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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Krieg

»Wie? Die Sitt­lich­keit will Duell-Man­da­te nur Ein­zel­we­sen, nicht Völ­kern geben? Eher müss­te sie die Zwei­kämp­fe als die Mil­lio­nen-Kämp­fe sekun­die­ren; denn jene zeu­gen mehr Ehre, die­se mehr Unglück. – Das Unglück der Erde war bis­her, dass zwei den Krieg beschlos­sen und Mil­lio­nen ihn aus­führ­ten und aus­stan­den, indes es bes­ser, wenn auch nicht gut gewe­sen wäre, dass Mil­lio­nen beschlos­sen hät­ten und zwei gestrit­ten. Denn da das Volk fast ganz allein die gan­ze Kriegs­fracht auf Quetsch­wun­den zu tra­gen bekommt und nur wenig von dem schö­nen Frucht­kör­ben des Frie­dens, und oft die Lor­beer­krän­ze mit Pech­krän­zen erkauft; da es in die Mord-Lot­te­rie Lei­ber und Güter ein­setzt und bei der letz­ten Zie­hung (der des Frie­dens) oft sel­ber gezo­gen oder als Nie­te her­aus­kommt: So wird sei­ne ver­lie­ren­de Mehr­heit viel sel­te­ner als die erbeu­ten­de Min­der­zahl aus­ge­dehn­tes Opfern und Blu­ten beschlie­ßen. Wenn jetzt der Krieg nur wider, nicht für die Men­ge, und fast nur von ihr geführt und erdul­det wird: So wil­lig­te gewiss ein jet­zi­ges Land in einen mehr opfern­den als berei­chern­den Krieg viel lang­sa­mer als sonst die bar­ba­ri­schen, hun­gern­den Völ­ker, wel­che nicht anders sich satt essen konn­ten als mit dem Schwer­te in der Hand als Gabel.«

Wenn ein Weib sei­ne sitt­li­che Abscheu gegen den Krieg aus­spre­chen will, so muss es wohl auf sei­ner Hut sein, dass die Leser nicht weg­wer­fend die Ach­seln zucken und mei­nen: So kann mir ein Weib spre­chen! Ich habe des­halb mit den Wor­ten eines edlen deut­schen Man­nes begon­nen – mit denen unse­res Jean Paul. Sie ste­hen in sei­ner »Kriegs­er­klä­rung gegen den Krieg« in sei­nen »Däm­me­run­gen für Deutsch­land« (erschie­nen vor mehr als 200 Jah­ren, 1809. Anm. der Redak­ti­on). Und immer noch leben wir in die­sen Däm­me­run­gen! Jean Paul ist ihnen schon lan­ge ent­rückt und sieht viel­leicht, wie er so oft geschil­dert, aus sei­nen Son­nen-Höhen her­ab auf sei­ne lie­be Erde und lächelt weh­mü­tig, dass wir›s immer noch nicht wei­ter als bis zur Däm­me­rung gebracht haben, wenn auch der Gedan­ke, den viel­leicht er allein von Tau­sen­den unbe­ach­tet oder belä­chelt aus­sprach, jetzt von eben­so vie­len ihm nach­ge­spro­chen wird, der Gedan­ke: »Auf der klei­nen Erde soll­te nur ein Staat lie­gen – um den häss­li­chen Wider­streit zwi­schen Moral und Poli­tik, zwi­schen Men­schen­lie­be und Lan­des­lie­be auszutilgen.«

Da lie­gen sie vor mir, die Zei­tungs­be­rich­te von Kriegs­schau­plät­zen. Ich brau­che es nicht erst in den Zei­tun­gen zu lesen, ich les’ es auf hun­dert Gesich­tern um mich her, welch ein Unge­heu­er der Krieg ist! Da äng­sti­gen sich alte Eltern um den ein­zi­gen Sohn, der ihnen noch kei­ne Kun­de gesen­det, ob er noch lebend und unver­letzt ist, da irren Wit­wen und Wai­sen ein­her, die noch gestern glück­li­che Gat­tin­nen und glück­li­che Kin­der waren, da jam­mern Hun­der­te über ihre Lieb­lin­ge, die sie beim Abschied in der Blü­te der Kraft und Gesund­heit ver­lie­ßen und die sie nun ent­we­der gar nicht oder mit ver­stüm­mel­ten Glie­dern wiedersehen.

Aber ihr sagt, das sind nur Wei­ber-Schmer­zen, die wie­gen nichts, wo es sich um Völ­ker-Schick­sa­le han­delt! Wohl, ich sage mit euch so – aber ich bitt’ euch: Seht euch nur die­se Völ­ker-Schick­sa­le ein wenig näher an und fragt, wer die­se Kämp­fe über uns ver­hängt und wer sie entscheidet?

Ant­wort: die Regie­run­gen. War­um wür­den Län­der Krieg gegen­ein­an­der füh­ren, wenn es nicht im Inter­es­se ihrer Regie­run­gen geschä­he? Freie Völ­ker bekämp­fen ein­an­der nie­mals.

Der Text ist eine (leicht gekürz­te) Fas­sung eines Arti­kels der Frau­en­recht­le­rin und Demo­kra­tin Loui­se Otto-Peters aus dem Jah­re 1849. Sie bezog sich damals auf den 1848 ein­set­zen­den preu­ßisch-däni­schen Kon­flikt um Schles­wig-Hol­stein – so sinn­los wie jeder Krieg –, der mit wech­seln­den Erfol­gen und tau­sen­den Toten erst 1867 been­det wurde.