histo­ri­kern umstrit­ten. Nach­ge­wie­sen ist, dass das zwei­te Late­r­an­kon­zil im Jah­re 1129 u. Z. den Ein­satz die­ses Kriegs­in­stru­ments gegen Chri­sten und Katho­li­ken ver­bot. Ermög­lich­ten es doch Distanz­waf­fen wie die Arm­brust oder auch der vom Kon­zil eben­falls ver­bo­te­ne eng­li­sche Lang­bo­gen, dass die hoch­trai­nier­ten und schwer­ge­pan­zer­ten adli­gen Rit­ter durch den gering­sten Kriegs­knecht vom Schlacht­ross geholt wer­den konn­ten. Durch­set­zen ließ sich das vom katho­li­schen Kle­rus erlas­se­ne Ver­bot schon damals frei­lich nicht. Die Arm­brust erwies sich als per­fek­te Waf­fe für Angrif­fe aus dem Hin­ter­halt, wur­de zur Haupt­waf­fe von Räu­bern, Rebel­len und son­sti­gen Geäch­te­ten. Die Legen­de von Wil­helm Tell, Grün­dungs­my­thos der Schwei­zer Eid­ge­nos­sen­schaft, legt davon ein spä­tes Zeug­nis ab.

Ein ganz wesent­li­cher Schub in Rich­tung Moder­ni­sie­rung setz­te dann aber erst durch die Erfin­dung des Schieß­pul­vers bzw. des­sen Ver­brei­tung im west­eu­ro­päi­schen Raum ein. Ob nun tat­säch­lich das Expe­ri­ment eines mit­tel­al­ter­li­chen Mönchs Aus­lö­ser die­ser Erfin­dung war, ist in der Geschichts­schrei­bung eben­falls umstrit­ten. Die Chi­ne­sen nutz­ten das Schwarz­pul­ver jeden­falls schon lan­ge Zeit vor­her, haupt­säch­lich für Feu­er­wer­ke. Wahr­schein­lich ver­brei­te­te es sich durch Han­dels­kon­tak­te im 13. Jahr­hun­dert nach West­eu­ro­pa – was zum Sie­ges­zug der neu­en Mili­tär­tech­no­lo­gie führ­te. In jedem Fall ist aus dem Jahr 1334 erst­mals der Ein­satz eines Geschüt­zes nach­ge­wie­sen. Sehr schnell ris­sen sich dann wäh­rend der blu­ti­gen Wir­ren des aus­ge­hen­den Mit­tel­al­ters klei­ne und gro­ße Feu­dal­her­ren, Kir­chen­für­sten und Stadt­ob­rig­kei­ten um den Besitz der neu­en Waf­fe. Fried­rich Engels schrieb im »Ursprung der Fami­lie, des Pri­vat­ei­gen­tums und des Staa­tes« dazu tref­fend: »Für die Wild­heit war Bogen und Pfeil, was das eiser­ne Schwert für die Bar­ba­rei und das Feu­er­rohr für die Zivi­li­sa­ti­on: die ent­schei­den­de Waffe.«

Zur Pro­duk­ti­on der Feu­er­waf­fen bedurf­te es aller­dings nicht mehr der Werk­stät­ten simp­ler Dorf­schmie­de, son­dern immer auf­wän­di­ger arbei­ten­der Pro­duk­ti­ons­stät­ten. Und im Ver­lauf der For­mie­rungs­krie­ge des 14./15. Jahr­hun­derts trat dann end­gül­tig an die Stel­le des ana­chro­ni­stisch gewor­de­nen rit­ter­li­chen Schla­ge­tots der mit Feu­er­waf­fen aus­ge­rü­ste­te und aus­ge­bil­de­te Berufssöldner.

Auf die Her­aus­bil­dung erster Natio­nal­staa­ten folg­te sehr schnell die Eska­la­ti­on mili­tä­ri­scher Aus­ein­an­der­set­zun­gen. Das war logisch und fol­ge­rich­tig: Was in der spät­feu­da­len Zeit noch eher simp­le Strei­tig­kei­ten um den Besitz von Län­de­rei­en waren, ent­wickel­te sich mit der Her­aus­bil­dung des Früh­ka­pi­ta­lis­mus zum Kon­kur­renz­kampf zwi­schen ent­ste­hen­den Volks­wirt­schaf­ten. Die spät­feu­da­len Poten­ta­ten waren infol­ge der in die­sem Kon­text enorm anwach­sen­den Rüstungs­ko­sten gezwun­gen, sich zuerst bei städ­ti­schen Ban­kiers zu ver­schul­den und dann die Inter­es­sen ihrer Gläu­bi­ger wahr­zu­neh­men. In Gestalt gewinn­träch­ti­ger Han­dels­mo­no­po­le eröff­ne­te sich für die euro­päi­schen Mon­ar­chen schließ­lich eine Alter­na­ti­ve, mit der sie sowohl ihren aus­ufern­den Finanz­be­darf decken als auch aus der erdrücken­den Schul­den­last wie­der her­aus­zu­kom­men mein­ten. Sol­che Mono­po­le kol­li­dier­ten aller­dings mit den Inter­es­sen ande­rer Akteu­re der dama­li­gen Han­dels­net­ze. Zahl­rei­che mili­tä­ri­sche Aus­ein­an­der­set­zun­gen die­ser Zeit waren tat­säch­lich Han­dels­krie­ge. Karl Marx beschrieb in sei­nem Haupt­werk »Das Kapi­tal« die­se frü­he Pha­se des Kapi­ta­lis­mus als »Han­dels­krieg der euro­päi­schen Natio­nen, mit dem Erd­rund als Schauplatz«.

Das Über­schwap­pen der früh­ka­pi­ta­li­sti­schen Han­dels­krie­ge von Euro­pa auf das »Erd­rund« begann im spä­ten 15. Jahr­hun­dert. Das bis dahin im euro­päi­schen Macht­ge­fü­ge eher unbe­deu­ten­de König­reich Por­tu­gal hat­te im Jah­re 1498 einen neu­en See­weg um die Süd­spit­ze Afri­kas her­um nach Indi­en erschlos­sen. Por­tu­gie­si­sche Kriegs­schif­fe konn­ten dann dank ihrer mili­tär­tech­ni­schen Über­le­gen­heit den bis dahin mus­li­misch domi­nier­ten See­han­del auf dem Indi­schen Oze­an unter ihre Kon­trol­le brin­gen und so ihrem Königs­haus für meh­re­re Jahr­zehn­te das Mono­pol auf den Han­del mit in Euro­pa begehr­ten Gewür­zen sichern. Nicht weni­ge an der Küste Ost­afri­kas, im Süden Ara­bi­ens und an den Küsten Indi­ens gele­ge­ne Han­dels­städ­te wur­den unter den dro­hen­den Mün­dun­gen por­tu­gie­si­scher Geschüt­ze genö­tigt, für sie ungün­sti­ge Ver­trä­ge zu unter­zeich­nen. Städ­te, die sich den ihnen auf­er­leg­ten Han­dels­dik­ta­ten nicht beu­gen woll­ten und gefor­der­te Tri­but­zah­lun­gen ver­wei­ger­ten, wur­den ent­we­der geplün­dert oder aber mit­tels Schiffs­ar­til­le­rie in Trüm­mer gelegt.

Rie­sen­ge­win­ne aus Han­del und kaum ver­bräm­tem Raub flos­sen in der Fol­ge an den por­tu­gie­si­schen Hof. König Manu­el I. galt plötz­lich als reich­ster Mon­arch Euro­pas. Dies weck­te die Begehr­lich­keit ande­rer euro­päi­scher Mäch­te, wie Eng­land, Hol­land oder Däne­mark, die sich ihren Anteil sichern woll­ten – und das heu­ti­ge Indo­ne­si­en sowie gro­ße Tei­le Ost­afri­kas und Indi­ens in ihren Besitz nahmen.

Schon im Früh­ka­pi­ta­lis­mus hat­ten die eska­lie­ren­den Han­dels­krie­ge sowie die neu ent­wickel­te Feu­er­waf­fe eine bis dahin bei­spiel­lo­se Mili­ta­ri­sie­rung der west- und mit­tel­eu­ro­päi­schen Regio­nen zur Fol­ge – in ver­schie­de­nen Herr­schafts­be­rei­chen wuchs die Zahl der Streit­kräf­te in den Jah­ren von 1500 bis 1700 um das Viel­fa­che. In dem Zusam­men­hang erfolg­te eine schritt­wei­se Umwand­lung der früh­ka­pi­ta­li­sti­schen Hau­fen von Söld­nern, die sich für Geld an jeden inter­es­sier­ten Kriegs­her­ren feil­bo­ten, in bür­ger­li­che Natio­nal­ar­meen. Erste Anfän­ge einer Wehr­pflicht datie­ren schon aus dem 17. Jahr­hun­dert – im 19. Jahr­hun­dert dekre­tier­ten dann fast alle euro­päi­schen Mäch­te eine Zwangs­re­kru­tie­rung von Tei­len der Bevölkerung.

Die Ent­wick­lung der kapi­ta­li­sti­schen Wirt­schaft ist zum Sie­ges­zug einer »Rüstungs- und Todes­in­du­strie« (Robert Kurz) gewor­den, die die neu ent­stan­de­ne Gesell­schaft nie abzu­strei­fen ver­moch­te und wohl auch nie ver­mag. Die sich kapi­ta­li­stisch ent­wickel­ten Mäch­te gerie­ten nicht sel­ten um die Kon­trol­le von Roh­stoff­quel­len, Absatz­märk­ten und Han­dels­rou­ten ein­an­der mili­tä­risch in die Haa­re. Ein Bei­spiel: Das bür­ger­lich auf­stre­ben­de Frank­reich besetz­te unter dem selbst­er­nann­ten Kai­ser Napo­le­on I. fast ganz Euro­pa, um so die Kon­kur­renz der bri­ti­schen Volks­wirt­schaft aus­zu­schal­ten – was ihm frei­lich nicht gelang. Noch hef­ti­ger aller­dings wur­den die mili­tä­ri­schen Zusam­men­stö­ße in der ersten Hälf­te des 20. Jahr­hun­derts, als ver­schie­de­ne Zuspät­kom­mer in der Rei­he euro­päi­scher Natio­nal­staa­ten – dar­un­ter das ent­ste­hen­de Deut­sche Reich – ver­such­ten, den Vor­sprung der füh­ren­den kapi­ta­li­sti­schen Mäch­te ein­zu­ho­len. Das Ergeb­nis war eine Rei­he ent­setz­li­cher Krie­ge inklu­si­ve Mas­sen­mor­de an völ­lig unbe­tei­lig­ter Zivilbevölkerung.

Auf die ersten moder­nen Krie­ge und die stän­dig zuneh­men­de Tech­ni­sie­rung des Mili­tärs folg­ten indu­stri­el­le Revo­lu­tio­nen: Die frü­hen Kano­nen, Haken­büch­sen und Mus­ke­ten wur­den schritt­wei­se zu Schnell­feu­er­ge­weh­ren, weit­tra­gen­den Geschüt­zen und Rake­ten­wer­fern. Rei­ter­hee­re rüste­te man um auf Pan­zer und gepan­zer­te Fahr­zeu­ge, erste Kriegs­schif­fe mutier­ten zu Pan­zer­kreu­zern- und U-Boot­flot­ten. Die Erfin­dung des Flug­zeugs führ­te fol­ge­rich­tig zur Mili­ta­ri­sie­rung des Luft­raums, aus der Ent­wick­lung der Infor­ma­ti­ons­tech­no­lo­gie folg­te zwangs­läu­fig der Cyber­war. Sei­nen (bis­her) schau­er­lich­sten Höhe­punkt erreich­te der Wett­lauf mili­tä­ri­scher Hoch­rü­stung durch die Ent­wick­lung von Atom-, Was­ser­stoff- und Neu­tro­nen­bom­ben. Finan­ziers der Rüstungs­pro­duk­ti­on waren und sind nun nicht mehr beu­te­gie­ri­ge Kriegs­her­ren und abso­lu­ti­sti­sche Herr­scher, son­dern ganz nor­ma­le kapi­ta­li­sti­sche Groß­un­ter­neh­men und Regierungsbürokraten.

Ange­wi­dert von den grau­si­gen Gemet­zeln des Welt­krie­ges Num­mer Eins hat­te Kurt Tuchol­sky schon im Jah­re 1931 in der Die Weltbühne den Krieg bit­ter­bö­se, aber tref­fend cha­rak­te­ri­siert: »Da gab es vier Jah­re lang gan­ze Qua­drat­mei­len Lan­des, auf denen war Mord obli­ga­to­risch, wäh­rend er, eine hal­be Stun­de davon ent­fernt, eben­so streng ver­bo­ten war. Sag­te ich: Mord? Natür­lich Mord. Sol­da­ten sind Mör­der.« Bekannt­lich wur­de der Weltbühne-Her­aus­ge­ber Carl von Ossietzky nach Abdruck die­ses Tex­tes wegen »Ver­un­glimp­fung der Reichs­wehr« inhaf­tiert und angeklagt.

Einen drit­ten Welt­krieg gab es dank des lan­ge Zeit andau­ern­den mili­tä­ri­schen Gleich­ge­wichts zwi­schen den ent­wickel­ten Mäch­ten (zum Glück) bis­her nicht. Auf den statt­des­sen meh­re­re Jah­re andau­ern­den Moder­ni­sie­rungs­schub in Gestalt von Mikro­elek­tro­nik und Netz­tech­no­lo­gie folg­te nun aber wie­der ein­mal eine umfas­sen­de Wirt­schafts­kri­se inklu­si­ve auch mili­tä­risch aus­ge­tra­ge­ner Ver­tei­lungs­kämp­fe. So etwas wie ewi­gen Frie­den kann es im Kapi­ta­lis­mus nicht geben – die­ser ist vom Grund­satz her eine Gesell­schaft ein­an­der zer­flei­schen­der Kon­kur­renz­sub­jek­te. Das Ende des Kapi­ta­lis­mus erfolgt wohl irgend­wann in Gestalt einer Gemenge­la­ge blu­tig aus­ge­tra­ge­ner Ver­tei­lungs­kämp­fe. Robert Kurz schrieb dazu: »Die Öko­no­mie des Todes wird das unheim­li­che Erbe der moder­nen markt­wirt­schaft­li­chen Gesell­schaft blei­ben, bis der Kil­ler-Kapi­ta­lis­mus sich selbst zer­stört hat.«