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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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KP Brehmers Zukünftigkeit

Arti­kel 22, Grund­ge­setz: »Die Bun­des­flag­ge ist schwarz-rot-gold.« Stimmt. Aber über die Ver­tei­lung (der Far­ben) erfährt man nichts. Klaus Peter Breh­mer berich­tig­te die Fah­ne der BRD. Dabei wur­den die Natio­nal­far­ben »gemes­sen an der Ver­mö­gens­ver­tei­lung« der Bür­ger aus­ge­rich­tet. Die Ham­bur­ger Kunst­hal­le stellt die so erneu­er­te Flag­ge zusam­men mit 200 ande­ren Wer­ken des Künst­lers, auch Fil­me, nun aus (bis 23. Juni). Titel: »Kor­rek­tur der Natio­nal­far­ben«. Und wie sieht die­ses Natio­nal­sym­bol aus? Das Schwarz ist ein schma­ler Strei­fen, der Mit­tel­stand. Das Gold, das Groß­ka­pi­tal, es beherrscht alles, blen­det die Augen. Das win­zi­ge Rot steht für die Rest-Haus­hal­te (wie Rest­müll) und ist kaum zu erken­nen. Der Künst­ler, der sich seit 1967 KP Breh­mer nann­te – als Reve­renz an die ver­bo­te­ne Kom­mu­ni­sti­sche Par­tei (KPD) –, ließ die Flag­ge 1972 auf der docu­men­ta 5 vor dem Ein­gang wehen. Die Wirt­schafts­zeit­schrift Capi­tal gab schon 1970 einen Off­set-Druck ihrem Heft bei. Bekannt wur­de Breh­mer, seit er in den 1960er Jah­ren zusam­men mit Ger­hard Rich­ter, Sig­mar Pol­ke, Kon­rad Lueg und Wolf Vostell einen »Kapi­ta­li­sti­schen Sozia­lis­mus« ins Leben rief. Ein iro­ni­sches Infra­ge­stel­len der vor­herr­schen­den Bild­spra­che der Medi­en und deren Ver­mark­tung in der Wer­bung. Der Titel des Kata­logs heißt: »Kunst ≠ Pro­pa­gan­da« (Kata­log, 232 Sei­ten, Ver­lag Koe­nig Books Lon­don, 29 €). Die Aus­stel­lung ist eine Gemein­schafts­pro­duk­ti­on der Ham­bur­ger Kunst­hal­le mit dem Neu­en Muse­um Nürn­berg, dem Geme­ent­mu­se­um in Den Haag und Arter, Istanbul.

In den Vitri­nen Bei­spie­le der von Breh­mer gesam­mel­ten Zei­tungs­aus­schnit­te und Fotos, die er – ver­frem­det – in sei­ne Wer­ke ein­be­zog. Er bezeich­ne­te das als »Ideo­lo­gi­sche Klep­to­ma­nie«. Breh­mer, 1938 in Ber­lin gebo­ren, hat­te Gra­fik stu­diert und sich schon früh eine Druck­pres­se gekauft. Was er pro­du­zier­te, nann­te er »Tri­vi­al­gra­fik«. Sym­bo­le der Natio­nal­staa­ten, zu denen – neben der Fah­ne – auch Brief­mar­ken gehö­ren, denen er sich ab 1966 wid­me­te. Die erste Mar­ke, die er wohl noch ken­nen­ge­lernt hat­te: Hit­ler – bei ihm rie­sen­groß. Dann ent­stan­den fünf­zig Brief­mar­ken in unter­schied­li­chen Grö­ßen, als Ein­zel­mo­tiv und als Serie, von der BRD und DDR, ech­te und fik­ti­ve. So eine erfun­de­ne Mar­ke mit dem Kopf Ernst Thäl­manns im Wert von 20 Pfen­ni­gen von der Deut­schen Bun­des­post – mit Stem­pel. Oder – echt? Ein Aus­wahl­beu­tel: »Deut­sche Kul­tur« mit Goe­the und Dürers Hasen (1967/​1969) – ein Kul­tur­beu­tel? Nach dem Anschluss, die­ser Wen­de, ent­stan­den Seri­en mit DDR-Moti­ven und dem grel­len Auf­kle­ber: »Bil­li­ger jetzt DM -,99«.Wie im Aus­ver­kauf. Die sozia­li­sti­schen Staa­ten, alle ent­wer­tet. Auch eine 5-Pfen­nig-Mar­ke, Deut­sche Post (DDR?) bekam ein »jetzt bil­li­ger -,99«-Zettelchen.

Ein wich­ti­ges Werk Breh­mers ist die zwei­tei­li­ge Arbeit »See­le und Gefühl eines Arbei­ters« von 1978. Sie beruht auf einer Unter­su­chung der 30er Jah­re von Rex­ford B. Her­sey über den see­li­schen Zustand von Arbei­tern wäh­rend des Pro­duk­ti­ons­pro­zes­ses. Unter­su­chungs­zeit­raum war ein Jahr. Die Ska­la geht von »sehr glück­lich und hoff­nungs­voll« bis »trau­rig, unbe­hag­lich und ängst­lich«. Ins­ge­samt zwölf Emp­fin­dun­gen. Breh­mer nahm Mil­li­me­ter­pa­pier, um dar­auf hori­zon­tal den Zeit­ab­lauf und ver­ti­kal die Stim­mungs­ska­la zu doku­men­tie­ren. Meh­re­re Arbei­ten zu dem The­ma ent­stan­den. Erst der Kata­log erschließt die Trag­wei­te die­ser, wie es der Künst­ler nann­te: Nutz­bar­ma­chung der »Tri­vi­al­gra­fik« (so der Titel einer Aus­stel­lung Breh­mers 1965 in der Gale­rie René Block in Ber­lin). Er habe, schreibt Doreen Men­de im Kata­log über die »Zukünf­tig­keit von KP Breh­mer«, mit Blick auf »die Dar­stell­bar­keit von sozia­len Pro­zes­sen«, um die Mecha­nis­men sicht­bar wer­den zu las­sen, die »visu­el­len Gram­ma­ti­ken des real exi­stie­ren­den Kapi­ta­lis­mus« ana­ly­siert. Wei­ter, Breh­mer muss »gewusst haben«, dass Her­seys Stu­di­en 1935 auf Deutsch mit einem Geleit­wort des NSDAP-Agi­ta­tors Robert Ley erschie­nen ist. Men­de erwähnt die Pro­pa­gan­da-Par­tei­ta­ge der NSDAP und Ver­ab­schie­dung der »Nürn­ber­ger Rassengesetze«.

Um 1977 ent­stand die »Kenn-Zeich­nung (1940)« genann­te Arbeit. Sie bezieht sich auf die far­bi­gen Wim­pel, die Häft­lin­ge in den Kon­zen­tra­ti­ons­la­gern cha­rak­te­ri­sie­ren soll­ten als: »Aso­zia­le, Bibel­for­scher, Akti­ons­häft­lin­ge, Arbeits­scheue, Jüdi­sche Ras­sen­schän­der, Zigeu­ner …« In der Nähe hän­gen auch Tafeln, auf denen Besu­cher ihre Kom­men­ta­re wäh­rend einer Aus­stel­lung 1973 mit Krei­de hin­ter­las­sen konn­ten. Auf der einen steht: »1919 – Rosa Luxem­burg wird unter einer SPD-Regie­rung von rech­ten Mili­tärs ermor­det und in den Land­wehr­ka­nal gewor­fen.« Dazu Krei­de­schmie­re­rei­en: »Kampf der kom­mu­ni­sti­schen Het­ze!« und »Lest Archi­pel Gulag« bis zu dem bekann­ten: »Kanacken raus aus Deutsch­land!« Ähn­lich erging es dem Text: »1944 – E. Thäl­mann KPD, R. Breit­scheidt SPD, kom­men im KZ ums Leben«. Dazu hin­ge­schmiert: »IN DER OSTZONE HEUTE IN BAUZEN [sic!] AUCH IM KZ!«. Auf der Tafel mit der Bemer­kung: »1973« ohne vor­ge­ge­be­nem Text: viel Krei­de, auch ein »Wacht auf«. Die ande­re Tafel dane­ben bevöl­kern nur Gesich­ter und dazwi­schen geschmier­te Namen: das Volk?

Schon 1968 prä­sen­tier­te Breh­mer eine »Braun­wert­ska­la«. In ver­schie­de­nen Braun­tö­nen – wie die Kar­ten eines Fächers – soll­ten die Besu­cher ihre Tages­zei­tung testen durch Auf­le­gen unter die drei Sicht­fen­ster. Was war zu sehen? Das Por­trät von Josef Goeb­bels, unter­schied­lich braun.

Breh­mers »Far­ben­geo­gra­fie« – meist Anfang der 70er Jah­re ent­stan­den – gibt Auf­schluss über »Invest­ment Cli­ma­te«, in Form einer Roll­kar­te wie aus dem Schul­un­ter­richt. Abge­bil­det ganz Süd­ame­ri­ka, in Far­ben ein­ge­teilt, von »bestens« – die gold­gel­ben Gebie­te bis zu »gefähr­lich« – die roten. Also: wo inve­stie­ren und wo auf kei­nen Fall. Zu die­sem The­ma gehö­ren auch: »Die Haar­far­ben in Frank­reich« aus einem Schul­buch von 1941. Die »Ras­sen­merk­ma­le«: loka­li­siert – im Süden die Dunk­len, im Nor­den eher arisch. Ganz hell dage­gen die in den Jah­ren 1968-1975 ent­stan­de­ne Serie »Noli me tan­ge­re«. Die­ses »Rühr-mich-nicht-an«, ein Zitat aus dem Johan­nes­evan­ge­li­um, bezeich­nend für Breh­mers »ideo­lo­gi­sche Klep­to­ma­nie«. Er eig­net es sich an, um es zu zer­stö­ren. Es ist in Blin­den­schrift mit kon­ve­xen wei­ßen Punk­ten auf wei­ßer Flä­che zu »lesen«, also nur durch Berüh­rung zu erfah­ren, was aber der Text verbietet.

Wür­de KP Breh­mer noch leben – er starb 1997 in Ham­burg, wo er auch als Pro­fes­sor an der Hoch­schu­le für Bil­den­de Kün­ste lehr­te – heu­te, im Zeit­al­ter des Inter­nets, hät­te er Mate­ri­al ohne Ende.

Wie visio­när Breh­mer war, zeigt sein 220 mal 120 Zen­ti­me­ter gro­ßes Pla­kat: »Pro­fi­lie­rungs­ver­su­che (den deut­schen Sozi­al­de­mo­kra­ten gewid­met)« – schon 1972/​73. Zu sehen ist nur das Kür­zel »SPD« in 18 Schrift­ver­sio­nen. Wel­che ist am ein­drucks­voll­sten? Breh­mer notier­te schon mal dane­ben einen Kom­men­tar, wie mit Blei­stift geschrie­ben: »Arnold Böck­lin«. Woll­te er die Par­tei auf die Toten­in­sel abschieben?