Während NATO, US- und Bundesregierung ihr Kriegsmanöver Defender 2020 durchführen, bei dem 37.000 Soldat*innen mit schwerstem Kriegsgerät bei ihrem Durchmarsch durch Deutschland unser Klima, unsere Umwelt mit massenhaftem, völlig unnötigem Kohlendioxidausstoß verschmutzen, balgen sich ein ehemaliger Bundesumweltminister, der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen – flankiert vom Bundesgesundheitsminister – sowie der ehemalige Deutschland-Chef von BlackRock um die CDU-Kanzlerkandidatur und ziehen damit alle Medienaufmerksamkeit auf sich. Defender 2020 oder gar dessen Klimarelevanz haben da medial keine Chance.
Derweil betrachten die wahren Herrscher der Republik, der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), CO2-Steuern sowieso nur unter dem Aspekt der internationalen Konkurrenzbedingungen. Dieter Kempf, BDI-Präsident, kritisiert nämlich die sowieso völlig unzureichenden Beschlüsse der Sozialdemokraten: Der CO2-Preis werde im Leitantrag für den SPD-Parteitag »rein nach sozialpolitischen Aspekten« behandelt, ohne die Wettbewerbsfähigkeit der mittelständischen Industrie zu berücksichtigen.
Freilich, man stelle sich vor, das Militär, mit dessen Ausrüstung, Logistik und »Verwendung« hohe Profite zu holen sind, würde entsprechend seinem CO2-Ausstoß beim Durchmarsch durch Deutschland zur Kasse gebeten! Da schauen die Herren Kanzlerkandidaten doch lieber weg, missachten unsere Sorge um das Klima unseres Planeten und kümmern sich um ihre Karrieren.
Denn teuer würde es für die Auftraggeber von Defender 2020, würden die dabei entstehenden CO2-Emissionen besteuert. Nur drei Beispiele:
Der amerikanische Großtransporter Galaxy verbraucht allein beim Start 3.500 Liter Treibstoff. Damit könnte ein Diesel-PKW, der zehn Liter pro 100 Kilometer verbraucht, 35.000 Kilometer fahren.
Amerikanische Kampfjets, Transporter und Kriegsschiffe brauchen Unmengen Treibstoff – und verursachen damit pro Jahr gleich viel CO2 wie die gesamte Schweiz.
Ein Eurofighter verbraucht etwa 70 bis 100 Liter Kerosin pro Minute. Allein in Ramstein finden derzeit 30.000 Starts und Landungen pro Jahr statt. Dabei werden 1,35 Milliarden Kubikmeter klimaschädliche Abgase freigesetzt.
Das Schwedische Friedensinstitut SIPRI bestätigt: 25 Prozent aller Umweltschäden weltweit verursacht das Militär. Allein um die globale Einsatzfähigkeit aufrechtzuerhalten, benötigen die Armeen ein ausgedehntes Netzwerk an Containerschiffen, Lastkraftwagen und Frachtflugzeugen, um ihre Basen und Operationen überall in der Welt zu versorgen. Die USA haben 800 Militärstützpunkte weltweit.
Wissenschaftler ermittelten, dass die US-Streitkräfte, wenn sie ein Nationalstaat wären und man nur die Emissionen aus der Kraftstoffnutzung berücksichtigen würde, der 47-größte Emittent von Treibhausgasen in der Welt wären. Damit würde das US-Militär allein mehr Emissionen verursachen als Portugal, Schweden oder Dänemark. Wir müssen davon ausgehen, dass auch deutsche und andere Armeen hohe Emissionen haben. Zahlen liegen da nicht vor.
6,5 Milliarden Euro Investitionen gegen Klimaschutz
Krieg und Militär gehören zu den größten Verbrauchern von Energie und anderen Ressourcen und verschlingen weltweit 1,8 Billionen Dollar an Rüstungsausgaben. Geld, das für Wohnungen, Schulen, Bildung, Renten, Soziales fehlt. Deutschland wird in diesem Jahr 50 Milliarden Euro fürs Militär ausgeben und ist zudem der viertgrößte Waffenexporteur weltweit. Im Rahmen der »Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit« der EU im Bereich der Sicherheits- und Verteidigungspolitik, bekannt als PESCO (Permanent Structured Cooperation), ist ein rascher und reibungsloser Transport von EU-Truppen, Kriegsgerät sowie Panzern kreuz und quer durch Europa vereinbart worden. Defender 2020 dient auch dazu, diese militärische Mobilität einem Praxistest zu unterwerfen. Um unter anderem Autobahnen panzerfit zu machen, sind erstmals Investitionen von 6,5 Milliarden Euro an EU-Geldern geplant.
Klären wir auf gegen Krieg, Waffen, Aufrüstung, Rüstungskonzerne und ihre Profiteure, die Aktionäre, dann hören wir oft den ewig gleichen Schwindel: Wir bräuchten die Aufträge, die Waffenproduktion, zum Erhalt von Arbeitsplätzen. Ist es an sich schon eine barbarische, zynische Argumentation, den Bau von Mordgerät mit Arbeitsplätzen zu legitimieren, so ist die Aussage, Arbeitsplätze in der Rüstungsindustrie seien ein wesentlicher Arbeitsplatz- und Wirtschaftsfaktor, darüber hinaus auch noch durch und durch verlogen.
Rüstungsindustrie stellt nur ein Prozent der Arbeitsplätze
Einige Zahlen: In der Rüstungsindustrie, konkreter im Bundesverband der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV), sind bei den 200 Unternehmen 135.700 Personen direkt und 273.400 indirekt beschäftigt, macht rund 410.000 Arbeitsplätze (https://www.bdsv.eu, 25.2.2020). Das ist von 43,5 Millionen Erwerbstätigen (2016) in Deutschland knapp ein Prozent. Bei der Bruttowertschöpfung, BIP, beträgt der Anteil der Rüstungsindustrie sogar nur 0,5 Prozent der 3092 Milliarden Euro des deutschen BIP. Nach BDSV-Angaben liegt die direkte beziehungsweise indirekte Bruttowertschöpfung der Unternehmen des BDSV bei 12,2 Milliarden beziehungsweise 16,2 Milliarden Euro. Aber: Wir reden von 410.000 Arbeitsplätzen – also von 410 000 Menschen und ihren Familien. Und deswegen müssen wir uns im Interesse der Beschäftigten mit der Umwandlung militärischer in zivile Produktion befassen.
Es wird schnell klar: Konversion wäre finanziell möglich, wenn politisch gewollt. Denn Strukturwandel von einer Industrie in eine andere ist im Kapitalismus zwar nicht tägliches Geschäft, aber ein relativ häufiges und normales. Denken wir nur an die Umstrukturierungen im Ruhrgebiet in den Bereichen Kohle und Stahl, an die Textilindustrie, an die Vielzahl von Insolvenzen. Auch in der Nachkriegswirtschaft kam es häufiger vor: So stellten nach dem Zweiten Weltkrieg die entsprechenden Unternehmen Kochtöpfe und Küchensiebe statt Wehrmachtshelme her. Auch direkt nach 1989, als der »Feind« verlorengegangen war, hatte Rüstungskonversion eine Hochzeit, besonders im stark von Rüstungsproduktion abhängigen Bremen, wo es sogar für zehn Jahre einen staatlichen Konversionsbeauftragten gab. Aber auch innerhalb des »normalen« Kriegsgeschäfts werden zum Beispiel mal mehr Panzer, mal weniger Panzer zur Machtdominanz gewünscht. Das ist bisher alles strukturell aufgefangen worden.
Warum also keine Konversion?
Sie steht gegen das Profitinteresse der Rüstungskonzerne, aber auch gegen die geballte Macht der – in unserem Fall deutschen – Großkonzerne. Da ihre Höchstprofite schon jahrelang nicht mehr im Inland realisiert werden können, die kaufkräftige Nachfrage wegen der zu geringen Löhne mit der hohen Produktivität der Konzerne nicht mithält, sind die Konzerne bei Strafe ihres Untergangs gezwungen, im Ausland nach Absatzmärkten, Transportwegen, nach Ressourcen und billigen Arbeitskräften, zu schauen. Dazu bedarf es wirtschaftlicher Macht. Reicht sie nicht aus, ist militärische notwendig. Dafür braucht es eine industrielle militärische Heimatbasis.
Es steht also eine mächtige Phalanx in jedem wirtschaftlich mächtigen Land den Konversionswünschen und den Bemühungen um Klimaschutz gegenüber. Sie droht den Beschäftigten und den Regierungen auf allen politischen Ebenen damit, dass es zu den Mord- und Klimakiller-Arbeitsplätzen keine Alternative gäbe. Wir erleben diese Drohungen gerade bei Airbus Defence, dem siebtgrößten Rüstungskonzern der Welt, der der deutschen Regierung und den Beschäftigten mit der Vernichtung von 2400 Stellen droht, angeblich infolge des Exportverbots für Waffen und der Verzögerung von Großaufträgen wie dem neuen Kampfbombersystem »Future Combat Aircraft System«, wo es um ein Auftragsvolumen von 500 Milliarden Euro geht.
Für die Beschäftigten sind primär ihre Arbeitsplätze wichtig. Die Rüstungsarbeiter sind in erster Linie lohnabhängig Beschäftigte in einer privatkapitalistisch organisierten Produktion. Ihr Bewusstsein und ihr Interesse werden durch die Angst um den Arbeitsplatz geprägt. Für die in der Rüstungsindustrie Beschäftigten hat der Erhalt ihres Arbeitsplatzes genau die gleiche Bedeutung wie für die abhängig Beschäftigten in der zivilen Produktion. So ist es verständlich, wenn sich die Rüstungsarbeiter für den Erhalt ihrer Existenzgrundlage – nämlich den Arbeitsplatz – einsetzen, wie das jetzt bei Airbus der Fall ist.
In der Diskussion um Frieden und Abrüstung und Klima wird diese Abhängigkeit oft zu wenig berücksichtigt. Um der Angst etwas entgegenzusetzen, ist es wichtig, sowohl Alternativen als auch erfolgreiche Beispiele aufzuzählen, sowie das Bewusstsein und die Fantasie zu entwickeln, dass bisherige Mitarbeiter in der Rüstungsproduktion als hochqualifizierte Beschäftigte auch auf anderen Arbeitsplätzen erfolgreich ihre Arbeitskraft verkaufen können – und dass gerade sie etwas zur Klimaverbesserung beitragen könnten.
Konversionsbeispiele sind vorzeigbar
Beim Navigationshersteller Litef in Freiburg gelang es, von einer 100-prozentigen militärischen Ausrichtung im Jahr 2000 sukzessiv eine stärkere Hinwendung zum kommerziellen Markt zu erreichen. »Wir wollten Alternativen, die das Unternehmen krisenfester machen. Es war mit ein Verdienst des Vertrauenskörpers der IG Metall, dass Litef heute rund 50 Prozent zivile Fertigung hat. Auf dieser Basis kann man sich auch erlauben, heikle Aufträge abzulehnen«, so Hermann Spieß, der damalige Geschäftsführer der IG Metall Freiburg. Eine Vertriebsabteilung »Zivile Produkte« wurde aufgebaut, und finanzielle Mittel wurden in die Entwicklung ziviler Produktanwendungen investiert. Das Know-how im Bereich militärischer Elektronik bildete die Grundlage für die Entwicklung und Produktion von Testgeräten und Umweltsimulationen, die heute ein Standbein der Produktion sind. Durch Erfolge in zivilen Märkten konnte eine Stabilisierung der Mitarbeiterzahlen erreicht werden.
Die Nordseewerke GmbH in Emden, eine der größten deutschen Marinewerften mit Schwerpunkt U-Bootbau, war bis 2010 ein Tochterunternehmen des Thyssenkrupp-Konzerns (TKMS). Thyssen gab den Kriegsschiffbau auf, und 2010 übernahm die Schaaf Industrie AG (SIAG) den Großteil der Nordseewerke, um Stahlbau-Komponenten für Offshore-Windenergie-Anlagen zu produzieren. »Wind statt Waffen!« titelte der Spiegel 2010. Rund 700 Beschäftigte der TKMS wechselten zur SIAG, die zunächst erfolgreich mit der Fertigung begann. Später kam es zu Verzögerungen beim Ausbau der Windenergieplattformen, zu Nachfrageschwankungen und Insolvenzen wegen der politisch gewollten Drosselung des Ausbaus erneuerbarer Energien.
Der Aufbau neuer Fertigungsanlagen für den Lokomotivbau auf dem Gelände der ehemaligen Panzerfertigung von Maschinenbau Kiel (MaK) ist ein weiteres Beispiel. Ende der 1980er Jahre waren die Arbeitsplätze durch Rüstungsaufträge (U-Boote für Chile und Panzer) stark rückläufig. Der gewerkschaftliche Arbeitskreis »Alternative Produktion« der IG Metall überlegte, wie man den Standort menschen- und umweltverträglicher sichern könnte. Die Vorschläge reichten von der Umsetzung regionaler Energieversorgungskonzepte bis zum Bau neuer Lokomotiven. Im Verbund mit dem Bahnkonzern Vossloh gelang es, die schon fast geschlossene Lok-Sparte zum europaweit größten Diesellokhersteller auszubauen und so über 400 Arbeitsplätze zu schaffen. Ursprünglich eine erfolgreiche Konversion, auf Grund von Markt- und Technikveränderungen nunmehr ein Service-Standort.
Die Beispiele zeigen, »dass grüne Produktion, saubere Energie und die Energieeffizienztechnologien … für sichere Arbeitsplätze interessant« sind, so Kai Burmeister, Gewerkschaftssekretär der IG Metall.
Dafür ist selbstverständlich Geld notwendig, ein Konversionsfond muss aufgelegt werden, wie er bei anderen Konversionsmaßnahmen auch bereitgestellt wurde. Geld, das bisher in die Rüstungsindustrie gestopft wurde, sollte man lieber für den Aufbau des öffentlichen Personennah- und -fernverkehrs, für ökologische Energieerzeugung, für Energieeinsparkonzepte, aber auch für den Ausbau des Gesundheits- und Pflegesystems sowie des Bildungsbereichs verwenden. Eine Umwidmung von Geld kostet keine Arbeitsplätze, sondern schafft Arbeitsplätze und eine gesündere Umwelt. Ohne drastische Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich wird es nicht gehen. Ebenso wie Druck von unten, aus Betrieben und Gesellschaft notwendig ist. Denn auf die Kanzlerkandidaten brauchen wir nicht zu hoffen, wie es sich schon bei ihrer Ignoranz gegenüber Defender 2020 zeigt.
Anlässlich des Internationalen Frauentages wollen wir auf Bertha von Suttners Kampfruf: »Die Waffen nieder« ebenso aufsetzen wie auf die Resolution der II. Internationalen Sozialistischen Frauenkonferenz 1911 in Kopenhagen, auf der die sozialistischen Frauen nicht nur den Frauentag beschlossen, sondern auch zum Kampf gegen den Krieg aufriefen.
Frauen und Kinder leiden am meisten unter Krieg und Umweltverschmutzung. Lasst uns vom Frauentag ausgehend die Konversion zum Thema machen:
Konversion ist die Schwester von Abrüstung und Klimaschutz.
Vom 9. bis 13. April finden bundesweit wieder zahlreiche Ostermärsche und Aktionen statt. Eine Übersicht zu den Terminen findet sich im Internet unter https://www.friedenskooperative.de/ostermarsch-2020#eins.